Erzieherinnen werden händeringend gesucht. Nichts wäre also leichter, als sich nach dem Abschluss an der Mittel- oder Realschule eine Ausbildung in diesem Bereich zu suchen. Einen Job hätte man sicher. Doch von den Real- und Mittelschülern, die auch im Landkreis München gerade ihre Abschlussprüfungen abgelegt und nun ihre Zeugnisse erhalten haben, wollen die meisten das tun, was sie interessiert und wovon sie sich die besten Berufschancen erwarten. Für einige ist das ein Besuch der Fachoberschule (FOS). Eine Ausbildung wählt ein kleiner Teil.
Newsletter abonnieren:SZ Gerne draußen!
Land und Leute rund um München erkunden: Jeden Donnerstag mit den besten Freizeittipps fürs Wochenende. Kostenlos anmelden.
Christian Ceglarek, Direktor der Realschule Neubiberg, spricht davon, dass im langjährigen Schnitt 60 Prozent der Absolventinnen und Absolventen eine weiterführende Schule besuchten. Sebastian Treml, Berufsberater bei der Arbeitsagentur München, der Schülern an der Mittelschule und der Johann-Andreas-Schmeller-Realschule in Ismaning vor dem Erwerbsleben zur Seite steht, redet sogar von etwa 70 bis 80 Prozent der Realschüler und etwa 60 Prozent der Mittelschüler. Der daraus resultierende Fachkräftemangel ist ein Problem. Doch es scheint, als seien die Betriebe auch ein wenig selbst schuld, wenn junge Leute sich nicht für sie entscheiden.
Anna Buschmann aus Hohenbrunn zum Beispiel hat gerade an der Realschule Neubiberg ihren Abschluss gemacht. Auch sie hat sich für eine weiterführende Schule entschieden. "Ich will auf eine Media-Design-FOS gehen, weil ich denke, da kann ich noch etwas dazulernen", sagt die Schülersprecherin. Sie wurde bereits an der "Mediadesign" in München angenommen. Die 16-Jährige möchte ihr Fachabitur machen. Vielleicht wolle sie ja einmal studieren. Warum sie keine Ausbildung gewählt hat, hat mehrere Gründe. "Ich höre öfter, dass Firmen eher Leute suchen mit höherem Schulabschluss", sagt sie. So habe sie das in Videos von Jobinterviews gehört, die sie in der Schule im Rahmen der Berufsvorbereitung gesehen habe.
Außerdem fühlt sich die 16-Jährige noch zu jung, um gleich ins Arbeitsleben einzusteigen. Insgesamt glaubt sie, die Firmen könnten auch etwas tun, um mehr Bewerber zu finden: "Vielleicht sollten sie sich noch mehr in sozialen Netzwerken wie Instagram oder Tiktok vorstellen, wo sich die Jugend tagtäglich durchscrollt", sagt sie. Sie selbst will nach der Fachoberschule möglicherweise eine Ausbildung als Graveurin oder Goldschmiedin absolvieren oder Architektur studieren. Aus ihrer Klasse hätten sich, soweit sie weiß, nur wenige für eine Ausbildung entschieden.
Eine angehende Kauffrau für Büromanagement sagt: "Ich will sehen, wie es ist zu arbeiten."
Anduela Hoti will es genau andersherum machen: Die 17-Jährige, die gerade an der Mittelschule Taufkirchen die 10. Klasse mit der Mittleren Reife abgeschlossen hat, beginnt im September eine Ausbildung zur Kauffrau für Büromanagement bei der Büroeinrichtungs-Firma Roha in Oberhaching. "Ich will sehen, wie es ist zu arbeiten", sagt sie. Nach der Ausbildung will sie sich dann vielleicht für eine Berufsoberschule entscheiden oder sich in ihrem Betrieb weiterbilden. Sie ist davon überzeugt, dass man "immer Chancen hat", egal welchen Weg man wählt. Von ihren Mitschülern werden die meisten, wie sie erzählt, auch erst einmal eine Ausbildung machen.
Ein paar Zahlen stützen indes die Beobachtung, dass sich im Landkreis eher wenige junge Leute für ein Handwerk oder einen anderen Fachberuf entscheiden. Laut dem aktuellen Bildungsbericht des Landkreises liegt die Ausbildungsquote bei nur 3,1 Prozent. Als mögliche Gründe nennt eine Sprecherin des Landratsamts das hohe Bildungsniveau im Landkreis und den Akademisierungstrend. An der Zahl der Stellen hapert es aber nicht. So gab es laut der Berichterstattung der Bundesagentur für Arbeit zum Ausbildungsmarkt im Berichtsjahr 2020/21, auf die das Landratsamt unter anderem verweist, 2010 gemeldete Stellen und 1118 Bewerber. Auf jeden Bewerber kamen also fast zwei Stellen.
Angebot und Nachfrage passen aber nicht unbedingt zusammen. So standen beispielsweise 243 gemeldeten Stellen als Kaufmann oder Kauffrau im Einzelhandel nur 55 Bewerber gegenüber. Auf 68 Bewerber für eine Ausbildungsstelle als Kfz-Mechatroniker kamen derweil nur weniger als 40 Stellen. Im laufenden Berichtsjahr 2021/2022 sind von bis Ende Mai 988 gemeldeten Bewerbern noch 520 unversorgt, von 1850 gemeldeten Stellen noch 1120 unbesetzt. Das Landratsamt weist aber darauf hin, dass die Berichterstattung nur einen Ausschnitt des Ausbildungsmarkts abbildet.
Wenn Schüler sich für eine Ausbildung entscheiden, weiß Berufsberater Treml, ist bei den Jungen besonders der Beruf des Kfz-Mechatronikers und des Automobilkaufmanns beliebt, bei den Mädchen auch Automobilkauffrau oder kreative Berufe wie Mediengestalter. Die Corona-Pandemie hat dazu geführt, dass die jungen Leute "krisenunabhängige Jobs" haben möchten, wie Treml sagt. Ob sich Schüler nun für eine Ausbildung oder eine weitere Schule entscheiden, hängt laut dem Berufsberater stark vom Umfeld ab. Er warnt hier vor überhöhten Vorstellungen. "Es ist der Kampf der Berufsberater, eventuell auch Eltern von einem falschen Bild abzuwenden", sagt er. So fehle es bei vielen sicher am Wissen, dass sie etwa als Erzieherin im Durchschnitt mehr verdienten als als Automobilkauffrau.
Auch wählten Mittelschüler eher einmal die Ausbildung, weil sie in der Schulzeit schon Gelegenheit gehabt hätten für mehrere Praktika. Treml zeigt auf, dass es viele Möglichkeiten gibt mit einer Ausbildung. So könne man parallel dazu ein Fachabitur absolvieren. Eine Ursache dafür, warum die FOS von einigen als beste Lösung angesehen wird, sieht er darin, dass sie die Ausbildung nicht als Zwischenstopp betrachten. "Es gibt so viele Akademiker, die das dazwischengeschoben haben", sagt er. Eine Ausbildung könne man als Türöffner für später sehen.
Um dem Fachkräftemangel Herr zu werden, ist es sicher nicht nur an den jungen Leuten, sich für die Idee der Ausbildung zu öffnen. Auch die Betriebe müssen ihren Beitrag leisten. Wie Schülerin Anna Buschmann ist Treml der Meinung, die Betriebe müssten den jungen Leuten "einen einfachen Zugang schaffen". Er meint damit, dass eine Bewerbung auch per Whatsapp eingereicht werden können sollte oder per Video. "Es sollten viele Kanäle offen gehalten werden", sagt er. Die Corona-Pandemie habe wenigstens den kleinen Vorteil mit sich gebracht, dass Vorstellungsgespräche zum Teil online stattgefunden hätten.
"Dann muss ich eben eine Stellenanzeige in Facebook oder Insta reinstellen."
Auch Gitta Svoboda, Vorsitzende des Fördervereins der Realschule Neubiberg, der seit fünf Jahren mit der Schule die dortige Ausbildungsmesse organisiert, ist der Ansicht, die Betriebe seien am Zug. "Es ist wichtig, die jungen Leute abzuholen", sagt sie. Es gebe welche, die wollten eine Ausbildung machen, wüssten aber nicht, was es alles gebe. "Dann muss ich eben eine Stellenanzeige in Facebook oder Insta reinstellen", sagt sie. Oder einen Tag der offenen Tür veranstalten. Manch ein Mittelständler ist da schon dran. Svoboda erzählt von einer Schreinerei aus der Region, die sich in den sozialen Medien präsentiere und da zeige, wie man junge Leute begeistern könne. Natürlich setzt sie auch auf die eigene Messe. In diesem Jahr stellten sich 32 Firmen vor, darunter der in Neubiberg ansässige Halbleiterhersteller Infineon und die Hotelgruppe Mandarin Oriental. "Direkt auf der Messe wurden zwei Ausbildungsverträge geschlossen", sagt sie.
Svoboda selbst ist Geschäftsführerin von Nunn-Aufzüge in Hohenbrunn und der dortig ansässigen internationalen Personalberatung, Top-Jobs-Europe. Sie hält viel von Schülerpraktika, die etliche Firmen scheuten, weil sie Betreuungsaufwand bedeuteten. Im Juli beschäftige die Aufzugsfirma vier Praktikanten. "Wir haben darüber immer unsere Auszubildenden gewonnen, jetzt haben wir zwei als feste Kräfte übernommen", sagt Svoboda.