Süddeutsche Zeitung

Neubiberg:Kind da, Geld weg

Welche Krankenkasse ist zuständig, wenn das Baby auf dem Weg zur Klinik auf die Welt kommt? Und warum ist es wichtig, wo die Nachgeburt entbunden wird? Eine Neubiberger Familie erzählt von ihrem Kampf um die Erstattung der Krankenhauskosten - mit glücklichem Ausgang.

Von Daniela Bode, Neubiberg

Wäre der kleine Frederik Scheller (die Namen der Familie sind geändert) aus Neubiberg in der Klinik zur Welt gekommen, wäre wahrscheinlich alles reibungsloser verlaufen. Dann hätte die Klinik die Versorgung von Mutter und Kind über die Krankenversicherung der Mutter abgerechnet und die Sache wäre abgeschlossen gewesen. Es kam aber anders. Frederik kam unerwartet zu Hause im Keller zur Welt. Die Eltern Ina und Fabian wollten sich gerade auf den Weg ins Klinikum Neuperlach machen, als die Wehen so stark wurden, dass es Ina Scheller nur noch in den Kellerflur schaffte.

Mit Hilfe ihrer Mutter als Ersatzhebamme brachte sie dort den kleinen Frederik zur Welt. Der Schreck war laut Vater Fabian groß, "aber es ging alles gut aus". Auch der Notarzt, der Mutter und Kind dann in die Klinik brachte, und die Feuerwehrleute, die gekommen waren, waren guter Dinge wegen des freudigen Ereignisses. Im Krankenwagen fuhren Mutter und Kind dann ins Krankenhaus. Was die Schellers da noch nicht wussten: Mit der Aufregung war es noch längst nicht vorbei. Vielmehr sollte sich ein fünf Monate dauerndes Hin und Her mit ihren Krankenversicherungen entspinnen, wer für die Krankenhauskosten aufkommen muss. Kommt ein Baby nicht wie meist in der Klinik zur Welt, kann das offenbar zur Verwirrungen führen.

Schon nach der Geburt des älteren Sohnes kam eine fragwürdige Rechnung

Als Fabian Scheller eine an ihn adressierte Klinikrechnung in Höhe von rund 400 Euro für die Versorgung des Kindes im Krankenhaus erhielt, wurde er stutzig. Schon nach der Geburt des älteren Sohnes hatte die Klinik die Rechnung an ihn adressiert - und das hatte sich damals laut Scheller als falsch herausgestellt. Dennoch zahlte er nun und wollte den Betrag von der Gothaer Krankenversicherung AG erstattet bekommen, bei der er privat versichert ist. Doch diese lehnte ab mit der Begründung: Die Fallpauschale in der Rechnung weise das Kind als gesundes Neugeborenes aus, diese Kosten seien unter dem Pflegesatz der Mutter abzurechnen. Ein entsprechendes Schreiben liegt der Süddeutschen Zeitung vor. "Das gibt's doch nicht, dachten wir", sagt Fabian Scheller.

Auch von der Klinik hatte er Kurioses erfahren: Nämlich dass es für die Abrechnung offenbar auch darauf ankommt, wo die Plazenta zur Welt gekommen ist. Da es sich bei Frederik um eine Hausgeburt handelte und auch die Plazenta im Rettungswagen kam, heißt es in einer E-Mail der Klinik, die der SZ vorliegt, könne der Fall nicht als Geburt und Neugeborenes abgerechnet werden. Die Siemens-Betriebskrankenkasse, bei der die Mutter gesetzlich versichert ist, habe die Kosten bereits abgelehnt und mitgeteilt, dass der Sohn beim Vater privat versichert werde.

Und tatsächlich, die Siemens-Betriebskrankenkasse (SBK) verweigerte laut Scheller in Telefonaten mit seiner Frau ebenfalls die Übernahme der Kosten. Als Grund nannte sie in einer E-Mail an die Klinik, die der SZ vorliegt: Das gesunde Neugeborene sei nach Paragraf 1, Absatz 5, Fallpauschalenvereinbarung über die Mutter nur dann versichert, wenn die Entbindung im Krankenhaus stattgefunden habe. Also sei mit dem Kostenträger des Kindes abzurechnen, also der Versicherung des Vaters.

Denn wenn von den Eltern einer gesetzlich und einer privat versichert ist, und der privat Versicherte wie in der Regel mehr verdient, sind die Kinder bei ihm zu versichern. Es folgten also weitere E-Mails und Telefonate mit den Versicherungen. Scheller ärgerte sich vor allem darüber, dass die Versicherungen und die Klinik nicht auf seinen Vorschlag hin direkt mit einander Kontakt aufnahmen. "Dann wäre die Sache in fünf Minuten geregelt gewesen", sagt er. Zwar möchte er nun auch nicht nachkarten, hält den Fall aber für geeignet, auf ein "in Teilen absurdes Gesundheitssystem" aufmerksam zu machen.

"Rechtlich knifflig"

"Es war eine vertrackte Situation und auch rechtlich knifflig", sagt Susanne Gläser, Pressesprecherin der Siemens-Betriebskrankenkasse auf Nachfrage der SZ. Weil die Mutter extern entband und auch die Plazenta schon geboren war, "war es tatsächlich rechtlich so, dass die Geburt schon abgeschlossen war und zwei Patienten in der Klinik ankamen. Die Mutter und der kleine Frederik". Das Krankenhaus habe rechtlich korrekt gehandelt. Aus ihrer Sicht hätte aber die private Krankenversicherung anstandslos zahlen müssen. "Wir wollten unsere Kundin nicht im Regen stehen lassen, daher hat unsere Mitarbeiterin direkt Kontakt zur Gothaer Krankenversicherung aufgenommen", sagt Gläser.

Am Ende ging alles gut aus und die Gothaer Krankenversicherung zahlte doch. Ob der Anruf der Siemens-Betriebskrankenkasse mit ausschlaggebend war, ist nicht bekannt. Gothaer-Pressesprecherin Martina Faßbender verweist auf Nachfrage der SZ darauf, dass aus der zur Erstattung eingereichten Krankenhaus-Rechnung und dem Erstattungsantrag nicht hervorgegangen sei, dass es sich um eine Hausgeburt handelte. Nachdem die Fachabteilung erfahren habe, dass es sich um eine ebensolche handelte, habe sie sich beim Versicherungsnehmer für die Unannehmlichkeiten entschuldigt, um Übersendung des Entlassungsberichts aus der Klinik gebeten und Erstattung zugesichert, sagt Faßbender. Nachdem die Versicherung die Unterlagen erhalten hatte, habe sie die Krankenhaus Rechnung in voller Höhe beglichen. "Wir bedauern, dass die Erstattung der Rechnung zunächst aufgrund eines Missverständnisses abgelehnt wurde", sagt Faßbender.

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Quelle:
SZ vom 03.11.2016/hilb
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