Süddeutsche Zeitung

Nachhaltigkeit:Energie-Kompetenz fürs Rathaus

Viele Gemeinden im Landkreis München stellen eigene Klimaschutzmanager ein. Sie optimieren nicht nur die kommunalen Gebäude, sondern beraten auch Firmen und Privatleute.

Von Angela Boschert und Irmengard Gnau, Pullach

Der Bezirk Oberbayern sucht sie genauso wie der Landkreis Landshut, aber auch Unternehmen wie Amazon Deutschland oder die Wohnungsbaugesellschaft Gewofag, ja sogar die Universität der Künste in Berlin: Klimaschutzmanager (m/w/d) sind derzeit gefragt. Im Landkreis München haben in Brunnthal, Baierbrunn und Straßlach-Dingharting aktuell gleich drei Kommunen entsprechende Anzeigen geschaltet; auch Höhenkirchen-Siegertsbrunn und Schäftlarn wollen eine solche Stelle einrichten, die Gemeinde Aschheim zumindest den Bedarf prüfen. "Klimaschutzmanager", das klingt modern. Doch was machen die Fachfrauen und -männer auf diesen Posten eigentlich?

Ismael Leitmannstetter blickt auf die Grundschule Pullach. Als der Gemeinderat jüngst über die Sanierung des Gebäudes beriet, setzte er sich ein für eine energiesparende Innenbeleuchtung, beriet bei der Frage nach einer klimafreundlichen Gebäudehülle. Bei ihren eigenen Liegenschaften können Kommunen ganz konkret etwas für den Klimaschutz tun. Wo lässt sich der Energieverbrauch verringern, wo tun sich neue Quellen für die Energiegewinnung auf, etwa durch Photovoltaik oder Solarthermie? Auf solche Fragen sucht Leitmannstetter seit gut einem Jahr als offizieller Klimaschutzmanager der Isartalgemeinde Antworten. Denn Klimaschutz, ist der 32-Jährige überzeugt, beginnt auf kommunaler Ebene.

Diese Erkenntnis setzt sich im Landkreis zuletzt immer stärker durch, wie Elisabeth Buchmann von der Energieagentur Ebersberg-München beobachtet hat. Die Energieagentur ist selbst ein signifikanter Beweis für das Bestreben, den Klimaschutz im Landkreis München voranzubringen. 2016 setzte der Kreistag mit der Klima-Energie-Initiative "29++" seine Ziele fest.

Alle 29 Kommunen haben sich verpflichtet, darauf hinzuwirken, den Pariser Weltklimaschutzvertrag am Ort umzusetzen; dazu zählt insbesondere, die jährlichen Pro-Kopf-Emissionen im Landkreis von 13 Tonnen Kohlenstoffdioxid im Jahr 2010 auf sechs Tonnen im Jahr 2030 zu senken, also mehr als die Hälfte einzusparen. Dazu hat der Landkreis unter anderem ein systematisches Monitoring der in den einzelnen Kommunen ausgestoßenen Treibhausgasmengen eingeführt.

Um das Thema auch nach außen zu kommunizieren und auch Privatleuten Wege aufzuzeigen, wie sie persönlich einen Beitrag zum Klimaschutz leisten können, wurde die gemeinsame Energieagentur der Landkreise München und Ebersberg gegründet. Aktuell beraten 26 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Ebersberg und Unterhaching.

Denn dass sich das Klima verändert, ist längst nicht mehr nur eine abstrakte Theorie, die Wissenschaftler diskutieren, sondern hautnah spürbar auch im Landkreis: Landwirte klagen über anhaltende Dürren, die Grundwasserpegel sinken vielerorts, gleichzeitig müssen die Feuerwehren immer häufiger nach starken Regenfällen wegen Überschwemmungen ausrücken.

Viele Bäume leiden unter Hitzestress. In Pullach erinnert man sich noch an fingernagelgroße Hagelkörner im vergangenen Sommer. "Die Aufgaben der Kommunen beim Klimaschutz steigen stetig", sagt Buchmann. Die Rathausverwaltungen können diese nicht einfach nebenher erledigen. Also holen sie sich vermehrt Fachwissen dafür ins Haus - so wie Ismael Leitmanstetter in Pullach.

Der Masterabsolvent des Fachs "Nachhaltiges Ressourcen-Management" ist Ansprechpartner, wenn Strom gespart oder klimafreundlich erzeugt und Gebäude energetisch saniert werden sollen. Er berät Unternehmen und Privatleute, ab welcher Größe eine Photovoltaik-Anlage effektiv ist und wie man für sie Fördergelder beantragt. Vor allem aber soll der 32-jährige ein Klimaschutzkonzept für die Zukunft der 9000-Einwohner-Gemeinde im Isartal entwickeln.

Diesem Beispiel folgen immer mehr Kommunen im Landkreis. Unterföhring, Hohenbrunn, Haar, Grasbrunn und Unterschleißheim haben bereits eine Klimaschutzmanagerin oder einen Klimaschutzmanager. Das heißt freilich nicht, dass sich die übrigen 23 Kommunen nicht um Klima und Nachhaltigkeit scheren. In mehreren Gemeinden kümmern sich Mitarbeiter seit Längerem fest um diese Themen, nur eben unter einem anderen Titel.

In Neubiberg etwa liegen Umweltaufgaben seit 1996 in den Händen einer Umweltbeauftragten, der 2006 eine Kollegin zur Seite gestellt wurde. Beide sind neben Beratungen für Projekte im deutschlandweit bekannten Umweltgarten mit dessen Ökoschule zuständig. Unterhaching ist im Landkreis führend beim Ausbau eines eigenen Ladenetzes für Elektrofahrzeuge. In Hohenbrunner Schulen und Kitas lernen Kinder als Energiedetektive, bei der Umweltprojektwoche, in Solar-Lehrstunden oder auf dem Rundwanderweg im Höhenkirchner Forst viel über Klimaschutz.

Gleichwohl ist kaum zu leugnen, dass noch einiges zu tun bleibt. Wie die Treibhausgasmessungen des Landkreises zeigen, sind die 29 Kommunen noch weit von ihren selbst gesteckten Zielen entfernt. Von 2010 bis 2018 - aus diesem Jahr stammenden die jüngsten Daten - haben sich die CO₂-Werte pro Kopf zwar verringert, sie liegen im Landkreisdurchschnitt aber immer noch bei 9,7 Tonnen pro Einwohner und Jahr und damit um einiges von den angestrebten sechs Tonnen entfernt.

Höchste Ausstoßtreiber sind dabei die Industrie mit einem Anteil von 4,1 Tonnen und der Verkehr mit einem Anteil von 3,7 Tonnen inklusive der Autobahnen; auf private Haushalte entfielen 1,7 Tonnen, auf kommunale Einrichtungen 0,2. Das zeigt, wie elementar es ist, beim Thema Klimaschutz die ganze Kommune einzubeziehen. "Auf die wenigsten Ausstöße haben die Gemeinden direkten Einfluss", sagt Elisabeth Buchmann von der Energieagentur. Sie müssen die Bürgerschaft und die Unternehmen mit ins Boot holen.

Dafür sieht Buchmann bei vielen Kommunen zwar den Bedarf an zusätzlichem Fachwissen und Kapazitäten, doch hemme viele Kommunalpolitiker die Idee, eine eigene, weitere Stelle in der Verwaltung zu schaffen. Dabei ist aktuell eine gute Gelegenheit dafür: Im Rahmen der "Kommunalrichtlinie" unterstützt das Bundesumweltministerium Klimaschutzprojekte auf kommunaler Ebene und übernimmt unter anderem zwei Jahre lang 65 Prozent der Personalkosten, wenn eine Kommune eine eigene Klimaschutzmanagerin oder einen Klimaschutzmanager einstellt; beantragt die Kommune die Förderung noch in diesem Jahr, sind es sogar 75 Prozent.

Ansatzpunkte für die Klimaschutzmanager sieht Buchmann insbesondere beim Thema Bauen. Kommunen könnten beispielsweise bei Bebauungsplänen eine Gebäudeausrichtung und Dachneigung festlegen, die sich besonders für Solarnutzung eignet. Beim Abschluss eines städtebaulichen Vertrags können Gemeinden die Bauträger verpflichten, einen gewissen Anteil der benötigten Energie durch Photovoltaikanlagen auf den Dächern zu gewinnen. Auch die Dächer der eigenen Gebäude, Schulen, Rathäuser, Kindergärten, eignen sich vielerorts für Sonnenenergie. Um den eigenen Energieverbrauch zu senken, können Kommunen ihre Straßenbeleuchtung auf LED umrüsten.

Förderprogramme und ausführliche Beratung wie sie etwa die Verbraucherschutzzentrale der Gemeinde Hohenbrunn anbietet sollen Privatleuten dabei helfen, zum Beispiel ihr Haus energieeffizient zu sanieren. Um die dritte, so wichtige Gruppe der Unternehmen zu erreichen, schlägt Buchmann vor, Kooperationsmöglichkeiten zwischen Kommunen und Firmen auszuloten, beispielsweise auf Unternehmen, die viel Abwärme produzieren, zuzugehen und diese Abwärme für die Gemeinde zu nutzen.

In Glonn etwa speist die Firma Brunner, Hersteller von Metallformen für Schokolade, in das örtliche Nahwärmenetz ein. "Gerade wenn ein neues Gewerbegebiet ausgewiesen wird, macht es Sinn, wenn sich die Gemeinde solche Möglichkeiten näher anschaut", sagt Buchmann. Auch diese Aufgabe könnte eine Klimaschutzmanagerin oder ein Klimaschutzmanager übernehmen.

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SZ vom 31.05.2021/wkr
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