Süddeutsche Zeitung

Nachhilfe in den Ferien gefragt wie nie:Büffeln statt baden

Lesezeit: 4 min

Von wegen große Ferien: Wegen des wachsenden Leistungsdrucks müssen viele Schüler auch in den Sommerwochen lernen. Nachhilfestudios und Unternehmen haben sich darauf eingestellt und bieten Lerncamps für viel Geld an. Pädagogen und Psychologen warnen.

Von Iris Hilberth

Endlich Ferien! Nach der Zeugnisvergabe wird der Schulranzen in die Ecke gefeuert. Jetzt ist erst einmal Schluss mit Lateinvokabeln, mit Kurvendiskussionen und Gedichtinterpretationen. Nun beginnt die große Freiheit, die immerhin sechs Wochen lang dauern soll, mit Ausschlafen, Freibad und Nichtstun.

So stellen sich die meisten Schüler ihren Sommer vor. Doch Eltern sehen das zunehmend anders und wollen die lernfreie Zeit nutzen, um bei ihren Kindern Wissenslücken zu schließen, Schulstoff nachzuholen oder sie auf das kommende Schuljahr vorzubereiten. Büffeln statt baden. Der Markt für Nachhilfe in den Ferien boomt.

Ein Lerncamp am Starnberger See etwa kann man bei Lernteam, einer privaten Bildungseinrichtung, buchen. Ein bis vier Wochen kosten zwischen 790 und 2790 Euro. Zusatzangebote wie Tennis, Bogenschießen und Surfen kosten extra. Mit "Latein direkt am Hexenstein" wirbt der Anbieter "Mind-unlimited". Er bietet eine Woche Sprachintensivierung im Camp für 559 Euro an. Unter dem Motto "Der Sommer gehört dir" will die Action Company das Lernen in den Ferien schmackhaft machen. Sie verspricht neben "Mathe statt Mittelmeer" auch jede Menge Freizeitspaß für 439 Euro die Woche. Wer nicht so weit verreisen will, dem bietet ein Camp in Aschheim Wanderungen, Spiel und Spaß "auf Englisch" an. In Grünwald kann man unterdessen bei einem Baseball-Camp noch eine Fremdsprache intensivieren.

Aber auch die Nachhilfe-Institute im Landkreis München haben ihre Angebote längst auf die Ferien ausgedehnt. "Die Nachfrage ist in den vergangenen Jahren stark angestiegen", sagt der Thomas Momotow, Sprecher von Studienkreis, einem Nachhilfeunternehmen, das seit 44 Jahren deutschlandweit auf dem Markt ist. Das kann die Leiterin der Filiale in Unterhaching, Sabine Köhle, bestätigen. Nur jeder vierte Schüler nehme im Sommer eine echte Auszeit, ist man bei der Schülerhilfe überzeugt.

In den vergangenen zehn Jahren seien die Buchungen in Bayern um etwa 40 Prozent gestiegen. Deutschlandweit nähmen 10 000 Schüler die Angebote des Studienkreises in den Ferien wahr. Daher biete man spezielle Kurse an, etwa zehn mal 45 Minuten, ein Schnupperangebot sozusagen, wie Momotow erläutert. "Wer Gefallen daran findet, schließt mitunter einen Vertrag mit uns ab." Natürlich solle das Lernen in den Ferien nicht in Stress ausarten, betont er. 90 Minuten am Tag seien das richtige Pensum.

Das Ziel: Übertritt aufs Gymnasium

Auch Fabiola Schimeck vom Verein Schlauer e.V. Garching beobachtet seit zehn Jahren einen enormen Anstieg der Nachfrage. "Das hat gewaltig zugenommen", sagt sie. Früher hätte während der Ferien Flaute in der Nachhilfe geherrscht, man habe dann hauptsächlich Deutschkurse etwa für Gastprofessoren aus dem Ausland angeboten. Insbesondere in der zweiten Hälfte der Sommerferien schickten nun aber viele Eltern ihre Kinder zur Nachhilfe. "Der Anspruch ist gestiegen, Eltern sind unsicher", sagt Sozialpädagogin Schimeck. Vermehrt kämen auch Grundschüler. "Da geht es bei den meisten um den Übertritt auf das Gymnasium."

Mehr Buchungen in den Ferien beobachtet auch Anja Lerner, Inhaberin der Schülerhilfe in Haar, Kirchheim, Markt Schwaben und Vaterstetten. "Das nimmt von Jahr zu Jahr zu", sagt sie. Auch sie stellt fest, dass immer öfter ab der dritten Klasse Nachhilfe genommen wird, "wenn die Noten nicht passen". Hauptsächlich sei Mathe nachgefragt. Gebucht werde nicht erst, wenn das Zeugnis auf dem Tisch liegt. "Die meisten Mütter sind da sehr gut auf dem Laufenden und melden sich Mitte Juli bei uns", sagt Lerner. Vor allem auch, weil sie wüssten, dass im neuen Schuljahr bereits in der dritten Schulwoche die Jahrgangsstufentests anstehen.

Pro Jahr wird in Deutschland etwa eine Milliarde Euro für Nachhilfe ausgegeben. Wie der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) mitteilt, gibt es zwar keine offizielle Erhebung, allerdings gäben Studien wie von Bertelsmann Anhaltspunkte, wonach 14 Prozent aller Eltern ihren Kindern permanent Nachhilfe geben und dafür durchschnittlich 87 Euro im Monat, also 1043 Euro im Jahr ausgeben. 61 Prozent aller Nachhilfeschüler lernen Mathematik, gefolgt von Fremdsprachen (46 Prozent) und Deutsch (31 Prozent).

Dass nun auch vermehrt in den Ferien gepaukt wird, sieht man beim BLLV sehr kritisch. Man merke, dass der Markt sich darauf einstellt, sagt Präsidentin Simone Fleischmann und mahnt: "Wir brauchen alle eine Pause." Sie könne die Eltern aber auch verstehen, die verhindern wollten, dass ihr Kind durchfällt. "Wir leben nun mal in einer Leistungsgesellschaft, in der wir uns auf Noten fokussieren." Man solle also die Schuldigen nicht bei Eltern oder Lehrern suchen, sondern im Schulsystem.

Längst betrifft das Lernen in den Ferien nicht mehr nur die Leistungsschwächeren, denen Sitzenbleiben droht. Früher, sagt Fleischmann, habe es Nachhilfe nur in "Krisensituationen" gegeben, etwa nach langer Krankheit oder Auslandsaufenthalten, um Stoff nachzuholen. Das ist inzwischen anders. "Gerade im Landkreis München, wo die Wirtschaft boomt, will man oben mitspielen", sagt Fleischmann, die Rektorin der Grund- und Mittelschule in Poing ist.

Elite-Camps liegen nach ihren Erfahrungen im Trend. "Es geht auch darum, Spitzentalente zu fördern. Geld ist ja da." Sie befürchtet, dass dadurch bei der Bildungsgerechtigkeit die Schere immer weiter auseinander geht. Vor allem in einer Boomregion wie dem Landkreis München, wo alles teuer ist und meist beide Elternteile arbeiten, gehe es häufig auch um Outsourcing. "Früher hat sich mein Vater mit mir hingesetzt und Mathe erklärt. Die Zeit und Muße fehlen vielen heute", so Fleischmann. "Alle sind in Hetze."

Es ist wie Arbeiten im Urlaub

Während Anbieter wie Studienkreis auf die Gedächtnisforschung verweisen, nach der "Kinder in ihrem Wissensstand zurückfallen, wenn sie sich über einen längeren Zeitraum nicht mit den Unterrichtsinhalten beschäftigen", hält Hans-Jonas Röthlein, Vorsitzender des Landesverbands bayerischer Schulpsychologinnen und Schulpsychologen (LBSP), nichts vom Lernen in den Ferien. "Das ist so, wie wenn der Arbeitgeber verlangt, dass Sie im Urlaub weiterarbeiten", sagt er. Man brauche die Zeit der Regeneration. Allein nicht früh aufstehen zu müssen, sei dafür zu wenig.

Die Pausen seien wichtig für den Konsolidierungsprozess, so der Psychologe. Erlerntes müsse im Gedächtnis eingelagert werden. Druck hingegen sei enorm ungünstig für den Organismus. Auch fehle in den Ferien häufig die Motivation, die Schüler seien vielmehr der Ansicht, sie hätten sich die Ferien verdient. "Und ohne positive Motivation können die Eltern noch so viel investieren, da bleibt nichts hängen", sagt Röthlein. Im Gegenteil: Solche Schüler seien zu Schuljahresbeginn oft noch weniger motiviert. Sein Rat: Partielles Lernen, um Lücken zu schließen, maximal auf die letzte Ferienwoche beschränken.

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Quelle:
SZ vom 28.07.2018
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