Münchner verklagt Klinik:Nach Pfusch im Rollstuhl

Klinikärzte übersehen bei einem Unfallopfer eine Verletzung - nun ist der Patient querschnittsgelähmt. Doch die eingereichte Klage hat wenig Aussicht auf Erfolg.

Ekkehard Müller-Jentsch

Bei dem Opfer eines schweren Verkehrsunfalls haben die Ärzte einer Münchner Uni-Klinik durch eine Vielzahl von Pannen zwei Wochen lang die schwere Verletzung der Halswirbelsäule übersehen. Der Mann, früher Manager eines Computerkonzerns, ist seither gelähmt und sitzt im Rollstuhl. Doch obwohl im Krankenhaus zweifellos gepfuscht worden war, hat die Millionenklage des Patienten auf Schadensersatz und Schmerzensgeld kaum Aussicht auf Erfolg.

Katholikentag

Nach einem Autounfall und mehreren Klinik-Pannen ist ein Münchner Ex-Manager an den Rollstuhl gebunden.

(Foto: ag.dpa)

Im Frühsommer 2000 hatte sich der heute 54-Jährige wahrscheinlich wegen Übermüdung mit seinem Wagen auf der Autobahn A8 bei hohem Tempo überschlagen. Er wurde schwer verletzt geborgen und gegen Mitternacht in die chirurgische Uni-Klinik gebracht.

Noch auf der Liege des Notarztes wurde der Verunglückte erstmals auch an der Halswirbelsäule geröntgt. Dann wurde er umgebettet und erneut vom Kopf bis zum Becken geröntgt. Weil der Mann Ausfallerscheinungen zeigte, die auf Hirnverletzungen hindeuteten, wurde er bald darauf in einem Computertomographen untersucht. Erst danach wurde wegen der sehr schweren Bauchverletzungen operiert.

In den folgenden Tagen erfolgten weitere schwere Operationen bei dem künstlich beatmeten Münchner. Da die Ärzte nach wie vor fürchteten, dass ihr Patient einen Hirnschaden erlitten haben könnte, wurden mehrere neurologische Konsile abgehalten. Doch erst viel später wurde entdeckt, dass durch die Fliehkräfte bei dem Unfall die Halswirbelsäule überdehnt worden war: dabei hatte sich ein Wirbel ausgehängt und so unglücklich verhakt, dass er nicht mehr in die Ausgangsposition zurückkehren konnte.

In dem Arzthaftungsprozess vor der Medizinrechtskammer am Landgericht München I kam auch zur Sprache, dass in der Unfallnacht ein Doktor mit den Röntgen- und CT-Aufnahmen beauftragt war, der noch in Ausbildung, also kein Facharzt war. Vermutlich hatte er zunächst zu wenige Bilder gemacht.

Und bei den CTs war dann die Stelle mit dem ausgerenkten Wirbel zwar erfasst worden, aber eine Assistentin hatte - vermutlich wegen eines falschen Auftrags - diese Bilder nicht ausgedruckt. Und da ihnen aufgrund der neurologischen Ausfallerscheinungen ein Hirnschaden ihres Patienten wahrscheinlicher erschienen war, hatten die Ärzte auch später die schwere Halsverletzung nicht bemerkt.

Schuld der Klinikärzte nicht nachweisbar

Ein Sachverständiger erklärte, dass durch die Überstreckung der Halswirbelsäule das Rückenmark schwer geschädigt worden sei. Heute lasse sich aber nicht mehr sagen, wie massiv diese Verletzung schon unmittelbar nach dem Unfall gewesen sei. Man könne auch nicht sagen, in wieweit eine rechtzeitige Entdeckung den Mann vor der Querschnittlähmung bewahrt hätte.

Ob nicht schon gleich nach dem Unfall das Rückenmark komplett zerrissen gewesen sei, fragte Klinikanwalt Christian Paul Schmidt. Das lasse sich nachträglich nicht mehr feststellen, antwortete der Gutachter: "Aber solange noch Restfasern bestehen, ist eine Erholung denkbar."

Vom Gericht dazu aufgefordert, "spekulierte" der Experte, dass bei sofortiger Behandlung der Münchner heute vielleicht noch über eine gewisse Greif- und Stützfähigkeit verfügen würde und er sich innerhalb seiner speziell ausgestatteten Wohnung eventuell ohne Rollstuhl bewegen könnte.

"Wir stehen vor einer Verurteilung des Klinikums, denn die verletzte Halswirbelsäule hätte auf jeden Fall geschützt und behandelt werden müssen", stellte der Vorsitzende Richter fest. Aber auch das hätte den Patienten wahrscheinlich nicht vor seinem tragischen Schicksal bewahrt, meinte der Richter. Katharina Waibl, Rechtsanwältin des Patienten, hatte in ihrer Klage insgesamt gut eine Million für ihren Mandanten gefordert.

Doch trotz des Versagens des damaligen ärztlichen Notfallteams sei an eine solche Größenordnung nicht zu denken, machte die Kammer klar. Denn der Betroffene könne nicht nachweisen, dass dieses Versagen tatsächlich die Ursache für seinen heutigen Zustand sei. Das Gericht empfahl daraufhin den Parteien, sich außergerichtlich zu einigen - ansonsten will die 9. Kammer am 1. September ihr Urteil verkünden.

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