Nachverdichtung:Lass mich in Ruhe

Übergroßer Gartenzwerg in Lochhausen, 2018

Hinter der Thujenhecke lauert der Feind. So zumindest empfinden es immer mehr Menschen.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Nachbarschaftsstreitigkeiten hat es schon immer gegeben. Aber seit es immer voller und enger im Ballungsraum wird, nehmen auch die Zwistigkeiten zu. Jeder will in seiner eigenen kleinen Nische möglichst ungestört bleiben.

Von Iris Hilberth

Die hohen Bäume in Nachbars Garten verschatten das eigene Grundstück, mit seinem fremden Laub muss man sich auch noch herum plagen und die neue Terrassenüberdachung ist ästhetisch zweifelhaft. Darf der das überhaupt? Es gibt viele Gründe, sich über die Leute von nebenan aufzuregen, sich über sie zu beschweren oder sie gar anzuzeigen. Rainer Schäfers, Vorsitzender des Kreisverbands München für Gartenkultur und Landespflege, kennt solche Probleme schon lange, doch er hat festgestellt: "Der Ärger hat in den vergangenen Jahren zugenommen." Die Grundstücke seien kleiner geworden, jeder wolle seinen Platz behaupten. Mit der Nachverdichtung ist auch die Toleranzgrenze gesunken.

Wie sehr das Thema die Leute umtreibt, zeigte sich diese Woche bei einer Veranstaltung des Gartenbauvereins Unterhaching, bei der die Neubiberger Rechtsanwältin Christina Oelke-Koch über Nachbarrecht informierte. Darf ich die Äste von Nachbars Hecke einfach abschneiden? Kann ich die herüberwachsenden Früchte ernten? Wie nah darf der Nachbar seine Bäume an die Grundstücksgrenze pflanzen oder seinen Carport bauen? Und kann ich ihm verbieten, permanent seinen Mähroboter herumfahren zu lassen? Das sind Fragen, die immer wieder auftauchen. Vor allem wenn man sich immer näher auf die Pelle rückt wie im Ballungsraum München, wo möglichst jede Baulücke und jeder Quadratmeter ausgenutzt werden.

Kann man dem das verbieten?

In der Unterhachinger Gemeindeverwaltung kennt man solche Beschwerden, und sie haben laut Rathaussprecher Simon Hötzl in den vergangenen Jahren auch zugenommen. Mit der Frage "Kann man dem das verbieten?" werden die Mitarbeiter der Bauabteilung in Beratungsgesprächen häufig konfrontiert. Dort versteht man meist beide Seiten. Denjenigen, der bei den wahnsinnig gestiegenen Bodenpreisen bis an die Grenze alles ausnutzen will, aber auch diejenigen, die sich daran stören, dass auf der als Stellplatz ausgewiesenen Fläche jetzt die Hollywood-Schaukel und das Trampolin stehen, während das Auto auf der Straße parkt.

Häufig, sagt Hötzl, bewege man sich im Graubereich. Man könne gar nicht sagen, dass wirklich viele unrechtmäßig handelten. Klar beschwerten sich die Nachbarn bei An-, Um- und Neubauten, über Abstandsflächen oder zweckentfremdete Terrassen. Man könne auch nachvollziehen, dass viele um den Erhalt des Gartenstadtcharakters mancher Gebiete fürchten. Etwa in dem Ortsteil nahe der Sankt-Alto-Kirche westlich der Robert-Koch-Straße, der sogenannten Kriegersiedlung, ein klassisches Nachverdichtungsareal. Hierfür stellt die Gemeinde jetzt einen Bebauungsplan auf, um die Entwicklung in geregelte Bahnen zu lenken und den Charakter der Siedlung zu erhalten. "Wir müssen das ausbalancieren", sagt Hötzl.

Anderen Gemeinden geht es ähnlich. In Feldkirchen etwa haben Verwaltung und Gemeinderat mit ihren Plänen, rund um die Danziger Straße Baulücken zu schließen, einen solchen Packen von Einwänden der Bürger auf den Tisch bekommen, dass sich das Befassen mit all den Bedenken zu einer zeitlich umfangreichen Angelegenheit auswächst. Es ist so wie überall: Die einen wollen ihre Grundstücke ausnutzen, die anderen am liebsten, dass alles so bleibt, wie es ist.

"Jeder will sein Grundstück bestmöglichst ausnutzen."

Im Zweifelsfall muss das Landratsamt entscheiden, ob der bei den Nachbarn unbeliebte hohe Zaun, das überdimensionierte Gartenhäuschen, der Wintergarten oder die Terrasse auf dem Garagendach wieder weg müssen. Christine Spiegel, die Sprecherin der Behörde, bestätigt den sukzessiven Anstieg solcher Beschwerden in den vergangenen Jahren. "Es ist nicht sprunghaft mehr geworden, eher schleichend", sagt sie. Das Landratsamt führt solche Konflikte ebenfalls auf die Nachverdichtung und die steigenden Grundstückspreise zurück. "Jeder will das bestmöglichst ausnutzen."

Wenn es einem nicht passt, was der Nachbar so macht, rufen manche gerne die Polizei. Stefan Schraut, der Leiter der Polizeiinspektion Unterhaching, kennt solche Streitigkeiten schon lange. Dass sie zunehmen, ist ihm nicht aufgefallen. Häufig, sagt Schraut, lägen dem aktuellen Anlass jahrelange Streitigkeiten zu Grunde. "Aber in den meisten Fällen sind das keine Ordnungswidrigkeiten, also nichts, was die Polizei betrifft." Die schickt dann ihren Kontaktbeamten, der versucht, zwischen den Nachbarn zu vermitteln.

Oft gehe es bei den Anrufen um geparkte Wohnmobile oder einfach zu viele Autos auf öffentlichem Grund. Zugeparkte Straßen eben, die im Zuge der Urbanisierung im Münchner Umland zur Normalität geworden sind, die Leute aber zunehmend nerven und bei Bürgerversammlungen häufig zu Protest führen. "Dass wir um den Block fahren müssen, um unser Auto zu parken, sind wir hier nicht gewohnt", sagt Oberhachings Bürgermeister Stefan Schelle, "aber das ist ein Prozess, der mit der Nachverdichtung einhergeht".

Mitunter aber bekommt es die Polizei bei Nachbarschaftskonflikten auch mit skurrilen Dingen zu tun. So habe sich diesen Sommer jemand über seine Nachbarn beschwert, die immer nackt in ihrem Garten herumliefen, berichtet Schraut. "Die waren schon etwas betagter, also im Seniorenalter, und der Nachbar meinte, die würden das nur machen, um ihn zu ärgern."

Die 40 Gartenzwerge mussten weg

Auch Rechtsanwältin Oelke-Koch berichtete vor den Gartenfreunden von kuriosen Fällen. Etwa von jenem Nachbarn, der seine 40 Gartenzwerge vom Vordach entfernen musste, weil die gegen denkmalschutzrechtliche Vorschriften verstießen. Oder von dem Mann, der die Drohne seines Nachbarn abgeschossen hat, weil die immer über seinen Garten flog und die Kinder erschreckte. Aber egal, ob rüberwachsende Äste, Lärm von der quietschenden Schaukel oder Gestank vom Grill - Oelke-Koch sagt: "Ich verstehe, dass man ungute Gefühle gegen den Nachbarn hegt." Aber wenn man ihn anzeige, komme garantiert die Gegenanzeige. "Lassen Sie es einfach."

Zumal nach dem Bayerischen Schlichtungsgesetz bestimmte Nachbarschaftsstreitigkeiten, insbesondere um private Immissionen und den Grenzabstand von Pflanzen, nicht mehr direkt im streitigen Verfahren vor Gericht ausgetragen werden. Es muss zunächst ein außergerichtlicher Schlichtungsversuch unternommen werden. Die wichtigste Regel im Nachbarschaftsstreit sei die Einigung, so Oelke-Koch. Die habe absoluten Vorrang. Sie rät: "Sprechen Sie miteinander."

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