Süddeutsche Zeitung

Leichtathletik im Alter:Sportlicher Spätzünder

Josef Haneberg ist 85 Jahre alt - und Deutscher Winterwurfmeister im Hammerwerfen. Aktuell trainiert er an der Ganzkörperdrehung im Diskuswerfen.

Von Angela Boschert

"Als ich jünger war, hatte ich ständig Kopf- und Rückenschmerzen, das kenne ich heute nicht mehr. Sportliche Bewegung ist einfach alles!", sagt Josef Haneberg aus Erfahrung. Der 85-jährige Neubiberger ist Deutscher Winterwurfmeister im Hammerwerfen der Altersklasse M 85. Dabei wirft er erst seit drei Jahren Hämmer, Speere und Diskusscheiben möglichst weit von sich weg.

"Ich habe immer irgendeinen Sport probiert", sagt der gebürtige Füssener. Als Jugendlicher nach dem Krieg trat er 1947 einem Fahrradklub bei: "Da ist alles aus Schutt und Asche entstanden; wir haben ein altes Radl hergerichtet, sind im Isargelände rauf und runter oder auf Aschenbahnen Bahnrennen gefahren, dann kamen die Straßenrennen mit durchaus mal 300 Rennfahrern am Start", erzählt Haneberg lachend: "Das war ganz eine wunderbare Zeit." Seine Frau Margot hat er nach einem Radrennen kennengelernt und mit ihr "unser ganzes gemeinsames Leben, also 56 Jahre lang, alle nur denkbaren Sportarten betrieben", erzählt er mit etwas Wehmut in der Stimme. Denn Margot Haneberg ist im Januar 2017 überraschend innerhalb weniger Tage gestorben.

"Jetzt kommst du zu uns", sprach ihn kurz darauf ein Mitglied der Senioren-Leichtathleten des TSV Unterhaching an. In dem Verein trifft sich Haneberg schon seit fast 40 Jahren einmal pro Woche mit Kameraden im Kraftraum. Inzwischen trainiert er außerdem mindestens zweimal pro Woche und bestreitet - wenn endlich wieder möglich - einen Wettbewerb am Wochenende.

Zu der Gruppe der Senioren-Leichtathleten gehören erfahrene - Haneberg sagt "hervorragende" - 3000-Meter-Läufer, Stabhochspringer und Zehnkämpfer. Einen Trainer haben sie nicht, aber "alle haben eine große Sportvergangenheit und sind zugleich Top-Kollegen. Jeder hilft jedem. So auch mir, denn ich war ja absoluter Neuling, als ich 2017 geworben wurde". Bis auf Kugelstoßen, das er kannte, weil er 18 Mal das goldene Sportabzeichen absolviert hat, hat er bei den Unterhachingern vier Disziplinen neu erlernt: Hammer-, Speer-, Diskus- und Gewichtwurf.

Während er den Speer wie gewohnt mit Anlauf wirft, versetzt er die anderen Sportgeräte aus dem Stand in Bewegung. Diese Technik erklärt er beispielhaft am Gewichtwurf: "Das ist eine Kugel an einer kurzen Kette mit Handgriff, die aus dem Stand geworfen wird. Man holt mit einer Körperdrehung Schwung und wirft das Gewicht nach oben weg. Wichtig sind der harmonische Einsatz von Hüfte, Arm und Schulter". Haneberg macht das mit links. Er ist Linkshänder und beim Diskuswurf einer der wenigen, die mit einer Halb- bis Dreivierteldrehung linksherum abwerfen. "Ich bin ja noch jung und arbeite an der Ganzkörperdrehung noch", lächelt Haneberg schelmisch.

Der ein Kilogramm schwere Diskus fliegt dann gut und gerne 17 Meter, das fünfeinhalb Kilogramm wiegende Gewicht schleudert Haneberg auf nahezu zehn Meter. Tritt er im Fünfkampf an, meistert er mindestens 25 Würfe mit den verschiedenen Geräten. Die eng beschriebene Liste seiner ersten und zweiten Plätze auf Kreis-, Landes- und Bundesebene füllt mehrere Seiten.

"Wir tingelten bald durch Bayern, Deutschland und Europa zu Wettkämpfen", sagt Haneberg. Bis die Corona-Pandemie kam. Doch da holte Haneberg sein Mountainbike aus dem Keller, radelte alle zwei bis drei Tage, machte täglich Gymnastik und Kraftsport mit Hanteln. So fühlte er sich auch während des Lockdowns "richtig gut". Doch jetzt wieder gemeinsam mit anderen zu trainieren, macht ihm sichtlich mehr Freude. Denn Josef Haneberg ist ein sozialer Mensch.

Er spielt gerne mit seinen Enkeln und Urenkeln und hat sich sein Leben lang mit Herzblut sozial engagiert. So kümmerte er sich mit viel Geschick ehrenamtlich um die Anliegen der Eigenheimsiedlung Neubiberg an der Cramer-Klett-Straße. Und im Beruf setzte er sich etwa beim Bayerischen Bauernverband 47 Jahre lang für die soziale Besserstellung der Landwirte und vor allem der Landwirtinnen ein, auch in leitender Position.

Neben dem Sport widmete sich Haneberg noch der Ahnenforschung. "Ich bin zu Füßen der Königsschlösser geboren und entstamme einer alten Allgäuer Bauernfamilie", erzählt er. Den Namen Haneberg habe er bis 1339 zurückverfolgt und zum Beispiel herausgefunden, dass sein Urgroßonkel, Daniel Bonifatius von Haneberg, Beichtvater der Königin Marie von Bayern (1825 bis 1889), der Mutter Ludwig II., war. Doch ein historisches Vorbild für seinen Sport hat Haneberg nicht. Vielmehr "Respekt vor allen alten Leuten, die sich trauen, sportlich aktiv zu sein. Denn es gehört Mut dazu, weil man sich fragt: Was sagen die anderen Leute, wenn ich daherkomme und laufen oder werfen will." Nun, man könnte sagen: Hut ab!

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SZ vom 23.06.2020/wean
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