Nachverdichtung:Aufstand im Vogelviertel

Nachverdichtung: Wolfram Wolski, Karin Luginger, Rolf Rachor, Sylvia Schwerer (von links) protestieren gegen den Bau neuer Wohnhäuser.

Wolfram Wolski, Karin Luginger, Rolf Rachor, Sylvia Schwerer (von links) protestieren gegen den Bau neuer Wohnhäuser.

(Foto: Sebastian Gabriel)

Anwohner wollen verhindern, dass in der Ottobrunner Siedlung weitere Wohnungen gebaut werden. Sie argumentieren mit einem Vertrag aus den Sechzigerjahren. Doch der ist laut Gemeinde nicht gültig.

Von Martin Mühlfenzl, Ottobrunn

Rolf Rachor und Karin Luginger stehen am westlichen Ende des Vogelviertels in Ottobrunn, beide mit Dokumenten in der Hand. Ruhig ist es hier, grün, ein lauer Luftzug ist zu spüren, nur das etwas unaufgeräumte Müllhäuschen stört das Gartenstadtidyll ein wenig. Und die Flyer an den Bäumen, die um Luginger und Rachor herumstehen. "Bäume - Ruhe - Friede, hier gilt das Klimaschutzgesetz" ist darauf zu lesen. "Die sollen alle weg, werden alle gefällt", sagt Karin Luginger, die direkt auf den anderen Straßenseite wohnt. Sie klingt nicht zornig oder wütend, aber bestimmt - und es wird sofort klar, dass sie Angst hat um ihr Idyll, ihre Siedlung.

Seit sechs Jahren führen Luginger, Rachor und ihre Mitstreiter einen Abwehrkampf, organisiert haben sie sich im Bürgerforum Vogelviertel, auch Initiative Zaunkönigstraße genannt. Und sie wehren sich gegen das Projekt, das die Namen der beiden Straßen trägt, die das Areal einrahmen: "Bebauungsplan 127 Zaunkönigstraße/Zeisigstraße".

Der Münchner Investor Felix Einbauer will in der einst als Glasscherbenviertel verschrienen Siedlung vier Wohnblocks mit weiteren 40 Wohnungen errichten; der Planungsausschuss des Gemeinderats hat hierfür im Juni den Weg frei gemacht. Zwei Häuser auf bereits versiegelten Flächen - auf dem einstigen Gewerbeareal im Nordosten sowie im südlichen Bereich wo heute noch Garagen stehen. Sowie zwei Blocks auf unbebauten Flächen im Westen sowie inmitten der Siedlung samt einer Tiefgarage für 92 Stellplätze auf zwei Etagen.

In den vergangenen Wochen haben die Initiatoren des Bürgerforums Unterschriften, gesammelt, Infostände abgehalten und einen offenen Brief an Bürgermeister Thomas Loderer (CSU) geschickt. Sie fürchten um die Ruhe in ihrem Viertel, eine Zunahme an Verkehr, an Lärm, die Zerstörung von Grünflächen und Bäumen. Insgesamt 71 müssten gefällt werden, würden die Pläne so umgesetzt, wie sie jetzt auf dem Tisch liegen. "Eine Kommunikation mit dem Bürgermeister findet nicht statt", kritisiert Karin Luginger bei einem Spaziergang durch das Vogelviertel. Sie ist hier zu Hause, am Rande des Viertels wohnt sie in einem Haus, das einst ihrem Vater gehörte.

Johann Luginger hat 1966 mit Bürgermeister Ferdinand Leiß eine Vereinbarung getroffen, als die ersten Wohnblocks zwischen Zaunkönig- und Zeisigstraße in Sichtweite seines Hauses gebaut wurden. Schon damals war Nachverdichtung ein Aufregerthema, nicht nur in Ottobrunn, der flächenmäßig kleinsten Gemeinde des Landkreises mit der zweithöchsten Bevölkerungsdichte Deutschlands nach München. Dieses Dokument führt seine Tochter gerne ins Feld, regle es doch, dass auf diesem Gebiet nicht mehr nachverdichtet werden darf. "Das hat keinen Bestand mehr", erklärt Ottobrunns Bauamtsleiter Stefan Buck bei einem Pressetermin am Tag nach dem Spaziergang. Die Gemeinde habe dies prüfen lassen. "Eine Kommune darf sich städtebaulich nicht binden", sagt Buck.

Nachverdichtung: Der Protest wird auch mit Plakaten an Häusern zum Ausdruck gebracht.

Der Protest wird auch mit Plakaten an Häusern zum Ausdruck gebracht.

(Foto: Sebastian Gabriel)

Rathauschef Thomas Loderer betont, er habe Verständnis für die Ängste und Sorgen der Anwohner. Und dass die vorhanden seien, zeigten die nahezu 200 Einwendungen gegen das Projekt, die in den vergangenen Wochen im Rathaus eingegangen seien. Aber es gehe vor allem darum, bezahlbaren Wohnraum zu sichern und auszubauen, den die Gemeinde auch noch selbst vergeben könne. Bei einer Informationsveranstaltung am 7. Oktober will Loderer Fragen beantworten und das Projekt erläutern.

Dann wird sicher auch der Begriff Erbbaurecht fallen. Denn die Besitzverhältnisse im Vogelviertel sind kompliziert. Ein Teil gehört den Wohnungseigentümergemeinschaften, einer der Firma Eichbauer und ein nicht unerheblicher Teil der Gemeinde. Im Jahr 1964 hat die Gemeinde der Firma Eichbauer ein Erbbaurecht und die Firma der Gemeinde gleichzeitig ein Belegungsrecht für die 68 Wohnungen zu vergünstigten Mieten eingeräumt. Das Erbbaurecht läuft noch bis ins Jahr 2063 - das Belegungsrecht endet hingegen am 1. Januar 2027.

Nachverdichtung: Für die Häuser müssten 71 Bäume weichen.

Für die Häuser müssten 71 Bäume weichen.

(Foto: Sebastian Gabriel)

In den Verhandlungen hat der Investor laut Loderer zugestanden, den Vertrag zu ändern und die Laufzeit des Belegungsrechts für die 68 Wohnungen um 99 Jahre zu verlängern. Für 30 Prozent der neuen Wohnungen erhalte die Gemeinde das Belegungsrecht auf 30 Jahre. Wohnraum, den Ottobrunn dringend brauche, sagt Loderer. Er glaube, dass für alle Anwohner die Lebensqualität steigen könne, sagt Loderer. "Da steckt viel Überzeugung drin." Und noch sei nicht alles in Stein gemeißelt, es werde weiter diskutiert, ob die Abstände zwischen Neu- und Altbauten so eng sein müssten, ob hier und da etwas an der Struktur geändert werden könne. Nur eines macht er auch klar: "Dass im Vogelviertel nichts passiert, ist ausgeschlossen."

Am Infostand wird diskutiert. Die Resonanz der Ottobrunner sei "gewaltig", sagt Rolf Rachor. Beim Spaziergang erklärt er: "Alles was ins Grün geht, ist ein Fiasko. Alle hier werden geschädigt." Karin Luginger sagt: "Mein Vater hat damals schon gesagt: Bauen ja, aber mit Augenmaß." Rachor hat am Rande der Siedlung sein Haus, ein einst "renovierungsbedürftiges". Viele Bewohner der Wohnblocks, Maler und Schreiner, hätten ihm bei der Sanierung geholfen. "Jetzt helfen wir ihnen, damit sie nicht dicht gedrängt und eingepfercht leben müssen."

Dann fährt Rachor seine Hand aus, als wolle er die Wiese beschützen, auf der er steht. "Das ist eigentlich geheiligter Boden", sagt er. Das ehemalige Außenlager des Konzentrationslagers Dachau habe hier gestanden. "Vielleicht wäre ein Erinnerungsort das richtige. Bäume, Bänke, ein paar Tafeln."

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