Süddeutsche Zeitung

Forschung:Eine Karte der Wildnis

Michael Schmitt und sein Team von der Bundeswehruniversität wollen auf der Basis von Satellitenbildern errechnen, wie viel von der Natur in bestimmten Gebieten übrig ist. Das könnte unter anderem für die Auswahl von Schutzgebieten oder den Hochwasserschutz nützlich sein.

Von Daniela Bode, Neubiberg

Wenn es in Bayern einmal einen dritten Nationalpark geben sollte, dann in einem Gebiet, in dem es sinnvoll ist. So dachte Michael Schmitt, als die Debatte über ein solches neues Schutzgebiet vor ein paar Jahren Fahrt aufnahm. Schmitt war nicht überzeugt von der damals diskutierten Idee, die Isar im Bereich zwischen München und der Donaumündung zum Nationalpark zu erklären. Dies brachte ihn auf die Idee für sein aktuelles Forschungsprojekt "MapInWild". Einfach gesagt geht es darum, mit Hilfe von Satellitenbildern genaue, aktuelle Karten über die Natürlichkeit der Erde zu erstellen. Und so eine Empfehlung geben zu können, wo ein weiterer Nationalpark Sinn ergeben könnte.

Schmitt hat im September den neu geschaffenen Lehrstuhl für Erdbeobachtung am Institut für Raumfahrttechnik und Weltraumnutzung der Universität der Bundeswehr in Neubiberg übernommen. Wenn man so will, brachten ihn sein privates und sein berufliches Interesse zu dem Projekt. "Ich bin Jäger und Angler, der auch bei dem Verein Isarfischer engagiert ist", sagt der 37 Jahre alte Professor, der in Anzing im Landkreis Ebersberg wohnt. Gerade als Angler und Fliegenfischer habe er die Idee mit der Isar argwöhnisch beäugt, da in deutschen Nationalparks in der Regel die Nutzbarkeit eingestellt wird und das ein Angelverbot zur Folge hätte haben können. Auch fehlte ihm dort die flächenhafte Ausbreitung, die solche Schutzgebiete normalerweise aufweisen. So verband er damit seine berufliche Expertise: "Als Vertreter der Erdbeobachtung dachte ich mir, man könnte ein Verfahren entwickeln, das die Diskussion darüber ermöglicht, welche Landschaftsteile schutzbedürftig sind, und zwar auf einer messbaren Basis."

Auch bisher gab es schon Ansätze, Wildnisgebiete zu kartieren. Man nutzte dazu Verfahren, die verschiedene Geodaten integrieren. Man griff unter anderem auf Karten zurück, die zeigten, wo nachts viel elektrisches Licht festzustellen ist und damit menschliches Leben. Man verwendete zudem Karten zur Bevölkerungsdichte, ebenso Landbedeckungskarten, die Aufschluss darüber geben, wo ein Wald oder eine Stadt ist. Das Neue an dem Verfahren, an dem Schmitt und sein Team arbeiten: Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz soll eine Methode entwickelt werden, die aus Satellitendaten direkt einen Natürlichkeitsindex erstellen kann. Datenquelle sollen nur frei verfügbare Satellitenbilder aus dem EU-Programm Copernicus sein.

Dunkelgrün bedeutet "sehr natürlich", Rot steht für "kaum natürlich"

Der Vorteil: Die neue Methode wird zu viel schnelleren Ergebnissen führen als bisherige Techniken, da nur noch ein einziges aktuelles Bild benötigt wird. Damit wäre es jederzeit möglich, aktuelle Aussagen über die Natürlichkeit - also die Abwesenheit von menschlichen Einflüssen - eines bestimmten Ortes auf der Welt zu treffen. Zudem bieten die so erstellten Karten eine viel höhere Auflösung als die bisherigen, die zum Teil bei einem Kilometer mal einem Kilometer pro Pixel liegen. "Wir brauchen eine höhere Auflösung, damit wir kleine Länder betrachten und dort naturschutzrelevante Entscheidungen unterstützen können", sagt Schmitt. Der Index bewertet die Erde dabei in den Kategorien von "sehr natürlich" bis "kaum natürlich". "Sehr natürlich" erscheint dabei in Dunkelgrün und bedeutet, dass es dort keinen menschlichen Einfluss gibt, rote Farbe bedeutet "kaum natürlich".

In einem ersten Schritt haben Schmitt und sein Team mit Hilfe bisheriger Karten exemplarisch für Bayern, Schottland und Lappland Natürlichkeitskarten erstellt und dabei die Auflösung auf immerhin zehn mal zehn Meter pro Pixel hochskaliert. Demnach könnte sich Schmitt etwa im Ammergebirge gut einen Nationalpark vorstellen, weil die Karte für Bayern in diesem Gebiet viel Dunkelgrün zeigt. Ein positiver Nebeneffekt der hochauflösenden und aktuellen Karten: Sie können auch Aufschluss über mögliche Risiken durch den Klimawandel geben. Zeigt die Natürlichkeitskarte etwa, dass der Bereich rund um einen Fluss nun viel mehr bebaut ist als noch vor zehn Jahren, ist klar, dass für den Fall eines Hochwassers Schutzmaßnahmen zu treffen sind, anders als wäre dort nur unberührte Natur. "Die Nutzung der Daten möchte ich aber den Fachexperten überlassen", sagt Schmitt.

Als Ingenieur interessiert den Professor freilich nicht nur der naturschutz- und gesellschaftsrelevante Aspekt des Projekts, das bis 2024 angesetzt ist, sondern vor allem auch der technische. Denn Idee ist es bei dem Vorhaben auch, die künstliche Intelligenz besser verstehen zu lernen. Es soll nachvollziehbar werden, wie sie ihre Entscheidungen trifft, warum etwa die gelernten Wildnis-Kartierungs-Modelle zu spezifischen Entscheidungen kommen. "Wir wollen über die künstliche Intelligenz als reine Blackbox, in die man etwas hineingibt und bei der man nicht weiß, was herauskommt, hinausgehen", sagt er.

Nicht nur inhaltlich, auch organisatorisch ist es eine spannende Zeit für Schmitt. Er hatte an der Technischen Universität München studiert, promoviert und sich habilitiert. Nach einem Jahr als Professor für angewandte Geodäsie an der Hochschule München wurde er voriges Jahr an die Universität der Bundeswehr berufen. Dort ist er nun noch dabei, den Lehrstuhl mit Leben zu füllen. Einige Doktoranden hat er bereits, im Frühjahr kommen weitere hinzu, auch das eine oder andere Gerät muss noch angeschafft werden. "Das ist alles sehr befriedigend, weil ich die Dinge so gestalten kann, wie ich möchte."

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