Süddeutsche Zeitung

Tag der Muttersprache:Ahoj! Seni seviyorum

Wie wir sprechen, ist Ausdruck unserer kulturellen Identität. Weltweit werden mehr 7100 verschiedene Sprachen gesprochen, allein im Landkreis München leben Menschen aus 173 Ländern. Hier stellen einige ihre Muttersprache vor.

Von Irmengard Gnau und Iris Hilberth

Wie klingt eigentlich Mongolisch, wie wichtig ist die Betonung im Chinesischen und was heißt "Ich liebe dich" auf Türkisch? Im Landkreis München findet man garantiert Menschen, die das beantworten können. Und noch viel mehr in zahlreichen anderen Sprachen.

Von den etwa 350 000 Bewohnern des Landkreises kommen 69 742 aus anderen Ländern, 173 Nationen führt das Landratsamt in einer Liste auf. Die meisten sind Kroaten, Österreicher und Italiener. Deren Muttersprachen sind vielen geläufig. Einzelne aber haben ihre Heimat etwa in Bahrein, Namibia und auf den Seychellen.

Weltweit werden mehr 7100 verschiedene Sprachen gesprochen, haben die Forscher des US-Forschungsprojekts Ethnologue Anfang 2020 gezählt. Viele eigenständige Sprachen sind vom Aussterben bedroht, da nur noch wenigen Menschen sie beherrschen.

Dabei ist die Sprache Ausdruck der kulturellen und persönlichen Identität und als solche überaus schützenswert. Die Unesco, die Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur, ist deshalb einem Vorschlag Pakistans gefolgt und feiert seit dem Jahr 2000 jedes Jahr am 21. Februar die Bedeutung sprachlicher Vielfalt mit dem "Internationalen Tag der Muttersprache".

Aus diesem Anlass hat die SZ Menschen aus dem Landkreis München gebeten, etwas über ihre Muttersprache zu erzählen und einen Satz zu übersetzen. Wie sich diese Sprachen gesprochen anhören, erfährt man in verschiedenen Videos.

Verben reichen: Zahra Taher erklärt die Besonderheiten von Farsi

Zahra Taher stammt aus Iran. Sie lebt seit 2007 in Garching und engagiert sich dort als Kulturdolmetscherin, im Integrationsbeirat sowie im Helferkreis Asyl:

Ich spreche mit meiner Familie sowie bei iranischen Festlichkeiten und Anlässen Farsi. Das Besondere an meiner Muttersprache und auch der Unterschied zum Deutschen ist, dass man einen aussagekräftigen Satz auf Persisch bilden kann, indem man lediglich konjugierte Verben aneinanderreiht. Wörtlich übersetzt würde das etwa so klingen: "Habe, ging, sah, nahm, saß, sagte, las, frage, sehe, kommt, nicht kommt, sah, sage, möchte nicht, komme, möchte, gehe, nehme, schlafe." Die sinnbildliche Übersetzung wäre: "Im Vorbeigehen sah ich, dass jemand auf dem Boden saß. Ich dachte mir, ich sollte ihn fragen, ob er mich begleitet. Er antwortete, er wolle gehen, um zu schlafen." Außerdem existieren auf Farsi, anders als im Deutschen, keine grammatikalischen Geschlechter wie der, die, das.

Ein Satz, den man am besten auf Farsi ausdrücken kann, ist: "Khaste Nabashid." Wörtlich ins Deutsche übersetzt bedeutet das: "Mögen Sie nicht müde sein." Dieser Satz wird in meiner Muttersprache sowohl als Lob, als auch bei der Begrüßung und bei vielen anderen Gelegenheiten verwendet. Je nachdem, in welchem Zusammenhang und welchem Ton man die Redewendung anbringt, kann sie auch ironische Bedeutung haben. Protokoll: Irmengard Gnau

Gymnastik fürs Gehirn: Die Germanistin Wenping Tang empfiehlt, Chinesisch zu lernen

Wenping Tang, 57, kommt aus China. Sie hat in Peking und Münster Germanistik und Allgemeine Sprachwissenschaft studiert und promoviert und lebt seit 1998 in Unterhaching. Dort leitet sie an der Volkshochschule Integrationskurse.

Ich spreche mit meiner Familie zuhause chinesisch. Natürlich auch, wenn ich Landsleute treffe. Wir sprechen hochchinesisch. Es gibt in China auch zahlreiche Dialekte, aber alle nutzen die gleichen Schriftzeichen. Davon gibt es sehr viele. Am Anfang waren viele Schriftzeichen Abbilder der Natur. Im Laufe der Zeit wurden die Schriftzeichen stärker abstrahiert und weitere kamen nach bestimmten Prinzipien hinzu. Im Chinesischen gibt es keine Konjugation oder Deklination. Es heißt sozusagen "ich gehen, du gehen, er gehen, alle gehen". Eine Besonderheit sind die Töne. Im Chinesischen gibt es vier Töne und einen neutralen Ton. Je nach Ton einer Silbe können ihr mehrere unterschiedliche Bedeutungen zugeordnet werden. Nimmt man zum Beispiel die Silbe "ma": Je nach Ton kann sie unter anderem "Mutter", "Hanf", "Pferd" und "schimpfen" bedeuten. Eine weitere Besonderheit des Chinesischen ist, dass man Sätze nicht einfach umkehren kann, ohne dass sich ihre Bedeutung ändert. Im Deutschen kann man den Satz "Ich liebe dich" umkehren zu "Dich liebe ich". Der umgekehrte Satz würde im Chinesischen aber bedeuten: "Du liebst mich." Die chinesische Schrift und die chinesische Literatur sind bereits einige Tausende Jahre alt. Schon im Kindergarten und in der Schule lernen die Kinder Gedichte und klassische Texte aus frühen Jahrhunderten. Lyrische Zeilen und Redewendungen von damals werden noch immer im Alltag verwendet.

Ich habe Chinesisch in Unternehmen und an der Volkshochschule unterrichtet. Der Einstieg ist für viele nicht so schwer. Manche sehen das Chinesischlernen auch als Gymnastik für das Gehirn. Wenn man chinesische Schriftzeichen schreibt, muss man sich sehr konzentrieren, Strich für Strich - das ist wie Meditation.

Chinesisch ist meine geistige Heimat; es ist die Sprache, in der ich zu Hause bin. Wenn ich einen längeren Vortrag vorbereite, gehe ich ihn immer noch mal auf Chinesisch durch. Aber auch in der deutschen Sprache fühle ich mich zu Hause. Ich unterrichte schon lange Deutsch und liebe deutsche Literatur. Am liebsten lese ich Hermann Hesse. Mein chinesischer Satz heißt auf Deutsch: Zuhause ist da, wo das Herz wohnt. Protokoll: Iris hilberth

Das Natürlichste: Eleni Dimopoulou sieht Ähnlichkeit von Griechisch und Deutsch

Eleni Dimopoulou arbeitet im Aschheimer Kulturamt. Die 51-Jährige ist in Griechenland geboren.

Meine Muttersprache Griechisch ist für mich das Natürlichste auf der Welt. Zuhause spreche ich mit meiner Familie nur auf Griechisch. Das gibt mir das Gefühl, dass ich eine Griechin bin und bleibe, weil ich dadurch die Möglichkeit habe, mich ganz genau auszudrücken. Die griechische Sprache ist eine der wortreichste Sprachen der Welt. Da Griechisch eine ältere Sprache als Deutsch ist, habe ich das Gefühl, dass es mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede zwischen den beiden Sprachen gibt. Meine Kinder erzählten mir nach der Schule oft von Begriffen, die ihnen aus dem Griechischen schon bekannt waren.

Ich habe zwar per se keinen griechischen Lieblingssatz, mir fällt aber spontan ein Sprichwort ein: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile - das soll Aristoteles gesagt haben. So besteht auch eine Sprache nicht nur aus der Summe ihrer Wörter und Sätze. Protokoll: Irmengard gnau

Großer Wortschatz: Die Syrerin Rama Abdulhadi liebt die Vielfalt des Arabischen

Rama Abdulhadi aus Syrien lebt mit ihrer Familie in Neubiberg. Die 21-Jährige hat voriges Jahr Abitur gemacht und lernt momentan auf den Medizinertest.

Meine Muttersprache Arabisch bedeutet mir sehr viel. Sie spielt eine wichtige Rolle bei der Bildung meines Charakters. Arabisch klingt schön, es ist so vielfältig. Für mich ist es die schönste Sprache der Welt.

Hier in Deutschland spreche ich mit meiner Familie, mit der ich in Neubiberg lebe, arabisch. Mit meinen Geschwistern spreche ich manchmal auch deutsch. Das Besondere an Hocharabisch ist, dass es so abwechslungsreich und so alt ist. Man hat einen sehr großen Wortschatz und kann die Sätze schön ausdrücken. Es gibt zum Beispiel mehr als 30 Synonyme für das Wort Löwe. Ob es etwas gibt, was man nur in Arabisch sagen kann? Ich finde nicht. Ich habe kein Problem irgendwelche Wörter auf Deutsch auszudrücken, da ich fließend Deutsch sprechen kann. Mein Satz auf Arabisch heißt auf Deutsch: Ohne Fleiß kein Preis. Protokoll: daniela bode

Fröhlich und melodisch: Elvan Tirink erklärt ihre Liebe auf Türkisch

Elvan Tirink, 40, wurde in Zonguldak in der Türkei geboren. Die Betriebswirtin ist Qualitätsmanagement-Referentin einer Hochschule und stellvertretende Vorsitzende des Garchinger Integrationsbeirats.

Türkisch spreche ich mit meiner Familie und meinen Freunden in meinem sozialen Umfeld. Meine Muttersprache klingt für mich melodisch, fröhlich und emotionsgeladen. Wenn ich jemandem eine Liebesbekundung machen möchte, tue ich das auf Türkisch mit dem Satz, der übersetzt heißt: Ich liebe dich, in allen Facetten. Das kann ich am besten in meiner Muttersprache ausdrücken. Protokoll: Irmengard gnau

Weltsprache des Islam: Der Ägypter Aly Hassanein nutzt Arabisch zur Verständigung

Aly Hassanein ist Ägypter und kam als Stipendiat der ägyptischen Regierung vor mehr als 40 Jahren nach Deutschland. Bevor er in den Ruhestand ging, arbeitete er als Physiker. Er beschäftigt sich seit 20 Jahren mit Naturschutz und Bienen. In Garching hat er die Insel der Bienen aufgebaut, eine außerschulische Bildungsinitiative für Naturschutz und Imkerei.

Im Alltag spreche ich mit arabischen Freunden, Verwandtschaft und Bekannten arabisch. Schreiben und kommunizieren, meistens tue ich dies auch auf Arabisch, gerade wenn es um ägyptische, arabische oder islamische Themen geht. Da kann ich mich besser ausdrucken. Was die arabische Sprache wesentlich vom Deutschen unterscheidet, ist der Klang der Wörter, der auch zur Bedeutung passt. Du brauchst keine zusammengesetzten Wörter. Wer die arabische Sprache beherrscht, findet alles haargenau passend.

Die arabische Sprache ist eine Weltsprache, eine der fünf meist gesprochenen Sprachen der Welt, auch eine der offiziellen Sprachen der UNO. Sie ist die offizielle Sprache in mehr als 30 Ländern und wird von allen Muslimen der Welt - circa eineinhalb Milliarden - in ihren Gebeten und religiösen Ritualen benutzt, da der Koran in solchen Angelegenheiten nur in Arabisch gesprochen wird. Die Sprache ist nicht nur schön für die Dichtung, sondern auch als Sprache der Wissenschaft.

Mein Satz ist das Grußwort des Islams "Friede, Gnade Gottes und sein Segen sei mit (über) euch" Für mich ist es das Schönste, was die Botschaft des Islams darstellt und vermittelt, und zwar das Erste in jeder Begegnung sowohl physisch als auch im Schriftverkehr. Protokoll: Irmengard Gnau

Sehnsucht nach Heimat: Ochmaa Göbel beschreibt Mongolisch als sehr pathetisch

Ochmaa Göbel, 36, kommt aus der Mongolei. Sie ist Dolmetscherin, Politologin und CSU-Gemeinderätin in Gräfelfing.

Mongolisch ist eine sehr alte Sprache, sie gehört zur Familie der Altaisprachen, der zentralasiatischen Sprachfamilie. Bis heute ist sie für deutsche Verhältnisse sehr pathetisch, teils auch kompliziert. Wir Mongolen beschreiben das, worüber wir sprechen wollen, mit vielen Worten, Gefühlen und Umschreibungen. Die Kürze und Prägnanz, mit denen Deutsche in ihrer Sprache auf den Punkt bringen, was sie zu sagen haben, ist uns fremd.

Dagegen haben beide Sprachen insofern sehr viel gemeinsam, als sie einen sehr reichen Wortschatz haben, sehr bildhaft schildern können und traumhaft schön Emotionen zum Ausdruck bringen können. Ein wunderbarer Mittler unserer Kultur ist der vielfach ausgezeichnete Schriftsteller, Schamane und Stammesfürst Galsan Tschinag, der Germanistik in Leipzig studiert hat und auf Deutsch schreibt. Er verwendet die deutsche Sprache, die er - wie ich - liebt, erzählt aber in der Wesensart eines Mongolen. Wir tragen die Sehnsucht nach unserer Heimat, ihren Klängen, Gerüchen und Bildern, nach unseren Traditionen und unserer Kultur, nach der Natur und der unendlichen Weite unseres Landes und nach unseren Wertevorstellungen in unserem Herzen und dieses - wie die Deutschen sagen - auf der Zunge.

Mein Satz auf Mongolisch heißt übersetzt: Meine Wurzeln gründen im Leben der Nomaden, in der Natur, dort, wo das Feuer in der Jurte brennt und sein Geruch mir Halt gibt. Meine Heimat ist die unendliche Weite der Steppe. Sie gibt mir Geborgenheit. Protokoll: claudia wessel

Ein Geschenk: Lucia Kott findet Slowakisch schwer und schön

Lucia Kott ist Fraktionsvorsitzende der Grünen im Neubiberger Gemeinderat. Die 48-Jährige ist in Bratislava geboren.

Slowakisch ist mir im wahrsten Sinne des Wortes in die Wiege gelegt worden, denn das ist die erste Sprache, die ich erlernt habe. Sie ist ein prägender Teil von mir und der sprachliche Faden zu meiner Geschichte. Im deutschen Alltag spreche ich slowakisch mit meiner Mutter. Insbesondere, wenn wir nicht möchten, dass uns andere verstehen und wir uns besonders gut verstehen möchten. Slowakisch wird von rund fünf Millionen Menschen in der Slowakei gesprochen. Es gibt nicht viele, die diese schwere und gleichzeitig schöne Sprache lernen. Für mich ist sie ein Geschenk. Was man nur auf Slowakisch sagen kann? Das "Ahoj" zur Begrüßung ohne Meer und Strand so wie hier das "Hallo".

Mein Satz auf Slowakisch heißt auf Deutsch: Als ich eine Schnecke fragte, warum sie so langsam ist, antwortete sie mir: Damit ich mehr Zeit habe, die Welt zu sehen. Protokoll: daniela bode

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Quelle:
SZ vom 19.02.2021/infu
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