Neubiberg:Aufklärung mit der Pistole

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Mit der Waffe in der Hand zwingt die Lehrerin ihre Schüler, Schillers Aufklärungswerk "Die Räuber" zu lesen. (Foto: Claus Schunk)

Das Oberstufentheater am Gymnasium Neubiberg inszeniert "Verrücktes Blut" des Berliner Regisseurs Nurkan Erpulat als packendes Theaterstück um die Ängste und Widersprüche von Integration.

Von Daniela Bode, Neubiberg

Sie spucken, nutzen eine derbe Sprache, sind gewaltbereit, haben keinen Bock auf das, was ihnen ihre Lehrerin beibringen will. Die Klasse aus Türken und Arabern bedient alle negativen Klischees. Bis die Lehrerin eine Knarre in der Hand hält. "Wie lauten die letzten Worte Karl Moors in den Räubern?", schreit sie Musa, den Obermacker der Klasse, mit vorgehaltener Pistole an. "Fick dich!", ruft er ihr zu. Die Mitschüler weinen. Schließlich feuert die Lehrerin einen Schuss ab.

Sie zwingt die Schüler, Textpassagen aus Schillers Werk zu lesen. Sie will Musa beibringen, dass es nicht "isch" heißt, sondern "ich". Selbst er ist am Ende gebrochen und macht mit. Allein die Probe des Oberstufentheaters des Gymnasiums Neubiberg packt den Zuschauer, stimmt nachdenklich. Das soll das Stück auch.

"Verrücktes Blut" ist ein Stück über den Zusammenprall fremder Kulturen

"Mir ist wichtig, dass sich der Zuschauer nicht zurücklehnt und denkt, "das hat ja mit mir nichts zu tun"", sagt Alexander Klessinger, der Leiter des Oberstufentheaters. Er studiert mit den Schülern gerade "Verrücktes Blut" von Nurkan Erpulat und Jens Hillje ein. Ein Stück, das aktueller nicht sein könnte, über den Zusammenprall fremder Kulturen, gescheiterte Integration und den Blick darauf.

Das Oberstufentheater bringt das Werk am 24., 26. und 27. Februar auf die Bühne. Es ist ein modernes Stück, 2010 geschrieben und im Ballhaus in Berlin aufgeführt. Klessinger sah es damals, konnte auch mit dem Regisseur sprechen, er war begeistert. Weil die Sprache "so derb ist", schreckte er zunächst vor dem Stoff zurück. Durch das Flüchtlingsthema sei es für ihn sehr legitim geworden, das Stück nun zu bringen.

Ihm gefallen die "extreme Aktualität" und die überinszenierten Widersprüche. Er erwähnt die aktuelle Debatte um eine Leitkultur und die Forderungen, Flüchtlingen Regelhefte an die Hand zu geben. Die Lehrerin im Stück versucht, mit ihren Schülern "Die Räuber" durchzunehmen. Die interessiert das herzlich wenig. Erst als einem Schüler die Waffe aus der Tasche fällt und die Lehrerin diese ergreift, kann sie sich die ersehnte Aufmerksamkeit verschaffen. Sie will mit Gewalt Aufklärung und Werte vermitteln.

Eingestreute Dialoge verleihen dem Stück eine Metaebene

"Plakativ gesprochen will sie die ,Wilden' in der westlichen Hochkultur domestizieren", sagt Klessinger. Und zwar mit der Pistole. Völlig absurd, findet Klessinger, mit Waffengewalt Aufklärung vermitteln zu wollen, gehe es doch um Werte wie Freiheit. Außerdem überzeugt Klessinger an dem Stück der Widerspruch, dass die Lehrerin das aufklärerische Werk "Die Räuber" durchnehmen will, das für die damalige Zeit in einer sehr aufmüpfigen Sprache geschrieben ist, - und dabei ihre Schüler doch die Räuber von heute seien. Als zentrale Botschaft des Stücks sieht der Leiter zudem, dass Vorurteile gegenüber Fremden und der Jugend von heute fehlangebracht sind, "weil sie Potenziale bergen können, die wir nicht beurteilen können".

Klessinger, der als Deutsch- und Sozialkundelehrer an der Waldorfschule in Daglfing arbeitet, leitet das Oberstufentheater am Neubiberger Gymnasium seit drei Jahren. Wie auch in den Vorjahren hat er das Stück mit seinen Schülern bearbeitet. Während des Stücks streuen sie immer wieder Monologe ein, die das Gehörte einordnen, eine Metaebene schaffen.

Zu Beginn spricht eine Schülerin einen Text des Kabarettisten Georg Schramm, der die Selektionsmaschinerie angreift. Nur, sie spricht ihn ernst, man merkt nicht, dass es ein Kabarett-Text ist. Dadurch wirkt er umso härter. Gerade die Monologe sollen die Zuschauer direkt ansprechen und dazu führen, dass sie sich nicht gemütlich zurücklehnen können.

Gibt es perfekte Integration?

Die Hauptfigur der Lehrerin hat Klessinger auf drei Rollen aufgeteilt. Jede stellt eine Facette der Pädagogin dar. Julia Bader spielt die ambitionierte Lehrerin, Ella Römer die unsichere, sanfte und Elisa Hafner die böse, verbitterte. Philipp Gorissen schlüpft in die Rolle des aufmüpfigen Wortführers Musa.

Zurücklehnen ist wirklich nicht angesagt, hält das Stück doch ständig überraschende Wendungen bereit. Beispielsweise jene, dass die Lehrerin selbst Türkin ist. Nur hat sie sich so perfekt assimiliert, dass man ihr das nicht mehr anmerkt. Perfekt integriert sozusagen. Oder doch nicht? Sowohl der Thematik als auch der Theaterprobe nach zu urteilen: Ein Besuch des Stücks lohnt sich allemal.

Das Gymnasium Neubiberg zeigt "Verrücktes Blut" am 24., 26. und 27. Februar, 19 Uhr, im Theaterkeller der Schule. Der Eintritt ist kostenlos.

© SZ vom 12.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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