Er würde auch als Surfer von der australischen Gold Coast durchgehen, so braun gebrannt, die Holzketten am Hals, die blonden Quirl-Locken schulterlang. Statt Surfbrett hält Philipp Mulfinger den fetten, schwarzen Filzer in der Hand. Statt im Neoprenanzug steckt er im himmelblauen Tulpenanzug, dazu Strohhut und weiße Espadrilles. Kreativer Business-Look. Mulfinger ist "Phil Splash", und performt in der Neubiberger Galerie Galliani. Der 32-Jährige wird zum Auftakt seiner Ausstellung Gesichter im Akkord malen. "Live-Sketching" heißt das, Porträts in 30 Sekunden.
Bevor es losgeht, schiebt Sinikka Genzik in High Heels und pflaumen-rotem Etui-Kleid den Staubsauger übers Parkett. Sie ist Mulfingers Partnerin und wird später noch Fotos schießen, die Besucher unterhalten, Häppchen reichen. "Ich liebe Philipps Kunst, ach, einfach alles, was er macht", sagt die 27 Jahre alte Lehrerin.
Knallige, leuchtende Farben sind Mulfingers Markenzeichen, seine Bilder erinnern an Graffiti - klare Linien, starke Sprache. Er will Freude machen und daran erinnern, dass jeder besonders ist. "Das Internet macht Individualität platt, jeder definiert sich über das gleiche", so Mulfinger.
24 000 hat er in sechs Jahren porträtiert
Woran die junge Frau, die gerade sehnsüchtig-trüb durchs U-Bahn-Fenster blickt, wohl gerade denkt? Der Künstler fragt nicht nach, er packt ihr Geheimnis ins Porträt, in einer Haltestellenlänge. Das macht er bis zu 80 Mal am Tag, etwa 250 Skizzenhefte stapeln sich in seiner Wohnung. 24 000 Menschen hat er in sechs Jahren gemalt. Zuerst planlos, aus Spaß am Gesicht, dann erkennt er das Projekt hinter der Aktion: Alles Münchner, jeder einzigartig und doch gleich. Mulfinger nennt sich "Millionen-Maler" und steckt das Ziel: 1,5 Millionen Münchner aufs Papier bringen. "Fahre ich ein 80-pro-Tag-Tempo, könnte ich mit 80 durch sein.
" Mit dem "Millionen-Maler-Etikett" kommt auch die Aufmerksamkeit. Medien berichten, Menschen folgen "Phil Splash" im Netz. Zwei Stunden täglich verwendet Mulfinger für das Selbstmarketing auf den sozialen Plattformen. Wer von Kunst leben will, müsse sich selbst zur Marke machen, Wiedererkennungswert schaffen. Also tut er Dinge, die ihm privat nie eingefallen wären, zum Beispiel in gewagte Anzüge zu schlüpfen. "Man muss den Mut haben, sich von anderen zu unterscheiden", sagt Mulfinger. Menschenscheu und zugeknöpft sein, funktioniere nicht. Steffen Schwarz gefällt diese Extravaganz.
Der schwarze Filzer fliegt in stetem Fluss über die Staffelei
Auf Facebook ist ihm der "knallbunte, verrückte Vogel" aufgefallen. Aus Freising ist der Elektro-Ingenieur zur Vernissage angereist, für Phil Splash ist kein Weg zu weit, sagt er. Schwarz beauftragte Mulfinger mit der Illustration seines Kinderbuchs. Heute will sich der 50-Jährige malen lassen und sein Porträt auf Din A2-Papier für zehn Euro mitnehmen. Dafür bringt sich Mulfinger wie für einen Staffellauf in Position. Das rechte Bein angewinkelt vorne, das linke nach hinten gestreckt, der schwarze Filzer fliegt in stetem Fluss über die Staffelei. Vom linken zum rechten Ohrläppchen, die Kontur um Haar und Kopf steht zu allererst. Dann Brille, Augen, Nase, Mund, Kiefer und Hals. Zu aller letzt die Signatur, ein schräg gekipptes "Phil". Freundin Genzik knipst noch ein Foto, den echten neben dem gemalten Herrn Schwarz, fürs Archiv, jedes Porträt zählt auf dem Millionen-Weg.
In der Gallerie von Christel Till-Galliani herrscht in drei Stunden Vernissage durchgehend neugieriges Gewusel. "Glücklicherweise kein dichtes Gedränge, leichter Durchgang zu Wein und Käse", sagt eine Besucherin, nach dem Model stehen. Arbeit mache Appetit. Die 50 Jahre alte Kerstin Wiedemann ist glücklich, weil Phil Splash sie zehn Jahre jünger geschmeichelt habe. Deutschlehrerin Agnes Nieße, 54, findet toll, dass jeder Münchner schön genug ist, um gemalt zu werden. "Einfach so, ohne zu leisten, jeder ist im Club."
"Phil Splash" ist bis zum 20. September bei Galliani zu sehen. Danach soll es weitergehen, London und New York sind die großen Ziele, darauf arbeitet er hin. Im Sommer flatterhafter, oft nachts, wenn die Sonne tagsüber allzu warm scheint. Lotterleben sei aber nie, er träume bürgerlich - vom Haus am See, Kindern, die auf Bäume klettern und sozialen Offline-Zeiten.