Als der erste Lockdown bevorstand, hatten die Menschen im Beherbergungsbetrieb der Arbeiterwohlfahrt (Awo) München in Obermenzing vor allem Angst. Angst, dass die Polizei vor den Türen Wache stehen würde. Angst, dass sie kein Essen bekommen würden. "Wir haben ihnen Mut zugesprochen und ihnen gesagt: Ihr werdet nicht allein gelassen", sagt Hayam Halawa, die dort als Erzieherin arbeitet. Und so war es auch, und nicht nur das. Halawa und das gesamte Erzieherteam halfen den Familien mit ihren Kindern, wo es nur ging. Sie unterstützten sie beim Homeschooling und konnten so Bildungsdefiziten entgegenwirken. Als wieder etwas mehr möglich war, organisierten sie im Sommer gemeinsame Aktivitäten. Das war Balsam für die Seele der Kinder.
In dem Beherbergungsbetrieb, für dessen Betreuung sich die Kreisverbände der Arbeiterwohlfahrt München-Stadt und München-Land als Trägergemeinschaft zusammengeschlossen haben, leben momentan 56 Familien mit 55 schulpflichtigen Kindern aus mehr als 18 Ländern - aus Syrien, dem Irak und aus Portugal genauso wie aus Somalia, Rumänien und Deutschland, wie Leiterin Angela Pfister-Resch berichtet. Unter ihnen sind anerkannte Flüchtlinge und Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen ihre Wohnung verloren haben, etwa wegen einer Räumungsklage. Sie alle wurden dort im Rahmen der öffentlichen Unterbringung von der zentralen Wohnungslosenhilfe des Amtes für Wohnen und Migration eingewiesen. In der Regel teilen sich drei bis vier Personen einen etwa 28 Quadratmeter großen Raum mit Küchenzeile und Bad.
Der Lockdown war freilich eine besonders große Herausforderung für die Kinder, nicht nur weil ihre Eltern sie mangels Deutschkenntnissen oft nicht beim Homeschooling und Lernen unterstützen konnten. Wegen des begrenzten Platzes konnte sich auch "keiner zurückziehen", wie Pfister-Resch sagt. Mit viel Engagement und auch pragmatischen Entscheidungen meisterten Halawa und ihre Kolleginnen aus Erzieherinnen und Sozialpädagoginnen die Situation ziemlich gut. Sie kommunizierten von ihren Diensthandys aus per Whatsapp direkt mit den Kindern, wenn die Eltern ihr Einverständnis gegeben hatten. Sie luden ihnen Lern-Apps herunter, druckten Arbeitsaufträge aus, die die Lehrer gemailt hatten.
Gerade bei den Kleinsten war viel Unterstützung nötig: "Wir hatten 16 Erstklässler, die erst ein paar Wochen die Schule besucht hatten und deren Eltern nicht wussten, was sie tun sollen", sagt Halawa. Sie ließen auch ältere Geschwister den Jüngeren beim Buchstabenlernen helfen. "Jede Familie hat Ressourcen", sagt die Erzieherin. Für den Online-Unterricht konnten die Kinder zum Teil Tablets nutzen, die schon 2019 für ein Medienprojekt angeschafft worden waren. Im Mai und Juni erhielten dann die Kinder über das Jobcenter Endgeräte.
Auch die Tagesabläufe veränderten sich: Während vorher morgens Eltern etwa bei der Kitasuche oder einem Schulwechsel geholfen wurde und nachmittags die Schulkinder bei den Hausaufgaben unterstützt wurden, betreuten die Erzieherinnen die Schulkinder nun morgens vor deren Online-Unterricht digital, indem sie mit ihnen per Handy Lesen übten. Nachmittags unterstützten sie Schüler teilweise im Eins-zu-Eins-Setting mit Maske und hinter Plexiglasscheibe. "Wir sind das letzte Netz für die vulnerabelsten Gruppen - wir versuchen, sie optimal zu unterstützen und zu fördern", sagt Pfister-Resch.
Der enorme Einsatz hat sich offenbar gelohnt. So haben Halawa und das Erzieherteam von manchen Lehrern gehört, die Kinder hätten nach dem Lockdown bessere Leistungen erbracht als zuvor. Auch erzählt sie von einem 15-Jährigen aus Somalia, der seine Schulpflicht eigentlich erfüllt gehabt hätte, als er nach Deutschland kam, aber so fleißig per Whatsapp mit ihr gelernt habe, dass er sich einen Abschluss an der Mittelschule ermöglicht hat. "Das ist wichtig, weil er eine Ausbildung machen will", sagt sie. Nur in wenigen Fällen konnten sie und ihre Kolleginnen nicht viel bewegen, wie bei einem Drittklässler, der ein Lesedefizit hat und dessen Eltern keine Unterstützung wünschten.
Kreative Ideen waren gefragt
Da im Lockdown auch Freizeitaktivitäten nicht möglich waren, war das Erzieherteam auch hier kreativ. Es stellte Bastelpakete zusammen, die es den Kindern zur Verfügung stellte samt einem Muster und einem Link, wo sie die Anleitung finden konnten. Es besorgte Spielsachen wie Kinderbücher und Hörspiele. Sobald wieder etwas mehr möglich war, organisierten Halawa und ihre Kolleginnen Aktivitäten, die den Kindern wieder mehr soziales Miteinander ermöglichten. Schon während des Wechselunterrichts stellten sie Sportaktionen auf dem Feld vor dem Haus auf die Beine, Fußball und Rugby standen und stehen bei den Kindern hoch im Kurs. Im Sommer dann standen Ausflüge mit dem Bus auf dem Programm, beispielweise in den Märchenwald in Wolfratshausen und in den Wildpark Poing. "Sie haben uns überrannt", erzählt Halawa von der großen Nachfrage der Kinder. Zumal wegen der Corona-Regeln immer nur eine begrenzte Zahl an Personen mitfahren konnte. Sie alle hätten Hunger danach gehabt, wieder mit anderen in Kontakt zu kommen.
Wie gut den Kindern die Unterstützung getan hat, konnten Halawa und ihre Kolleginnen an Kleinigkeiten sehen. "Ich habe viele Bilder bekommen", sagt die Erzieherin. Auch lehnten sich manche beim Lesen an sie. "Das ist Anerkennung genug", sagt sie. Für mögliche erneute Einschränkungen durch die Corona-Pandemie ist das Personal des Beherbergungsbetriebs nun gewappnet. "Die Familien sind nun auch mehr mit dem Computer und Fernunterricht vertraut", sagt die Erzieherin.
Damit aber auch Jugendliche noch besser für ein Referat recherchieren können oder Eltern selbständig einen Kitaplatz suchen können, wünschen sich Pfister-Resch und ihr Team einen Laptop für den Gemeinschaftraum, den alle nutzen können. Dafür würden sie die Spenden des Adventskalenders für gute Werke der SZ gerne verwenden. Denn das ist ihr eigentliches Anliegen: Die Kinder und die Eltern stärken, dass sie selbständig durchs Leben kommen.