Süddeutsche Zeitung

Neubiberg:Filtern statt Lüften

Die Gemeinde setzt an den Grundschulen ein Anti-Corona-Konzept aus der Bundeswehr-Universität um

Von Daniela Bode, Neubiberg

Die Gemeinde Neubiberg will zum Schutz vor einer Infektion mit dem Coronavirus für die Grundschüler nichts unversucht lassen. Sie will daher nicht nur auf das Tragen von Masken, Abstand und Lüften im Schulhaus setzen, wie es derzeit von der Politik vorgegeben ist. Sie will Raumluftreiniger mit besonders effektiven Filtern und Trennwände in den Klassenzimmern anbringen. Ein entsprechendes Konzept zum Schutz im Klassenzimmer hat Professor Christian Kähler vom Institut für Strömungsmechanik und Aerodynamik an der Bundeswehr-Universität in Neubiberg entwickelt. Nach den Untersuchungen der Wissenschaftler können die Filter das Ansteckungsrisiko stark verringern. In Neubiberg soll nun für beide Grundschulen pro Klasse und Nachmittagsbetreuungsgruppe je ein Gerät gekauft oder geleast werden. Das hat der Gemeinderat am Montag einstimmig beschlossen. Dafür hat er 100 000 Euro an außerplanmäßigen Ausgaben bewilligt. "Das ist eine sehr gute Entscheidung zum Infektionsschutz unserer Kinder", sagte Bürgermeister Thomas Pardeller (CSU).

Zwar helfen Mund-Nasen-Bedeckungen, um die direkte Infektionsgefahr etwa beim Sprechen zu verringern, wie Kähler in der Sitzung erläuterte. Nicht aber schützen sie vor der indirekten Infektion durch infektiöse Aerosole, die sich mit der Zeit im Raum anreichern. Dies können in einem Klassenzimmer aber Raumluftreiniger mit Filtern der Klasse H 14, wie Kähler und sein Team herausgefunden haben. Die Wissenschaftler füllten einen 80 Quadratmeter großen Raum mit künstlichen Aerosolen und verwendeten unter anderem einen Raumluftreiniger mit einem Volumenstrom von bis zu 1500 Kubikmetern pro Stunde. Innerhalb von kurzer Zeit war die Aerosolkonzentration stark reduziert.

Ein Vorteil der Geräte ist laut Kähler, dass die Virenlast im Raum "hinreichend niedrig" gehalten werden kann. Gegen die direkte Infektion schlagen die Wissenschaftler transparente Schutzwände mit umlaufender Kante zwischen den Schülern vor. "Die Mimik wäre erkennbar und die Kinder müssten keine Maske tragen", nennt Kähler die Vorteile. Der Professor trat Kritik an dem System entgegen. Ein Virologe habe behauptet, das Konzept funktioniere nicht, wenn Kinder sich im Raum bewegten. "Da sieht man, wie wenig Ahnung sie von Strömungsmechanik haben."

Die Anlagen arbeiteten dann sogar noch effektiver, weil eine Durchmischung im Raum stattfinde. Vom intensiven Lüften, das nun empfohlen wird, hält Kähler dagegen nicht viel. Die Räume kühlten so ab, dass die Heizungsanlagen nicht mehr ausreichten; auch sei es energetisch Unsinn. Vor allem aber behauptete Kähler: "Das freie Lüften ist nicht effektiv genug, um Viren rauszubringen." Nicht jedem im Gremium gefiel diese Deutlichkeit.

Er zweifle die Inhalte nicht an, sagte Jürgen Knopp (Freie Wähler). Es werde aber nicht der Wert der eigenen Wissenschaftlichkeit belegt, "indem man andere schlecht macht", sagte er. Kähler betonte indes: "Der Transport von Viren ist Strömungsmechanik, es ist kein Problemfall von Virologen", sagte er. Rathauschef Pardeller sprang Kähler zur Seite. Eine andere Universität bestätige die Studie. "Wir sollten jetzt mutig sein und mit gutem Beispiel vorangehen", sagte Pardeller.

Ziemlich schnell zeichnete sich im Gremium ab, dass man einer Meinung ist und Raumluftreiniger und Schutzwände für die Grundschulen anschaffen will. "Wir plädieren dafür, dass wir entschieden vorgehen und das für unsere Schulen umsetzen", sagte Leon Bogner von der CSU. Kilian Körner von den Grünen begrüßte es, wenn man die Geräte auch für die Nachmittagsbetreuungen oder etwa die Musikschule, die Räume in der Schule nutzt, zur Verfügung stellt.

Weil die Gemeinde nur Sachaufwandsträger der Grundschulen ist, kann sie über die Einführung des Konzepts nur für diese entscheiden. Ob andere Gemeinden oder der für die weiterführenden Schulen zuständige Landkreis nachziehen, wird sich zeigen.

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SZ vom 21.10.2020
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