Süddeutsche Zeitung

München: Streik im Nahverkehr:Total verfahren

Zwei Auseinandersetzungen, zwei Fragen, zwei Antworten: Worum geht es bei den Tarifkonflikten eigentlich? Und was passiert nun?

Marco Völklein

Zwei Streiks, drei Gewerkschaften, zahlreiche Fronten und Nebenkriegsschauplätze - die beiden Tarifkonflikte, unter denen die Münchner am Dienstag zu leiden hatten, sind unheimlich kompliziert und schwer zu lösen. Während der Tarifstreit bei der Bahn ein bundesweiter ist, geht es bei dem Streik, der in München seit Wochen den Verkehr bei U-Bahn, Tram und Bus beeinträchtigt, um eine bayerische Auseinandersetzung. Die SZ erläutert die Hintergründe der Konflikte und sagt, wie es nun weitergeht.

Der Konflikt bei der Bahn

Früher war es ganz einfach: Sämtliche Regionalzüge und S-Bahnen in Deutschland betrieb die Bundesbahn. Doch seit ein paar Jahren herrscht im Schienenpersonennahverkehr Wettbewerb. Auch der Freistaat schreibt immer mehr Strecken aus; private Betreiber, die sich gerne Kunstnamen wie Veolia oder Arriva verpassen, übernehmen ganze Regionalnetze, zum Beispiel rund um Augsburg. Zum Teil zahlen diese neuen Anbieter ihren Mitarbeitern weniger als die Bahn.

Um mithalten zu können, hat die Bahn eigene Töchter gegründet, die ebenfalls unter Tarif bezahlen. Das alles stößt den Gewerkschaften Transnet und GDBA auf: Sie fordern einen einheitlichen Tarif für alle Bahnen - egal ob nun Deutsche Bahn AG, deren Töchter oder die Privaten. So soll der Konkurrenzkampf nicht auf dem Rücken der Eisenbahner ausgetragen werden. Aber die sechs größten Bahnkonkurrenten sperren sich. Mit dem Warnstreik am Dienstag wollten Transnet und GDBA den Druck erhöhen.

Doch der Konflikt wird sich wohl noch hinziehen. Problematisch ist vor allem das komplizierte Verhandlungsprozedere: Die Tarifparteien sitzen nicht alle gemeinsam am Tisch. Vielmehr verhandeln Transnet und GDBA jeweils getrennt mit der Bahn und den Bahnkonkurrenten. Am Freitag sitzen die Gewerkschafter erneut mit der Bahn zusammen.

Hinzu kommt: Parallel laufen Verhandlungen der Gewerkschaft der Lokführer (GDL) mit der Bahn und deren Konkurrenten zu einem ebenfalls einheitlichen Tarifwerk - das allerdings nur für die Lokführer gelten soll. Diese Gespräche laufen aber bisher ganz gut, heißt es. Streiks plant die GDL nach eigener Aussage in diesem Konflikt derzeit nicht.

Der Konflikt bei der MVG

Das sieht beim Tarifstreit der GDL mit den kommunalen Arbeitgebern in Bayern ganz anders aus. Hier hat die Gewerkschaft seit Wochen die Fahrer in München, Nürnberg und Augsburg zu Streiks aufgerufen - unter anderem wurde bei der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) während der Wiesn gestreikt. Die MVG startete daraufhin ein Notnetz. So konnte sie ohne GDL-Fahrer einen einigermaßen geregelten Betrieb fahren.

Die Gewerkschaft setzte den Streik aus; zahlreiche GDL-Mitglieder traten laut MVG dennoch nicht zum Dienst an und meldeten sich krank. Es entstand eine paradoxe Situation: Obwohl der Streik ausgesetzt war, fuhr die MVG ihr Notprogramm. Solange die Fahrer krank seien, gehe es nicht anders, hieß es. Erst vergangene Woche kehrte man zum Normalbetrieb zurück.

Am Dienstag nun rief die GDL ihre Mitglieder erneut zum - vorerst bis zum Abend befristeten - Ausstand auf. Die GDL fordert mehr Lohn und einen Ausgleich für überlange Pausen und Wegezeiten. Doch auch hier ist die Lage kompliziert. Denn die Konkurrenzgewerkschaft Verdi hat bereits einen Tarifvertrag unterzeichnet, der der GDL aber nicht weit genug geht.

Die Arbeitgeber wiederum weigern sich partout, der GDL mehr anzubieten als das, was sie mit Verdi vereinbart haben. Sie befürchten sonst einen "Überbietungswettkampf" der Gewerkschaften. Die Situation ist total verfahren. Ein erstes Treffen zwischen GDL und Arbeitgebern brachte keine Einigung, nun soll es am 3.November ein weiteres Gespräch geben. Bis dahin erwartet die GDL ein Signal. "Nur unter dieser Voraussetzung" sichere man zu, keine weiteren Streikmaßnahmen zu ergreifen.

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Quelle:
SZ vom 27.10.2010/isa
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