Nationalsozialismus:Die Nazi-Bonzen von Grünwald

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Der Leiter der Deutschen Arbeitsfront, Robert Ley (rechts mit seiner Frau Inga), hatte eine Villa in Grünwald. (Foto: Bayerische Staatsbibliothek München/Bildarchiv)

Die Historikerin Susanne Meinl berichtet in einem Vortrag, wie der Münchner Vorort prominente Vertreter des NS-Regimes anzog. Zeitzeugen steuern eigene Erinnerungen bei.

Von Carina Seeburg, Grünwald

Hitlers Sekretär Martin Bormann, NSDAP-Reichsschatzmeister Franz Xaver Schwarz und der prunksüchtige Leiter der Deutschen Arbeitsfront, Robert Ley - eine ganze Reihe von Nazi-Größen lebte in Grünwald. "Genaue Übersicht wird man aber erst nach Durchsicht der Kataster haben", erklärt Susanne Meinl. Die Historikerin ist von der Gemeinde beauftragt worden, Informationen über die Jahre zwischen 1933 und 1945 zu sammeln und die Zeit des Nationalsozialismus in Grünwald aufzuarbeiten. An diesem Donnerstag wird Meinl die Ergebnisse ihrer Recherchen in einem Vortrag darlegen.

Seit Juni arbeitet die 55-Jährige an einer Vorstudie, die Quellen lokalisieren, Themen generieren und Publikationskonzepte vorlegen soll, denn was sich während der Nazidiktatur in Grünwald abspielte, ist wissenschaftlich noch nicht erforscht. Dabei lebten in Grünwald hochrangige Funktionäre des NS-Staats. Auch Parteigrößen bis hin zu Adolf Hitler statteten dem Ort wiederholt Besuche ab.

"Als Kinder sahen wir die Nazi-Bonzen immer nur in Kolonnen vorbeifahren. Wir waren ja alle beim Jungvolk und mussten mit Fähnlein Spalier stehen", erinnert sich Otto-Ernst Holthaus, der in Grünwald aufgewachsen ist. "Aber diese Leute saßen ja immer hinter Scheiben und waren schwer bewacht", erzählt Holthaus, für ihn sei nicht erkennbar gewesen, in welchem der Fahrzeuge Adolf Hitler oder Franz Xaver Schwarz vorbeifuhren. "Und gegen Ende des Kriegs waren wir dann so beschäftigt mit den ständigen Fliegerangriffen - da war uns egal, wer hinter der Scheibe sitzt."

NSDAP-Reichsschatzmeister Franz Xaver Schwarz residierte im "Parkschlösschen". (Foto: Bayerische Staatsbibliothek München/Bildarchiv)

Besonders häufig wird der Reichsschatzmeister Schwarz im Inneren eines vorbeifahrenden Wagens gesessen haben. Seit 1934 residierte er im "Parkschlösschen", das sich auf einem Areal der NSDAP befand und ihm später von Adolf Hitler zum 65. Geburtstag als Dank für seine langjährigen Dienste übereignet wurde. "Schwarz hat entscheidenden Einfluss auf den Ort genommen", betont Meinl. Das beziehe sich sowohl auf die Auswahl der NS-Würdenträger und die des Bürgermeisters als auch auf die politische Überwachung der Einwohner. Die Durchdringung des ursprünglich eher konservativ-katholischen Orts durch nationalsozialistische Organisationen und Ideologie habe Schwarz vorangetrieben. Eine zweite NS-Größe sei der Führer der Deutschen Arbeitsfront, Robert Ley, gewesen, erzählt Meinl. Ley habe sich am Isarhochufer 1937 eine Villa errichten lassen, die er und seine Frau Inga vornehmlich als "gehobene Absteige" genutzt hätten, wenn Ley zu Terminen wie den Erinnerungsfeiern zum Hitler-Putsch oder zu Ausstellungen im "Haus der deutschen Kunst" nach München reiste.

Obwohl in Grünwald nur wenige Juden mit Hauptwohnsitz lebten, sei das Ausmaß an "Arisierungen" groß gewesen, sagt Meinl, die von zahlreichen Einzelschicksalen zu berichten weiß. So seien in das Haus der Witwe des Juweliers Eduard Schöpflich Nationalsozialisten eingezogen. "Sie schikanierten die jüdische Eigentümerin bis zu ihrer Flucht ins Ausland mit Nazi-Propagandareden im Radio und einem mitgebrachten Führerbild".

Überrascht zeigt sich Meinl zudem über das Ausmaß an Denunziationen, das in Grünwald in Dichte und Dauer im Vergleich zu anderen Gemeinden bis in die letzten Kriegstage außergewöhnlich hoch gewesen sei. Hier werde weiter geforscht. Die Quellenlage zur NS-Zeit in der Gemeinde sei dabei teilweise mangelhaft. Viele Akten seien noch in den Fünfzigerjahren vernichtet worden. Es gebe aber Parallelüberlieferungen. Für ihre Recherche sei daher "emsige Grundlagenarbeit" nötig.

In den Fokus ihrer Forschung sei dabei auch die lokale Aktivistengruppe der Widerstandsbewegung "Freiheitsaktion Bayern" und ihre mögliche Vernetzung mit der Weißen Rose und Widerstandszellen der französischen und sowjetischen Kriegsgefangenen gerückt. Die Aktenrecherche verspreche auch hier noch neue Erkenntnisse. "Bei meiner Arbeit spielt immer auch das Gespräch mit Zeitzeugen eine große Rolle", sagt Susanne Meinl. Für das Erfassen sozialer und politischer Interaktionen in einer Gemeinde sei das Gespräch ebenso wichtig wie die Arbeit mit schriftlichen Zeugnissen.

Der weiteren Aufarbeitung der NS-Zeit in Grünwald steht derweil nichts im Weg: Im Haushalt 2020 hat die Gemeinde weitere 300 000 Euro für das Projekt bereitgestellt.

Der Vortrag von Susanne Meinl zur NS-Prominenz in Grünwald im Bürgerhaus Römerschanz in Grünwald an diesem Donnerstag ist öffentlich und beginnt um 19 Uhr. Drei Zeitzeugen aus Grünwald, Otto-Ernst Holthaus, Paul Neumann und Anton Schöllhorn, erzählen zudem von persönlichen Erlebnissen und Eindrücken aus der NS-Zeit.

© SZ vom 23.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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Aufarbeitung der Geschichte
:Die Nazis drängten früh nach Grünwald

Historikerin Susanne Meinl liefert einen ersten Bericht über ihre Recherche zur NS-Zeit in der Gemeinde. Demnach gab es bereits 1931 Pläne für eine SA-Schule, später ließen sich Größen des Regimes in protzigen Villen nieder.

Von Claudia Wessel

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