Musik in Sauerlach:Keine Angst vor Klavierkonzerten

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Die in Aying aufgewachsene Pianistin Sophie Pacini tritt in der BR-Reihe "Beethoven bewegt" im Altkirchner Schützenheim auf. Dabei schafft sie es in dem ungewöhnlichen Ambiente tatsächlich, Laien für klassische Musik zu begeistern

Von Anna-Maria Salmen, Sauerlach

An den Wänden bezeugen bunt bemalte Schießscheiben die Erfolge der Schützen. Die Bilder darauf zeigen die Alpen, kleine Kapellen oder ländliche Dörfer. Die hölzernen Tische und Bänke sind in warmes Licht getaucht, weiße Spitzengardinen zieren die Fenster. Mitten in der rustikalen Stube des Schützenheims im Sauerlacher Gemeindeteil Altkirchen steht ein schwarzer Konzertflügel, daneben eine Büste Ludwig van Beethovens. In dem Raum, in dem sonst bei Vereinstreffen Volksmusik und das Klirren von Maßkrügen ertönt, war am Wochenende Klaviermusik von einigen der bekanntesten deutschen Klassikkomponisten zu hören.

Vor 250 Jahren wurde Ludwig van Beethoven getauft - sein Geburtsdatum ist nicht bekannt. Um in diesem Jubiläumsjahr das Andenken an den Komponisten neu zu beleben, hat der Bayerische Rundfunk das Projekt "Beethoven bewegt" initiiert. Teil davon sind mehrere Hauskonzerte mit der Pianistin Sophie Pacini. Martin Kiendl von der Schützengesellschaft Gemütlichkeit Altkirchen hatte sich beim BR für eines davon beworben. Kultur in die Dorfkneipe bringen, das sei der Anlass seiner Bewerbung gewesen. "Ich wollte die Gelegenheit haben, mal über den musikalischen Tellerrand zu schauen."

48 Gäste haben sich im Vereinsheim eingefunden. Pacini betritt den Raum, stellt sich den Zuhörern vor und nimmt an dem Flügel Platz. Einen Moment herrscht absolute Stille, bevor der erste Ton erklingt. Zunächst langsam und ruhig, steigert sich die Melodie von Beethovens siebter Symphonie rasch, kraftvolle Passagen ziehen die Zuhörer in ihren Bann. Ein Gast folgt dem Stück mit geschlossenen Augen, wiegt den Kopf zur Musik. Beethoven in seiner ganzen Kraft, so beschreibt Pacini die Symphonie. Sie will zeigen, dass ihr Instrument mehr zu bieten hat als die verträumten Töne, die man durch Werke von Chopin oder Debussy mit dem Klavier verbindet.

Sophie Pacini tritt normalerweise in Konzerthäusern auf. (Foto: Claus Schunk)

Diese sanften Klänge entlockt Pacini dem Flügel mit den nächsten beiden Stücken. Zwei Consolations von Franz Liszt beginnen mit zarten Tönen, die einen immer volleren Klang entwickeln. Tröstungen, das bedeutet der Titel der Werke übersetzt, und in der Tat strahlt die Melodie Zuversicht aus. Sie scheint wie geschaffen für die intime Atmosphäre im Schützenheim - es ist gemütlich in der Stube, ein Begriff, den man mit einem Konzertsaal wohl eher nicht in Verbindung bringen würde.

Was zunächst wie ein Widerspruch klingt, ist das Ziel der Veranstaltungsreihe, wie Pacini erzählt. "Die Idee ist, klassische Musik auch zu Menschen zu bringen, die sonst keinen Bezug dazu haben." Ihrer Einschätzung nach würden viele zwar gerne ein Konzert besuchen, trauten sich jedoch nicht. "Sie befürchten, dass sie vielleicht an der falschen Stelle klatschen, oder denken, sie seien nicht intellektuell genug." Für Pacini sind das unbegründete Ängste: "Ich bin der Ansicht, dass man die Musik nicht verstehen muss. Sie muss berühren."

Wie sehr ihre Musik die Besucher berührt, erlebt Pacini an diesem Abend hautnah. Die Pianistin spielt die Tannhäuser-Ouvertüre von Richard Wagner - ein komplexes Stück, wurde es doch ursprünglich für ein vollständiges Orchester konzipiert. In der Bearbeitung für das Klavier von Franz Liszt, die Pacini vorträgt, überschlagen sich die Töne geradezu. Ein Gast schüttelt ungläubig den Kopf, sichtlich fasziniert von der Geschwindigkeit, mit der Pacinis Finger über die Tasten fliegen.

Im Vereinsstüberl gab die Pianistin ein außergewöhnliches Konzert und begeisterte die Zuhörer. (Foto: Claus Schunk)

Zu schnell ist der Abend nach Ansicht der Zuhörer vorbei. "Wir haben doch noch Zeit für mehr Zaubereien", ruft ein Mann vor Pacinis Zugabe, Ennio Morricones Liebesthema aus dem Film Cinema Paradiso. Zuvor jedoch bekommen die Besucher die Gelegenheit, der Pianistin Fragen zu stellen. Bereitwillig erzählt Pacini von ihrer Kindheit, in der sie nicht nur mit dem Klavier, sondern auch mit Puppen gespielt hat. Sie berichtet vom mitunter stressigen Konzert-Alltag, vom stundenlangen Üben und davon, wie sie mit gerade einmal acht Jahren an der Musikhochschule in Salzburg vorspielte und mit ihrer, wie sie sagt, "unverfrorenen Art" die Professoren von sich überzeugte. Pacini ist trotz ihres Erfolges bodenständig geblieben. Natürlich sei es eine Herausforderung für einen Künstler, in solch einem intimen Ambiente zu spielen - schließlich sei man im Vergleich zu Auftritten in großen Sälen nicht durch Distanz vor Kritik geschützt. "Aber man spürt hier auch sofort die Schwingungen mit dem Publikum. Man merkt mehr, wofür man spielt."

Neu ist die ländliche Atmosphäre für Pacini indes nicht. Die 28-Jährige stammt aus Aying, ihren ersten Klavierabend spielte sie eigener Aussage nach in einem Gasthof im Ort. Über die Begeisterung ihrer Zuhörer zeigt sie sich sichtlich gerührt: "Egal, wo in der Umgebung ich spiele - der Fanklub ist da."

Zu Pacinis Anhängern gehören nun auch einige der Altkirchner Schützen. Mitglied Kiendl ist zufrieden mit dem Abend. Er sei "ahnungslos" in Bezug auf klassische Musik und daher ohne Erwartungen zum Konzert gekommen. Nun kann er sich eigener Aussage nach durchaus vorstellen, wieder ein klassisches Konzert zu besuchen.

© SZ vom 27.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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