Von Vancouver bis Wladiwostok, sagt Horst Teltschik, hätten alle unter der selben Sicherheitsarchitektur leben können. Es ist nicht lange her, berichtet er, da dachten die russischen Präsidenten über einen Beitritt zur Nato nach. Jelzin sagte damals, dafür sei es noch zu früh, und von Putin wisse er persönlich, dass Russland bereit war, in Fragen der Sicherheitspolitik zu kooperieren.
Wegweisende Erfahrungen wie diese teilte Teltschik am Donnerstagabend in Neubiberg mit seinem Publikum. Die Universität der Bundeswehr begrüßte den Politikberater, der die deutsche Außenpolitik des späten 20. Jahrhunderts mitgeprägt hat, zum biografischen Gespräch.

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Horst Teltschik war zwischen 1982 und 1990 unter Helmut Kohl als Ministerialdirektor im Bundeskanzleramt für auswärtige und innerdeutsche Beziehungen, Entwicklungspolitik und Äußere Sicherheit zuständig. Er gilt als Architekt der Deutschen Einheit, weil er bei richtungsweisenden Treffen zwischen Gorbatschow und Kohl federführend war. Später war er Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz. Der heute 81-Jährige wurde 1940 im heutigen Kujavy in Nordmähren geboren. Sein Vater kämpfte in beiden Weltkriegen. 1946 musste die Familie die Flucht nach Westen antreten. Sie flohen vom Sudetenland bis an den Tegernsee. Zu seinem sechsten Geburtstag bekam der kleine Horst Marmelade auf sein Brot - es war das einzige Geschenk. "Wir waren in Bayern nicht unbedingt willkommen. Wenn einer gefragt hat, wer ich bin, dann antwortete der Bayer nicht: das ist der Horst Teltschik, sondern: Das ist der Flüchtling", erinnert er sich. Und das war 1960. Es sei ein hartes Leben gewesen, deshalb habe er großes Verständnis für die Probleme der Geflüchteten, die heute zu uns kommen.
Teltschik spricht langsam, aber klar und strukturiert. Die Schärfe seines Geistes blitzt in jedem seiner wohlüberlegten Sätze auf. Die Moderatorin des Abends, Professor Manuela Pietraß, fragt ihn nach seinem "inneren Geländer" und seiner "Sicherheit, das Richtige zu tun". Doch auf die abstrakten Fragen antwortet Teltschik mit Beispielen aus seinem Leben. Bei mehr als 70 Treffen zwischen Frankreichs Präsident Mitterrand und Kanzler Kohl war er dabei.
Für die Universität der Bundeswehr steht der Abend unter dem Motto "Innere Führung". In Koblenz betreibt die Truppe das "Zentrum Innere Führung": eine Denkfabrik für Führungskultur. Von Horst Teltschik sollen die Studierenden lernen, in Momenten, für die es kein Patentrezept gibt, trotzdem handlungsfähig zu bleiben. Es geht darum, "dass die Studierenden an konkreten biografischen Situationen lernen, was es heißt, Verantwortung zu übernehmen", sagt Manuela Pietraß.
Auch Neubibergs Bürgermeister Thomas Pardeller (CSU) ist in den Audimax gekommen. Er freut sich, dass die Universität ein Magnet für herausragende Persönlichkeiten und ein Aushängeschild der Gemeinde ist. Verschiedene Meinungen im Dialog einzubeziehen und trotzdem für seine Vision zu kämpfen - diesen Spagat Teltschiks möchte der Bürgermeister in seine eigene Arbeit einfließen lassen. Die deutsch-russischen Beziehungen sind das Thema, das Teltschik besonders beschäftigt. Er hält nichts von Konfrontation und Sanktionen. "Wir müssen zusammenarbeiten und zusammenleben."
Teltschik kommt oft auf seine Bundeswehrzeit zu sprechen. Als er als 19-jähriger Unteroffizier über die Gräueltaten des Nationalsozialismus dozierte, saßen noch zahlreiche Ordensträger aus dem Zweiten Weltkrieg vor ihm auf der Schulbank. Verachtung schlug ihm entgegen, berichtet er. Dennoch: Die Grundlagen innerer Führung, die er beim Bund vermittelt bekam, hätten ihn sein ganzes Leben lang begleitet. Erst analysieren, dann bewerten und daraus schlussfolgern - dieser erlernte Umgang mit militärischen Lagen sei in der Politik genauso nützlich wie auf dem Schlachtfeld.
Nach dem Wehrdienst ging Teltschik nach Berlin, studierte an der Freien Universität Politik. 1968 bekam er eine Stelle als Assistent seines Professors Richard Löwenthal, 1970 wechselte er in die CDU-Bundesgeschäftsstelle. Teltschik ging zu Ministerpräsident Kohl in die Landespolitik, setzte auf die richtige Karte und zog an Kohls Seite ins Kanzleramt ein.
Auf dem diplomatischen Parkett habe es immer geholfen, sich in die Kultur eines Landes einzuarbeiten - von chinesischen Sprichwörtern bis zu antikolonialen Freiheitskämpfen, sagt Teltschik. Wenn ein Plausch zu Beginn das Eis bricht, sei jede Minute gut investiert. Übrigens, sagt er, gebe es in der chinesischen Kultur großartige erotische Literatur. Mit einem Zitat aus dem "Traum der roten Kammer" habe er vielen chinesischen Diplomaten ein Lächeln ins Gesicht gezaubert.