Süddeutsche Zeitung

Klimaschutz:Der Kaltluftstrom darf nicht abreißen

Laut ersten Ergebnissen eines Mikroklimagutachtens ist ein Gewerbegebiet im Hachinger Tal möglich - unter bestimmten Einschränkungen. Die Grünen und eine Bürgerinitiative wollen das Areal dennoch weiter von jeder Bebauung durch die Stadt München und die Gemeinde Neubiberg freihalten.

Von Daniela Bode, Neubiberg/München

Das Hachinger Tal spielt eine wichtige Rolle bei der Frischluftversorgung Münchens sowie der anliegenden Gemeinden. Doch seit Längerem verfolgen die Stadt München und die Gemeinde Neubiberg den Plan, in dem Gebiet zu bauen. Der Landeshauptstadt geht es vor allem um Wohnungen, Neubiberg um Gewerbeansiedlungen auf dem sogenannten Kapellenfeld, den freien Flächen nördlich des Infineon-Campeons. Um zu sehen, wie die Funktion von Luftaustauschbahnen durch einzelne Bauvorhaben beeinträchtigt werden könnte, hat die Stadt ein mikroklimaökologisches Gutachten in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse des Entwurfs hat das Münchner Planungsreferat diese Woche bei einer Online-Konferenz unter anderem Gemeinderäten aus Neubiberg und Unterhaching, Bezirksausschussmitgliedern, Vertretern der Bürgerinitiative "Frischluftzufuhr für München" sowie betroffenen Grundstückseigentümern vorgestellt.

Die Beteiligten verfolgten die Vorstellung mit großem Interesse. Allen voran Neubibergs Bürgermeister Thomas Pardeller (CSU), der als eine zentrale Erkenntnis nennt: "Eine Bebauung des Kapellenfelds ist möglich." Mitglieder der Bürgerinitiative sowie die Unterhachinger Grünen-Gemeinderätin Claudia Köhler sind derweil weiterhin der Meinung, das Kapellenfeld sollte unbebaut bleiben. Auch Grüne, SPD, CSU und Freie Wähler im Münchner Stadtrat sprechen sich in einem gemeinsamen Antrag dafür aus, die sogenannte Parkmeile zwischen Trudering und Neuperlach über das Hachinger Tal und das Kapellenfeld hinaus bis zum Perlacher Forst zu verlängern. Im "dicht bebauten Münchner Südosten" sei aus "städtebaulichen und grünplanerischen Gesichtspunkten" sowie aus Gründen des Klimaschutzes und des Erhalts der Frischluftbahnen eine gemeindeübergreifende Planung "absolut unerlässlich", heißt es in dem am Donnerstag gestellten Antrag.

In dem Gutachten werden laut Teilnehmern verschiedene Planfälle betrachtet, etwa eine Bebauung mit Wohnungen an der Unterhachinger Straße auf der Münchner Seite sowie eine Bebauung des Kapellenfelds, das dem milliardenschweren Familienkonglomerat Finck und Winterstein gehört. In Neubiberg besteht laut Pardeller die Idee, im südlichen Teil des Kapellenfelds Gewerbe anzusiedeln, im nördlichen dagegen einen Landschaftspark zu schaffen, welcher der Erholung dient. Laut dem Gutachten würden die dort vorgesehenen Bäume sogar eine "Verbesserung bringen, was die Temperaturentwicklung angeht", so Neubibergs Bürgermeister. Schließlich handele es sich aktuell nur um ein Feld.

Im Fall einer Bebauung muss Pardeller zufolge jedoch darauf geachtet werden, dass der Kaltluftvolumenstrom auf dem Kapellenfeld möglichst geringfügig beeinträchtigt werde. Dem könne jedoch durch die Anordnung der Gebäude Rechnung getragen werden, auch durch deren Höhe und Breite. "Mich hat überrascht, dass man eher höher als breiter bauen sollte", sagt der Bürgermeister. Was das Alpine Pumpen, also das für die Frischluftzufuhr so wichtige thermisch angetriebene Luftaustauschsystem zwischen den Alpen und der Münchner Schotterebene angeht, sind dem Gutachten zufolge laut Pardeller keine negativen überörtlichen Auswirkungen zu erwarten. Natürlich müsse man bei einer Bebauung alle Vorgaben des Gutachtens beachten, auch die Klimaziele seien einzuhalten, so der Neubiberger Rathauschef, der als nächstes den Gemeinderat informieren will. Pardeller setzt trotz Planungshoheit der Gemeinde weiter auf interkommunales Agieren: "Jetzt heißt es, mit München eine Lösung zu finden."

Die Bürgerinitiative wünscht sich nach der Vorstellung der Ergebnisse derweil immer noch, von einer Bebauung der freien Flächen nördlich von Infineon abzusehen. "Es war überraschend für uns, welche zentrale Funktion das Kapellenfeld hat, es hat Auswirkung auf alle Planfälle", sagt Thomas Kiesmüller, der Sprecher der Initiative. Das Feld sei ein Kaltluftentstehungsgebiet und für die Speisung des Hauptstroms verantwortlich. Kiesmüller hält daher immer noch "keine Bebauung" für die beste Idee. Auch Hebel wie eine bestimmte Anordnung oder Höhen von Gebäuden überzeugen ihn nicht. "Egal, welche bauliche Sondermaßnahme getroffen wird, es kommt immer zur Abschwächung des Kaltluftvolumenstroms."

Kiesmüller weist zudem darauf hin, dass das Gutachten nur die aktuelle Klimasituation betrachte, aber in den kommenden Jahren mit einem erheblichen Anstieg der Temperaturen zu rechnen sei. Interkommunal an einem Strang zu ziehen, wie dies Pardeller vorschlägt, befürwortet er. Auch die Unterhachinger Grünen-Gemeinderätin und Landtagsabgeordnete Köhler gibt zu bedenken, dass in dem Gutachten nicht berücksichtigt werde, "dass es immer heißer wird". Sie hat die Ausführungen zum Kapellenfeld zudem so verstanden, dass es wegen dessen Funktion als Kaltluftentstehungsgebiet gut wäre, es möglichst unbebaut zu lassen. Im Fall einer Bebauung dort seien Auswirkungen auf die Bebauung selbst zu erwarten. "Der Umbau und die Kühlung vor Ort würde viel teurer sein als die Gewerbesteuer, die man einnehmen könnte", sagt sie.

Auch hat Köhler nach eigenen Worten aus der Präsentation mitgenommen, dass eine Bebauung sehr wohl überörtliche Auswirkungen haben würde. Deshalb müsse das Vorhaben interkommunal gelöst werden. "Die Zeiten sind vorbei, dass einem die Nachbarkommune einfach ein Gewerbe- oder Wohngebiet vor die Nase setzt." Insofern begrüßt es die Grüne, dass die Unterhachinger Gemeinderäte zu der Konferenz eingeladen waren.

Im Unterhachinger Rathaus blickt man ebenfalls interessiert auf die Ergebnisse des Gutachtens und die Konferenz am vergangenen Mittwoch. "Wir haben gesehen, was die Gemeinde Neubiberg plant, sie hat natürlich ihre Planungshoheit", sagt Rathaussprecher Simon Hötzl, der an der Präsentation teilgenommen hatte. "Wir setzen aber auch auf eine interkommunale Zusammenarbeit." Themen wie etwa die Erschließung des Grundstücks seien untereinander abzustimmen. Mit Blick auf eigene Bauvorhaben, konkret das geplante Gewerbegebiet im Unterhachinger Norden östlich der Straße am Sportpark, sieht Hötzl kein Hindernis durch das Gutachten. "Wir haben mitgenommen, dass eine Bebauung im Norden Unterhachings für die Entstehung des Kaltluftvolumenstroms zwar relevant, aber kompensierbar ist." Wenn eine Bebauung des bisher nicht versiegelten Kapellenfelds durch Neubiberg mit Bauten von 28 Metern Höhe möglich sei, müsse auch eine Bebauung mit 16 Meter hohen Gebäuden unter bereits berücksichtigten mikroklimatischen Parametern unbedenklich sein.

Was die von München anvisierte Wohnbebauung an der Unterhachinger Straße angeht, ist derweil von den Teilnehmern zu hören, dass diese von den Gutachtern kritisch beurteilt wird. Bis das endgültige mikroklimaökologische Gutachten vorliegt, wird es indes wohl noch dauern. Zudem muss es dann erst einmal dem Münchner Stadtrat präsentiert werden.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5550654
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/lb
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.