Neue Lernmethode:Alles einsteigen, bitte

Neue Lernmethode: Jeder Waggon bekommt einen gelben Leuchter: Lehrerin Christine Schmitt mit Erstklässlern in Neubiberg.

Jeder Waggon bekommt einen gelben Leuchter: Lehrerin Christine Schmitt mit Erstklässlern in Neubiberg.

(Foto: Claus Schunk)

Zwei Neubiberger Lehrerinnen haben eine Methode entwickelt, die Lese- und Rechtschreibschwächen vermeiden soll: den Rina-Wörterzug. Rund tausend Schüler im Landkreis lernen bereits damit lesen.

Von Daniela Bode, Neubiberg

"Wer steigt ein?" Christine Schmitt schaut sich in der Klasse um. "Der Chef!", ruft ein Junge. Er greift in den Deckel einer Blechbox, in der gelbe und weiße Plättchen mit Buchstaben haften, sucht aus diesem das K heraus und legt es in die Lokomotive, die zusammen mit mehreren Waggons im Boden der Box aufgemalt ist. "Was muss man als nächstes bestimmen?", fragt die Lehrerin. "Den Leuchter", sagt ein anderer Schüler. "Das ist das U." Er legt es neben das K in die Lok. Beim Dehnungs-H, das danach kommt, hilft die Lehrerin. Dann ist das Wort fertig: Kuh. Die Schüler schreiben es in ihr Lernheft und malen das U gelb an.

Wenn an diesem Freitag das erste Schulhalbjahr zu Ende geht und auch die Erstklässler ihre Zwischenzeugnisse bekommen, dann haben einige von ihnen in den zurückliegenden Monaten mit dem Rina-Wörterzug Lesen und Schreiben gelernt. Es ist ein neues Lernsystem, das die Neubiberger Lehrerin Renate Bruckmeier vor vier Jahren entwickelt hat. "Das Wichtigste ist, den Kindern die Laute beizubringen und das silbische Prinzip", erklärt die Pädagogin. Und genau so funktioniert die neue Methode: Die Silben werden geklatscht und für jede Silbe der Leuchter, der Vokal, geübt. Rund tausend Schüler im Landkreis lernen nach diesem System.

Neue Lernmethode: Hat den Buchstabenkasten erfunden: die Neubiberger Pädagogin und Schulpsychologin Renate Bruckmeier.

Hat den Buchstabenkasten erfunden: die Neubiberger Pädagogin und Schulpsychologin Renate Bruckmeier.

(Foto: Claus Schunk)

Bruckmeier hat sich als Schulpsychologin viel mit Legasthenie auseinandergesetzt. Als sie vor vier Jahren zum ersten Mal eine erste Klasse übernahm und sie streng nach einer der Fibeln unterrichtete, dachte sie sich: "Wenn ich so weitermache, produziere ich lauter lese- und rechtschreibschwache Kinder." Also beschäftigte sie sich mit der Forschung zu dem Thema. Ein wichtiger Punkt, auf den sie kam: "Ich muss den Kindern die Laute beibringen." Denn nach dem bisherigen Sprach-Lernansatz, Worte so zu schreiben, wie man sie hört, würden Kinder das Wort Ente einfach "NT" schreiben. Zweiter wichtiger Aspekt ist laut der Lehrerin die Silbenstruktur.

Nach der neuen Technik puzzeln sich die Kinder die Wörter in dem Zug zusammen. Zunächst wird der Chef, also der Anlaut, in der Lok eingetragen. Dann klatscht das Kind das Wort, um zu sehen, wie viele Silben es hat. Jede Silbe hat einen Leuchter, der anschließend eingetragen wird. Danach werden die Silben einzeln gesprochen, um den Chef jeder Silbe zu finden. Beim nochmaligen Sprechen der Silben können die Kinder auch die letzten Laute heraushören.

Die Technik lebt von klaren Regeln. Beispielsweise, dass manche Laute "Schlawiner" sind, bei denen man nachdenken muss. Wie etwa das "D", das man im Wort Hund wie ein "T" spricht. "Ich freue mich, wenn wir zu den ersten Schlawinern kommen. Man kann viel schneller in die Tiefe gehen", sagt Schmitt. Genauso lernen die Kinder, dass am Ende eines Worts nie ein "a" steht, da schreibe man "er" wie bei "Vater" und "Mutter". "Man wird auch dem individuellen Tempo der Kinder gerecht", sagt Bruckmeier.

Den Spracherwerb mit dem Rina-Wörterzug vergleicht die Schulpsychologin mit der Technik des Radfahrens. Man lerne wie der Lenker und die Pedale, also die Laute und die Silben funktionieren. Man übe so lange, bis ein Automatismus vorhanden sei. "Es gibt keine Methode, die das Silbische und das Phonologische so strikt durchhält", ist Bruckmeier überzeugt. Die Psychologin und ihre Kollegin Christine Schmitt, die den Wörterzug illustriert hat, befolgen damit den neuen Lehrplan, wonach der Schriftspracherwerb kein eigenes Fach mehr ist, sondern eine Technik, die sich durch alle Fächer zieht.

Das System ist vielversprechend. Bruckmeier und Schmitt evaluieren es seit Beginn mit Orientierungsarbeiten und standardisierten Rechtschreibtests. "Wir haben keine lese- und rechtschreibschwachen Kinder mehr", hat Bruckmeier dabei festgestellt. Lehrern wie Kindern gefällt der neue Ansatz. "Es macht Spaß damit zu lernen, weil man die Züge hat", sagt ein Schüler der Klasse 1a. "Der Rina-Wörterzug ist super, wenn man ihn konsequent anwendet - und zwar genau nach Plan", findet auch Angelika Böhringer, die seit 40 Jahren Förderlehrerin ist.

Mit dem Rina-Wörterzug wird an rund zehn Schulen unterrichtet, die meisten davon im Landkreis: neben Neubiberg etwa in Grasbrunn, Putzbrunn und Ismaning. Und es könnten mehr werden. Denn Bruckmeier und Schmitt haben ihre Technik an zahlreichen Schulen vorgestellt. Und sie haben das Schulamt auf ihrer Seite. "Ich war sehr positiv überrascht und überzeugt von der Methode", sagt Schulamtsdirektorin Evelyn Sehling-Gebranzig. Durch die klare Struktur und die klaren Arbeitsanweisungen könnten Routinen aufgebaut werden.

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