Filmfest München:Ein Punk mit Gespür für den guten Ton

Düstere Geheimnisse eines früheren Punkmusikers: Dieter Schleip verrät, wie er ausgerechnet über E.T. zur Filmmusik kam und warum er für eine Folge "Polizeiruf 110" nur ein Klavier benötigte.

Egbert Tholl

Schuld war E.T. Und das war ein kleines Problem. Man muss sich das einmal vorstellen: Ein junger Mensch in Aachen entdeckt mit 16 die Punkmusik, kann noch nicht einmal die obligatorischen drei Akkorde, hat aber schon eine Band. Mit dieser fährt er, das war dann schon ein, zwei Jahre später, nach Berlin, mit der Arbeiterwohlfahrt, kommt zum ersten Mal raus aus Aachen, kehrt zurück, umweht vom Duft der weiten Welt, tritt mit seiner Band im Schnapshaus in Aachen auf (was der Name des Etablissements mit dem Stil der Combo zu tun haben mochte, muss hier nicht geklärt werden) - und verdient auf einmal Geld. Mit der Musik. 50 Mark Gage. Für fünf Leute. Jeder zehn Mark. Dieter Schleip kaufte sich davon Gitarrensaiten. Und alles hätte so lustig weitergehen können, aber dann guckte sich Schleip E.T. an.

Dieter Schleip, Filmfest München

Griffbereit neben dem Kompositionscomputer: Dieter Schleip mit einer seiner Gitarren.

(Foto: online.sdemuenchen)

Das durfte er natürlich niemanden sagen, ein außerirdisches Baby und Punkmusik, das haut nicht hin. Es ging auch gar nicht so sehr um das Heimweh mit langen Fingern. Es ging um die Musik. Um orchestrale Musik. Als Dieter Schleip die hörte, wusste er, was er machen wollte. Er wollte Filmmusik schreiben. Inzwischen, rund 30 Jahre später, hat er mehr Preise für seine Film- und Fernsehmusiken erhalten als manche Komponisten überhaupt Stücke schreiben. Aber so schnell ging das nicht.

Aus den Boxen dringen einzelne Töne. Töne, die scheinbar in keinem Zusammenhang miteinander stehen. Lange hallen sie nach, man hört ihre Herstellung, man hört den Raum, in dem der Flügel steht, man hört das sachte Knarzen der Pedale, der Klang ist sehr analog, kein digitales Nachbearbeiten zerstört den Eindruck der Unmittelbarkeit. Ein Klavier, sonst nichts.

Nur ein Instrument war nötig, um die Musik für eine Folge von "Polizeiruf 110" einzuspielen. Die Folge dieser Serie stammt aus dem Jahr 2006, die Musik hätte Schleip fast den Rauswurf eingebracht, der Regisseur wurde dann aber für den Grimme-Preis nominiert. In der Welt der Fernsehmusik gibt es oft eine Diskrepanz zwischen dem, was ein Redakteur für richtig hält, dem, was der Komponist will, und dem, was sich der Regisseur ersehnt. Setzen sich die richtigen Leute durch, gibt es einen Preis.

Dieter Schleip braucht lange, bis er die CD mit der Musik von "Dunkler Sommer" (so heißt jene "Polizeiruf"-Folge) gefunden hat. Er wohnt in einem ehemaligen Lagerhaus in der Nähe des Isartors, die Wohnung ist weit und licht, das Arbeitszimmer eher dunkel und fast eng. An der Wand hängen ein gutes Dutzend Gitarren, darunter Merkwürdigkeiten wie eine Reise-Elektrogitarre mit einem Korpus so groß wie ein Taschenbuch. Versteckt hinter einem Tisch, auf welchem Computerbildschirme stehen und eine große Keyboard-Tastatur liegt, hängen seine Preise an der Wand. Er sucht.

Vor 30 Jahren war Schleip immer schrecklich aufgeregt, deswegen waren die Band-Auftritte für ihn ein Gräuel. Heute ist er immer noch aufgeregt, aber ganz anders. Er plappert und plaudert in einem rheinischen Singsang, muss ganz viel erzählen. Davon, wie er sich schon in Aachen am liebsten im Bandprobenraum in einem alten Weltkriegsbunker verkrochen hat und, punkuntypisch perfektionistisch, auf einem Commodore C 64 herumbastelte.

Schleip und sein Verhältnis zu Rosamunde Pilcher

Wie er andauernd ins Kino ging - "die harte Schiene, Tarkowski und so etwas" -, wie er mit anderen Filmenthusiasten zusammen das Aachener Filmhaus gründete, wie das Potenzial der kleinen Stadt bald ausgereizt war und er nach München ging. Um seinen Zivildienst zu machen, im jüdischen Altenheim in der Kaulbachstraße. Damals war dort noch die Filmhochschule, bevor die nach Giesing umzog. Nur: Den Schleip brauchte an der Hochschule niemand.

Schleip war stur. Er ist es wahrscheinlich noch immer. Und irgendwann wurden die Filmhochschüler weich. Er fing an, für Hochschulproduktionen zu komponieren. Mit manchen der Regisseure von damals arbeitet er heute noch zusammen. Geld verdiente er woanders, als Theaterkomponist am Theater der Jugend. Und er setzte sich eine Frist. "Wenn du es bis 30 nicht als Filmkomponist geschafft hast, wirst du ein normaler Mensch und suchst die einen ordentlichen Job." Als er 30 wurde, dehnte er die Frist auf 40 aus, kratzte sein letztes Geld zusammen und besuchte zwei Freunde, einen in Los Angeles und einen in Peking, dann kehrte er nach Hause zurück zu seiner Mutter. Und einer der beiden rief an. Dieter Schleip verdiente zum ersten Mal richtig Geld. Mit der Musik für ein Fernsehspiel. Auf dieses folgte ein Kinofilm - "ein Flopp, wie fast alle Filme, für die ich die Musik gemacht habe".

Aber heute grinst er: "Wenn du lauter Flopps machst, kriegst du die Preise nachgeschmissen." Das könnte man jetzt als gutes wie schlechtes Omen deuten für den Film Der letzte Angestellte von Alexander Adolph. Der läuft auf dem Münchner Filmfest, am Samstag und Sonntag. Die Musik stammt von Dieter Schleip.

Einen Preis erhält Schleip nicht, den am 24. Juni erstmals zu vergebenden BR-Filmmusik-Preis. Der 24. ist ein Tag der Filmmusik, von 13.30 Uhr an finden diverse Symposien im Bayerischen Rundfunk statt; abends gibt das Rundfunkorchester ein Filmmusikkonzert im Circus Krone, dessen Programm auf den Preisträger zusteuert: Howard Shore. Shore vertont großes Hollywood-Kino wie die Herr-der-Ringe-Trilogie. Der Richtige für einen bayerischen Filmmusik-Preis? Schleip: "Klar, wir sind hier die Schmuddelkinder, und Hollywood zeigt uns, wo's langgeht. Aber: Der Preis ist toll für die Filmmusik. Uns kennt ja keiner, wir arbeiten im Verborgenen."

Schleip ist Realist, er kennt die Regeln. Aber ein bisschen seines früheren Punk-Daseins hat er sich erhalten. "Ich versuche, mich von Schnulli-Sachen fernzuhalten." Für eine Pilcher-Verfilmung wäre er der Falsche. "Wenn der Regisseur sich ästhetisch etwas traut, kann man als Komponist in die gleiche Kerbe hauen." Inzwischen hat er sich Freiraum erarbeitet. Viele Kollegen kriegen sogenannte "Temp-Tracks" vorgesetzt, Musik meist amerikanischen Ursprungs, in Minizeiteinheiten exakt im Schnitt des Films, und diesen Tracks dürfen sie dann stilistisch hinterherkomponieren.

Schleip erhält den Film, mit nichts als dem O-Ton. Er schaut die Bilder an, betrachtet die Emotionen. Und hilft diesen nach. Schleip kann immer noch nicht vernünftig Noten schreiben, das macht der Computer. Schleip entwirft Klang. Früher für große Orchesterpartituren, nun immer mehr für kleine Besetzungen. Er weiß, wie die einzelnen Instrumente klingen, welchen Tonumfang sie haben.

Früher schrieb er schon einmal eine Bassklarinette hinein, um im Studio mit dem Orchester zu erfahren, wie das Ding klingt. Heute kann er zwar nicht sagen, welche Harmonien er entwirft. Aber er weiß, wie sie im Untergrund den Film manipulieren. Ganz zart. "Wenn man für einen 90-Minüter mehr als 50 Minuten Musik braucht, kann etwas mit dem Film nicht stimmen." Für einen "Tatort" reichten einmal drei Minuten. Und für einen "Polizeiruf" reichte ein Klavier.

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