„Was genau ist da schiefgelaufen?“, fragt Friedrich Merz und reckt den Kopf leicht nach vorne. Es ist ihm anzumerken, dass er echtes Interesse an dem Thema hat – und vermutlich auch auf einen wirklichen Erkenntnisgewinn hofft. Der Mann will schließlich – spätestens – im kommenden Herbst für die Union ins Kanzleramt einziehen. Da kann es nicht schaden, wenn man weiß, wie sich beim Griff nach den politischen Sternen Fehler vermeiden lassen. Und welches Negativbeispiel könnte dabei besser helfen als der sehr reale Absturz der Trägerrakete Ariane 5, die einst als die große Hoffnungsträgerin der Europäischen Raumfahrtorganisation Esa galt und letztlich durch ihre Bruchlandungen unrühmliche Berühmtheit erlangte.
Der CDU-Parteivorsitzende und Fraktionschef der Unionsparteien im Bundestag war bisher nicht dafür bekannt, ein besonders Faible für die Luft- und Raumfahrt zu besitzen. Wenngleich der Sauerländer den Pilotenschein besitzt und unlängst für einen sündhaft teuren Flug in einem Eurofighter der Bundeswehr vom Luftwaffenstützpunkt in Laage aus harsche Kritik einstecken musste. An diesem Dienstag aber gilt sein Interesse ganz der Hochtechnologie, die insbesondere im Münchner Umland beheimatet ist.
Nach einem Treffen mit Generalmajor Michael Traut, dem Kommandeur des Weltraumkommandos der Bundeswehr, sowie Besuchen im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Oberpfaffenhofen und auf dem Ludwig-Bölkow-Campus in Taufkirchen und Ottobrunn führt Merz’ Weg zur Universität der Bundeswehr in Neubiberg. Begleitet wird er bei diesem „Weltraumtag“ von einer Entourage aus mehreren Bundestagsabgeordneten um den Ottobrunner Florian Hahn (CSU), immerhin verteidigungspolitischer Sprecher der Unionsfraktion.
Zunächst aber ist es an Universitätspräsidentin Eva-Maria Kern, dem prominenten Gast zu erklären, wo er sich überhaupt befindet: in einer Hochschule, die zwar im Geschäftsbereich des Bundesverteidigungsministeriums angesiedelt ist, aber eine zivile Ausrichtung besitzt. Mit insgesamt zehn Fakultäten und einem breiten „Forschungsportfolio“, wie Präsidentin Kern sagt.
Zu diesem Portfolio gehören auch die Lehre und Forschung im Bereich der Luft- und Raumfahrt. Und Merz erfährt von Professor Andreas Knopp, der das Forschungszentrum „Space“ an der Uni der Bundeswehr mitbegründet hat, dass dieses „nach Volumen“ das größte in Deutschland sei – also sowohl hinsichtlich finanzieller als auch infrastruktureller Ausstattung. Hahn ergänzt mit einem Grinsen, dass es auch das erfolgreichste sei – schließlich liegt es in seinem Wahlkreis. Ebenso wie die Nachbargemeinden Taufkirchen und Ottobrunn, wo auf Betreiben von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) unter dem Dach der Technischen Universität München Europas größte Fakultät für Luft- und Raumfahrt aufgebaut werden soll. Eine „große Konkurrenz“ stelle diese dar, so Knopp, aber die Uni der Bundeswehr werde auch künftig eine führende Rolle in der Luft- und Raumfahrttechnik in Europa spielen. Schließlich habe das Satelliten-Navigationssystem Galileo hier in Neubiberg seinen Ursprung, ebenso das autonome Fahren, hebt Knopp die Innovationskraft der Hochschule hervor.
„Seranis“ soll die Satellitenforschung auf ein neues Niveau heben
Merz ist in Neubiberg nicht auf Wahlkampftour und lässt sich geduldig auf die Ausführungen Knopps und seines Professorenkollegen Roger Förstner ein, der ebenfalls im Institute of Space Technology and Space Applications arbeitet, und hakt immer wieder nach. Knopp und Förstner arbeiten derzeit am Projekt „Athene 1“, das Bestandteil der Kleinsatellitenmission „Seranis“ ist. Mit dem Vorhaben „Seamless Radio Access Networks for Internet of Space“ soll die Satellitenforschung auf ein neues Niveau gehoben werden, aber auch ganz praktisch umgesetzt werden: Mitte 2026, so Knopp, werde der Satellit ins All starten. Allerdings nicht mit einer Ariane-Rakete, sondern einer des Unternehmens SpaceX des Tech-Milliardärs Elon Musk.
Seine Mission bestehe aber nicht nur in der Erforschung des Weltraums, respektive der Erde; vielmehr gehe es auch um neue Antriebsformen, Signalverarbeitung, die Erprobung von Bodenstationen oder der Nutzung künstlicher Intelligenz im All. Und all dies sei eingebettet in die großen Fragen der Sicherheitsarchitektur – auch und gerade aus militärischer Sicht.
Etwa wenn es um sichere Kommunikation geht, die künftig auch über Satelliten sichergestellt werden kann. Der Standard „6G“, so Förstner, werde künftig eine enorme Rolle spielen. „Im Jahr 2030 werden wir über den Weltraum telefonieren“, prophezeit der Professor. Europa müsse sich dafür rüsten, denn mittlerweile dominiert das Satellitennetzwerk Starlink des Unternehmers Musk den Weltraum. Etwa 8000 Himmelskörper habe das Unternehmen SpaceX, das Starlink betreibt, in Betrieb – also die Hälfte aller Satelliten.
Wer 2030 im Kanzleramt in Berlin sitzen wird, lässt sich kaum vorhersagen. Dass die Förderung der Forschung, insbesondere der Luft- und Raumfahrt, genau dort aber einen speziellen Platz haben sollte, findet Knopp. „Vielleicht sollte die Wirtschaftsförderung dort angesiedelt werden“, sagt er in Richtung Merz, der den Vorschlag wohlwollend nickend zur Kenntnis nimmt und nur für einen kleinen Moment in den Wahlkampf abdriftet – den Blick auf das kommende Jahr vorauswerfend: „Dann werden wir auf jeden Fall eine neue Bundesregierung haben“, sagt der Unions-Fraktionschef, der natürlich den eigenen Absturz vor der Bundestagswahl unbedingt verhindern will.