MVV-Tarifreform:Bitte alles aussteigen!

Nach SPD und Grünen wollen auch CSU und Freie Wähler Nachbesserungen an der neuen MVV-Preisstruktur. Die Entscheidung im Kreistag ist damit vorerst gestoppt - und womöglich auch die ganze Reform

Von Iris Hilberth, Landkreis

Auf einmal sind sie alle dafür. Dafür, die MVV-Tarifreform zu stoppen und über Nachbesserungen zu verhandeln. Nach SPD und Grünen erklärten am Dienstag auch CSU und Freie Wähler, der Reform nicht wie ursprünglich geplant an diesem Mittwoch im Mobilitätsausschuss und zwei Wochen später im Kreistag zustimmen zu wollen. Landrat Christoph Göbel (CSU) schrieb sogar gleich an Ministerpräsident Markus Söder und bat diesen, so schnell wie möglich mit ihm sowie Vertretern der anderen Landkreise und der Stadt München an den Verhandlungstisch zurückkehren.

An diesem soll es nach dem Willen der Kreispolitiker insbesondere darum gehen, vom Freistaat mehr Geld für zusätzliche Verbesserungen zu bekommen. Diese hatte nicht zuletzt Söder selbst angestoßen, als er am Wochenende eine große Tarifreform bereits für das Jahr 2020 ankündigte und dabei unter anderem das Ein-Euro-Ticket sowie die 365-Euro-Jahreskarte in die Diskussion brachte. In seinem Brief an Söder schreibt Göbel, dass er sich sehr über dessen Vorstoß freue. Für ihn sei das ein Zeichen "schnellstmöglichst Gespräche zu führen". Auch sein Kollege Robert Niedergesäß (CSU) aus Ebersberg, der in den Verhandlungen als Sprecher der Landkreise auftritt, sprach sich für Nachverhandlungen aus und erklärte die aktuelle Reform in der Konsequenz für gestorben.

Bislang hatte der Freistaat stets eine finanzielle Beteiligung an einer Flatrate oder die Einführung des sogenannten Wiener Models - jener 365-Euro-Jahreskarte für den gesamten Ballungsraum - abgelehnt. Aus diesen Gründen war es nicht einmal zu stemmen, alle Gemeinden und Städte aus dem Landkreis München in den neuen Innenraum, die Kernzone M, zu holen. Kritiker der Reform hatten deshalb die Ungerechtigkeit moniert, die durch die verschiedenen Zonen im Landkreis entstehe.

MVV-Tarifreform: Buchstäblich in letzter Minute hat die Politik die Notbremse gezogen und die geplante MVV-Tarifreform gestoppt.

Buchstäblich in letzter Minute hat die Politik die Notbremse gezogen und die geplante MVV-Tarifreform gestoppt.

(Foto: Imago/Stephan Görlich)

Auch der Landrat hält nach eigenen Worten an dem Ziel fest, alle Kommunen des Landkreises in die M-Zone zu bringen. Durch Söders Ankündigung sieht er "die Brücke geschlagen, um diese Gespräche erneut aufzugreifen". Bis 2020 will Göbel mit der Tarifreform allerdings nicht warten. Vielmehr solle jetzt nachjustiert werden, damit man später darauf aufbauen könne. Das heißt laut Göbel: Was jetzt vorliegt, soll beschlossen und wie vorgesehen finanziert werden. Was darüber hinaus in Richtung Söders "grundlegender Verkehrsoffensive" gehe, solle der Freistaat zahlen. Später, so Göbel, müssten die Gesellschafter im MVV - also Freistaat, Stadt und Landkreise - dann sicher einer neue Ausgleichsfinanzierung verhandeln.

Dass die Gremien im Landkreis München wie ursprünglich geplant noch in diesem Monat über die MVV-Tarifreform abstimmen, ist angesichts der aktuellen Einlassungen des Landrats und der Vertagungsanträge, die CSU und Freie Wähler am Dienstag einbrachten, sehr unwahrscheinlich. Ursprünglich sollte sich der Mobilitätsausschuss des Kreistags an diesem Mittwoch mit der Tarifreform befassen, der Kreisausschuss kommende Woche und das Kreistagsplenum der Reform am 24. September zustimmen. Vor CSU und Freien Wählern hatten bereits SPD und Grüne Anträge eingebracht, in denen sie Nachbesserungen forderten. Landrat Göbel bezeichnete eine Vertagung der Entscheidung am Dienstag auf SZ-Anfrage als "vernünftig". Er ging damit auf seine Fraktion ein. Deren Chef Stefan Schelle und der stellvertretende Landrat Ernst Weidenbusch hatten in dem CSU-Antrag vor einem Votum des Kreistags unter anderem eine detaillierte Auflistung der MVV-Nutzer in den einzelnen Gemeinden gefordert. Beide stellten zudem am Dienstag den Zeitpunkt der Reform in Frage. Da Söder zufolge mit der Umsetzung einer "umfangreichen Tarifreform" bereits 2020 begonnen werden solle, mache es wenig Sinn, die vorliegende Tarifreform zu verabschieden, so Schelle und Weidenbusch.

Die Freien Wähler argumentierten in ihrem Antrag wiederum: "Oberstes Ziel des Landkreises München sollte sein, dass für die Fahrgäste der 29 Landkreisstädte und -gemeinden annähernd gleiche Verhältnisse angestrebt werden sollten", heißt es in dem Schreiben, das von den Kreisräten Otto Bußjäger, Günter Heyland und Florian Ernstberger unterschrieben ist. Dieses Ziel sei mit dem derzeitigen Entwurf der Tarifstrukturreform im MVV nicht zu erreichen. Sie sehen die grundlegende Reformidee Söders in die Strukturreform nicht eingebracht. Die aktuelle Vorlage sei damit nicht entscheidungsreif.

Die SPD-Landtagskandidatin und Landratsstellvertreterin Annette Ganssmüller-Maluche, die vorige Woche eine Wahlkampagne gegen die Reform gestartet hatte, zeigte sich erfreut über den Meinungsumschwung. Die Landräte Niedergesäß und Göbel zögen die richtigen Schlüsse. Sie hätten erkannt, wie schlecht verhandelt worden sei. Zum Umdenken der Regierungspartei hätten aber auch der "Riesenprotest" der Bürgermeister und die aktuelle Wahlkampfsituation beigetragen, so die SPD-Politikerin in einer Stellungnahme, in der sie den Vorschlag für einen Nahverkehrstarif zu 365 Euro im Jahr ausdrücklich befürwortet.

SPD-Fraktionschefin Ingrid Lenz-Aktas sowie Grünen-Verkehrsexperte Markus Büchler befürworten ebenfalls eine Vertagung. Damit werde das Thema aus dem Landtagswahlkampf herausgehalten. Trotz ihrer Kritik an der Reform sprechen sich beide aber gleichwohl dafür aus, den anvisierten Starttermin im Juni 2019 beizubehalten, damit die erreichten Verbesserungen in Kraft treten könnten.

Zustimmung zu Nachverhandlungen kam am Dienstag auch aus dem Landkreisnorden. Garchings Bürgermeister Dietmar Gruchmann (SPD) wiederholte seine Kritik, wonach die beabsichtigte Reform nicht gerecht sei. Der MVV müsse sofort wesentlich attraktiver werden, sonst versinke insbesondere der Landkreisnorden im Verkehrschaos. Er sehe als "allererstes den Freistaat in der Pflicht, ein zukunftsweisendes Zeichen zu setzen und seine Zuschüsse zu erhöhen", so Gruchmann. Er hoffe, dass die Landkreispolitiker "Rückgrat zeigen und dieses traurige Verhandlungsergebnis ablehnen".

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