Süddeutsche Zeitung

Musical:Kraut-Rapper in der Zeitmaschine

Mehr als 100 Ismaninger Schüler wirken bei der Uraufführung von "Ismanninga" mit. Sie erzählen tanzend und singend die Geschichte des 1200 Jahre alten Ortes

Von Sophie Kobel, Ismaning

Es ist halb acht Uhr morgens, die S-Bahn kommt in ein paar Minuten. An den Gleisen warten schon die ersten Schüler und tippen mit verschlafenem Blick auf ihr Smartphone ein. Nur drei Mädchen diskutieren lauthals, ob es denn nun uncool sei, dass die Neue aus der B-Klasse eine Zeitmaschine für die Jugend-forscht-Woche gebastelt hat oder nicht. Das Gespräch wird unterbrochen, als die Bahn einfährt, die Schüler setzten sich gähnend auf die blauen Bänke.

Ihren Schulalltag mit Humor darstellen, das können die Jugendlichen aus Ismaning. So ist die aus Pappe ausgeschnittene rote S-Bahn ein Ebenbild des MVV-Originals und spätestens beim Rap von drei Jungs aus der Mittelschule, "Heute gehen wir zum Automaten, Ticket ziehen und los, so schnell war ich noch nie bei meinen Bros", johlt das Publikum auf. "Ismanninga" heißt das Musical und ist etwas ganz Besonderes. Denn die darstellenden Schüler kommen aus allen fünf weiterführenden Schulen der Gemeinde. An zwei Abenden erzählen die Jugendlichen singend, tanzend und spielend die Geschichte ihrer 1200 Jahre alten Gemeinde.

Carsten Reinberg steht an der Tür des großen Saals in der Waldorfschule und begrüßt die hereinkommenden Zuschauer: "Wir sind alle wahnsinnig stolz. Als ich vor über einem Jahr bei den unterschiedlichen Schulen angefragt habe, hätte ich anfangs nicht gedacht, dass diese verrückte Idee wahr werden würde", sagt der Leiter der Musikschule Ismaning und lächelt hoch zu seinen Schülern auf der Bühne.

Dort probieren inzwischen die vier Mädchen in der S-Bahn, die selbst gebastelte Zeitmaschine in Betrieb zu setzen. Während Tanja den silbernen Regenschirm mit aufgesetzter Antenne in die Luft streckt, setzt sich ihre Freundin den Fahrradhelm mit aufgeklebten Gemüsedünsteinsatz auf den Kopf. Durch rhythmisches Klatschen und Zischen der Kinder blitzt es blau durch den ganzen Saal und zack - werden die vier Mädels ins 16. Jahrhundert befördert.

"Iiiiiiih, hier ist ja alles matschig", ruft Tanja und verzieht das Gesicht. Denn: Die Freundinnen sind auf dem Ismaninger Krautfeld gelandet. Vor 500 Jahren mussten die Bauern hier jährlich die 2500 schönsten Krautköpfe der jeweiligen Ernte an den Bischofssitz in Freising abgeben. Eben diese Reise der voll bepackten Bauersleute stellen die Schüler des Gymnasiums Ismaning in ihrer Szene dar. Denn: Jede Schule durfte ein bis zwei geschichtliche Abschnitte vorschlagen und diese dann zu einer Musicalnummer verarbeiten. Bei der Szene auf dem Feld hat Angelika Bretl Regie geführt. Gemeinsam mit ihren Schülern bastelte sie Kohlköpfe aus grünem Pappmaché, stellte Kostüme für die Bauern zusammen und dichtete den Songtext von Seeeds "Dickes B" um: "Ismaninger Kraut, groß und rund, hält dich den ganzen Sommer gesund", rappen Luna, Madeline, Evi, Peter und Co. und wirbeln in ihren langen Schürzen um den Haufen Kohlköpfe herum. Bretl ist stolz auf ihre Siebt- und Achtklässler. "Für viele ist es hier das erste Mal auf einer größeren Bühne, sie haben viel geleistet", erzählt sie.

Insgesamt stehen am Donnerstagabend mehr als 100 Kinder und Jugendliche auf der Bühne. Die Altersgruppen sind dabei so unterschiedlich wie die Schulformen: Zwischen neun und 23 Jahre alt sind die Darsteller, von Gymnasium über Mittel-, Real- und Waldorfschule ist alles dabei. Viele der Solo-Gesangsrollen wurden außerdem von Schülern der örtlichen Musikschule besetzt. So zum Beispiel die Szene im Schloss Ismaning, bei der Auguste Amalie von Bayern tänzerisch zu dem US- Hit "Dear future Husband" von der ersten Begegnung mit ihrem zukünftigen Gatten erzählt.

Es wird dunkel. Die vier Mädchen erscheinen wieder auf der Bühne, blaue Lichter flackern durch den Saal und die Schülerinnen werden mithilfe der Zeitmaschine in die nächste Epoche befördert: "1933? Hier will ich nicht sein", sagt Tanja leise zu ihren Freundinnen und die drei verstecken sich wie immer am Rand der Szene. Auf der Bühne versammeln sich derweil die Ismaninger Bürger um einen im Wirtshaus aufgestellten Volksempfänger. Es knistert in den alten Lautsprechern, als Adolf Hitler zum Reichskanzler ausgerufen wird, die Aufregung unter den Ismaningern ist groß. Einige singen "Die Gedanken sind frei", sie werden allerdings schnell niedergeschlagen und nach und nach alle in NS-Anzüge gesteckt. Als die Schüler sich schließlich aus den schwarzen Overalls befreien, hat jeder von ihnen ein weißes T-Shirt an, auf dem in unterschiedlichen Farben und Größen ein Wort steht: "Mensch".

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Quelle:
SZ vom 25.05.2019
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