Süddeutsche Zeitung

Neubiberg:Lebensretter aus der Oberstufe

Lesezeit: 2 Min.

138 Gymnasiasten beteiligen sich an einer Typisierungsaktion der DKMS. Sobald sie volljährig sind, kommen sie als Stammzellenspender für Blutkrebspatienten weltweit infrage.

Von Ulrike Schuster, Neubiberg

In großen Kreisen reibt Paulina Morsey mit dem Wattestäbchen an ihre Wangenschleimhaut, erst rechts, dann mit dem zweiten Stäbchen an links. Die kleine Zahnputz-Sanduhr sagt ihr, wann sie aufhören darf - nach jeweils einer Minute. Dann nämlich sind ihre Gewebemerkmale auf der Watte gespeichert. Paulinas Mitschülerin Johanna - heute in der Rolle der Verwaltungsbeamtin - tütet die zwei Stäbchen ins Kuvert, lässt Paulina den Datenbogen ausfüllen und checkt ab, ob sie überhaupt spendentauglich ist. "Älter als 17 Jahre, schwerer als 50 Kilo, frei von chronischer Krankheit?" Dreimal ja, weshalb die Daten der 17-jährigen Abiturientin ins Labor wandern, wo sie analysiert werden, um danach in der Kartei der Stammzellenspender gespeichert zu werden. Wenn Paulina 18 ist, kommt sie als Spenderin für Blutkrebs-Patienten auf der ganzen Welt in Frage, so wie ihre Mitschüler, die am Montag in der sechsten Stunde zur Registrierung in den Klassenraum O60 des Neubiberger Gymnasiums gekommen sind.

Initiiert hat die Aktion der Sportlehrer Marco Künzel. Einfach so, es gab keinen besonderen Anlass, der ihn getrieben hat, anders als es zuletzt bei den großen Typisierungsaktionen für betroffene Kinder aus Aschheim und Feldkirchen war. Um zu helfen, brauche es ja kein aktuell leidendes Gesicht, keinen kahlen Kopf und kein herzerweichendes Schicksal, auch wenn sich das PR-technisch überragend nutzen ließe. Aber klar "ist das alles viel wirkungsvoller als spröde Fakten, verbastelt zu einer schicken Power-Point-Präsentation".

Bei jedem Siebten kann der genetische Zwilling nicht gefunden werden

Auf der Aula-Bühne verbindet Selina Bernarding, Spenderneugewinnerin der DKMS (Deutsche Knochenmarkspenderdatei) beides, die virtuelle Präsentation mit dem echten Leben, die anonyme Zahl mit dem konkreten Einzelfall. Worum es geht, steht ganz am Anfang: Leben retten. Dann erzählt eine Mutter davon, dass ihre Tochter Greta mit drei Jahren an Blutkrebs starb. Der passende genetische Zwilling - der, dessen Gewebemerkmale identisch zu denen des Patienten sind, ein Spiegelbild in über 10 000 Merkmalen -, konnte nicht gefunden werden. Bei jedem Siebten ist das der Fall, trotz 28 Millionen registrierten Spendern weltweit, sechs Millionen allein in Deutschland.

Danach spricht das Mädchen Michelle, etwa 14 Jahre alt, auch über Video, zu den Neubiberger Schülern. Sie hat den Blutkrebs dank Spende überlebt. "Vorher-Nachher-Bilder" werden eingeblendet, Michelle im Kindergarten, krank, blass, ohne Haar, versus Michelle als strahlend-hübsches Mädchen, wallende Mähne, perfektes Make-up, breites, weißes Lachen - gesund und stark zurück im Leben ist die Botschaft; das berührt, Kinder berühren im Besonderen. Und der Blutkrebs taucht bei Kindern als häufigste Krebserkrankung auf.

Dann ist Stefan Wiedemann, 26, an der Reihe, er gibt das Beispiel, wie es ist zu spenden. Der Zornedinger hat sich mit 17 Jahren registrieren lassen und mit 22 gespendet. Er habe sich geehrt gefühlt, erzählt er, als der Anruf kam, er könne ein Leben retten. "Wie kann man sonst so unkompliziert helfen?", fragt er. "Ohne wirklich irgendetwas dafür leisten zu müssen?"

Es ist nur eine Chance, keine Garantie

Sein Patienten-Zwilling hat nicht überlebt. Eineinhalb Jahre nach der Transplantation ist er gestorben, es war ein zwölfjähriger Junge aus Dänemark. "Tut mir leid, ein blöder Fall in diesem Fall, will ja nicht die Hoffnung nehmen", sagt Wiedemann. Und die DKMS-Frau sagt: Die Stammzellen-Spende ist nur eine Chance, keine Garantie, aber die letzte Chance.

Um 13 Uhr haben sich 138 der 17- und 18-jährigen Schüler registriert, 240 hätten es sein können. Total im Schnitt, findet Bernarding. Etwa fünf Mal pro Woche sprächen sie und ihre Kollegen die DKMS in Schulen, Universitäten und Unternehmen, zu Weihnachten seien es jeweils doppelt so viele. Etwa einmal pro Monat findet eine Patienten-Typisierung statt.

Auch Schulrektor Reinhard Rolvering kommt noch an die Reihe, obwohl er mit fast 55 Jahren vom Alter her ein "Grenzfall" ist, wie Bernarding sagt. "Wenn nicht heute, wann dann?", sagt er. "Die 54 halten nicht mehr lange."

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Quelle:
SZ vom 20.12.2016
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