Neubiberg:Innere Sehnsuchtsorte

Neubiberg: "Alles hat seine Zeit", erklärt Caroline Weiss. In ihren Werken holt sich Natur gerne zurück, was ihr der Mensch vormals abgerungen.

"Alles hat seine Zeit", erklärt Caroline Weiss. In ihren Werken holt sich Natur gerne zurück, was ihr der Mensch vormals abgerungen.

(Foto: Claus Schunk)

Die Grünwalder Künstlerin Caroline Weiss zeigt in ihren Bildern "Ungezähmte Landschaften", die sie erinnert oder imaginiert. Zu sehen sind sie in der Neubiberger Galerie Galliani

Von Udo Watter, Neubiberg

Dass die Kraft der Imagination ein guter Reiseführer sein kann, dafür ist im deutschsprachigen Raum vielleicht Karl May das beste Beispiel. In seinen Abenteuerromanen zeichnet der Schriftsteller aus dem sächsischen Radebeul ein viele Leser prägendes Bild vom Wilden Westen oder Vorderen Orient, ohne dass er je dort gewesen war - erst im Herbst seines Lebens reiste der Winnetou-Schöpfer an diverse Schauplätze seiner Bücher.

Auch Caroline Weiss versteht sich auf das innere Reisen. Wenn die Grünwalder Künstlerin ihre Landschaftsbilder malt, dann entstehen diese zum einen nicht en plein air (französisch: im Freien) mit Staffelei, sondern später im Atelier. Sie sind auch nicht immer zwangsläufig inspiriert von Szenerien, die Caroline Weiss erlebt hat, sondern beinhalten auch Sehnsuchtsorte, welche die Künstlerin nicht kennt und noch sehen will: An Island gemahnende Vulkanlandschaften etwa. So tief taucht sie beim Malen mit dem inneren Auge respektive allen Sinnen in diese imaginierte Landschaft ein, dass ihr gleichsam der Schwefeldampf in die Nase steigt. "Ich rieche das Blubbern", sagt sie. "Das hat für mich fast etwas Meditatives." Die meisten ihrer Bilder, die in der aktuellen Ausstellung "Ungezähmte Landschaften" in der Neubiberger Galerie Galliani hängen, sind allerdings schon von persönlichen Erfahrungen angeregt. Besonders aus Erlebnissen in Italien oder Südfrankreich schöpft die Tochter des 2010 verstorbenen Schauspielers Heinz Weiss ("So weit die Füße tragen", "Das Traumschiff"). Diese der Wirklichkeit entstammenden Motive verwandlen sich beim schöpferischen Prozess, obgleich die Künstlerin durchaus auf Skizzen zurückgreift, aber gleichsam in Ideal-, Symbol- oder Seelenlandschaften. Auch sie sind letztlich Resultat einer inneren Reise. "Das ist ein bisschen wie Urlaub machen", beschreibt Weiss den kreativen Prozess. Der basiert auf entsprechend befreienden Erfahrungen in der Natur, wo Weiss mental wieder auftanken kann und mit wachem Blick auch die Sinne neu schärft. Banale Urlaubsstimmungen oder Postkarten-Motivik wird man in Neubiberg natürlich nicht sehen. Viele der großflächig gemalten Landschaften atmen etwas Melancholisches, auch in der versiert gestalteten Farbspannung entfaltet sich, selbst in den von mediterranem Licht geprägten Arbeiten, eine gewisse Hommage an das Vergehen, ein Spiel mit Erinnerung und Verfall. In vielen Bildkompositionen steht am Rande ein kleiner Mensch, nicht selten mit dem Rücken zum Betrachter, und blickt in die Ferne, wo er mal windschiefe Gebäude sieht, mal alte Fabriken, mal halbe Strommasten, mal gestrandete, verrostende Schiffe.

Die Natur ist also trotz ihrer erhaben anmutenden Weite und Raumtiefe oder ihrer dramatischen Formschönheit nie komplett dominant. Spuren menschlicher Zivilisation oder Präsenz lassen stets das Kopfkino im Betrachter anspringen. "Ich möchte immer Geschichten erzählen", sagt Weiss. Viele Jahre lang war die gebürtige Münchnerin, die unter anderem an der Akademie der Bildenden Künste studierte und ihre ersten praktischen Kunstunterricht beim Paul-Klee-Schüler Alfredo Bortoluzzi als Jugendliche in Apulien sammelte, auf Menschen, später auch auf Tiere fokussiert. Ihre skurril-satirische Serie "Er - Sie - Es", die mit boshaft-liebevollen Blick das Allzumenschliche thematisierte, etwa hat sie lange beschäftigt: "Ich war eine Menschenmalerin, aber jetzt wollte ich aus diesem Korsett ausbrechen." Seit rund zwei Jahren entstehen nun diese Landschaftsbilder, in einem Arbeitsprozess, der befreiend und anstrengend zugleich war. Mehr als 30 Werke, vornehmlich Acrylarbeiten, aber auch Zeichnungen, sind in der Galerie Galliani zu sehen, zudem Grafiken und Monotypien. Etliche großformatige, aber auch einige kleinformatige Arbeiten. Weiss spachtelt die Acrylfarbe oft auf Nesselwand, gerne in dickeren Schichten, manchmal mit Sand vermischt. Sie kratzt mitunter hinein, hin und wieder ist der Farbauftrag aquarellig-lasierend. "Ich gehe gerne richtig in die Farben hinein", sagt sie. Wasser spielt in der Darstellung oft eine Rolle, aber auch die Verschiedenheit und Materialität von Erdschichten oder Gründimensionen der Natur. Tiere, die in den Landschaften vorkommen, wirken nie fehl am Platz, ein grasender Esel etwa ist hier harmonischer Teil der Natur und verlebendigt die Szenerie. Es gibt oft das Spannungsfeld Alt und Neu - Geisterstädte, Schiffwracks, oder pittoresk windschiefe Cafés mit fantastisch-übergroßen Leitern einerseits, Neubauten, Hochhäuser, moderne Fabrikanlagen andererseits. In einem Werk kann der gelbe Himmel über einem dampfenden Kühlturm entweder noch als natürlich-hell-mediterran interpretiert werden oder schon als von Abgasen vergiftete Farbe. "Die Natur braucht uns nicht, aber wir brauchen die Natur", zitiert Weiss eine bekannte Formel der Umweltbewegung. Dabei wohnt etlichen Arbeiten auch ein Hauch Fantastisches inne. Manchmal wirken die vielen Schiffswracks, die nicht zuletzt von einem Besuch der Werft von Toulon inspiriert sind, so, als hätten sie die Gezeiten falsch eingeschätzt, und wären daher gestrandet. Jetzt verrosten sie auf einer Sandbank liegend, von nachdenklichen, kleinen Menschen beobachtet. "Alles hat seine Zeit", erklärt Caroline Weiss. Menschen, die einen ästhetisch-romantischen Zugang zur Vergänglichkeit haben, könnten sogar ein hübsches französisches Bonmot zitieren, das sicher auch dem großen romantischen Maler Caspar David Friedrich gefallen hätte: "Plus belle que la beauté est la ruine de la beauté." Schöner als die Schönheit ist die Ruine der Schönheit.

Die Ausstellung "Ungezähmte Landschaften" Weiss dauert bis zum 28. Oktober. Die Galerie Galliani in Neubiberg, Hauptstraße 55, ist geöffnet dienstags bis freitags von 14 bis 18 Uhr.

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