VerkehrswendeBraucht's das kommunale Radl?

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Ausgedient: MVG-Leihräder wie hier an der Münchner U-Bahnstation Münchner Freiheit gibt es nicht mehr. Nun ist die Frage, wer den Nachfolge-Service stellen soll.
Ausgedient: MVG-Leihräder wie hier an der Münchner U-Bahnstation Münchner Freiheit gibt es nicht mehr. Nun ist die Frage, wer den Nachfolge-Service stellen soll. (Foto: Florian Peljak)

Ein MVV-Radl soll die bisherigen blaugrauen Mieträder ersetzen. Doch der nahtlose Übergang scheitert. Die CSU in München und in der Stadt Haar würden das System gerne in private Hände legen.

Von Bernhard Lohr, München/Haar

Das MVG-Rad ist Geschichte. Die letzten blau-silbernen Leihräder werden Anfang Oktober eingesammelt. Doch keiner weiß, auf welche kommunalen Räder München und die Region künftig aufsteigen. Das Bayerische Oberste Landesgericht hat die Ausschreibung für den Betrieb des Nachfolge-Systems gekippt. Und nach Kritik von CSU und Freien Wählern im Münchner Stadtrat kommt auch im Umland die Forderung auf, sich vom kommunal betriebenen Radlverleih zu verabschieden.

Wie in München fehlt in vielen Kommunen das Geld hinten und vorn. Die CSU in Haar sucht stets nach Möglichkeiten zu sparen. Jetzt hat sie dafür das Mietradl ausgemacht und fragt, warum die Stadt für etwas zahlen soll, was private Anbieter von sich aus hinstellen.

Noch bevor es eingeführt ist, prüft nun das Haarer Rathaus eine Kündigung für das Nachfolge-System des MVG-Rads. Der Stadtrat hat mit breiter Mehrheit einen entsprechenden CSU-Antrag angenommen. Die CSU fordert, finanzielle Folgen eines Ausstiegs darzulegen und Handlungsalternativen aufzuzeigen. Fraktionschef Dietrich Keymer begründet den Schritt damit, dass wegen der Panne bei der Neuvergabe eine Lücke entstehe, in die private Anbieter von Mieträdern, E-Scootern oder E-Bikes stoßen würden. Mancher dürfte nach einem halben Jahr das kommunale Leihrad nicht mehr vermissen. Damit würden sich die Erfolgschancen eines solchen neuen Systems verschlechtern. Keymer spricht von einer veränderten Situation. Den Kommunen drohten höhere Kosten.

In München muss auch ohne die blau-silbernen Bikes keiner weit laufen, um Alternativen zu finden. Gefühlt stehen an jeder zweiten Ecke die rot-weißen Räder der Deutschen Bahn. Private Anbieter wie Lime, Bird oder Bolt sind mit E-Scootern und E-Bikes präsent. Die verkehrspolitische Sprecherin der CSU-Stadtratsfraktion in München, Veronika Mirlach, fragt deshalb schon länger, wenn München sparen müsse, warum nicht da? „Tschau MVG-Rad“, sagt sie. Und meint auch Servus an das Nachfolgesystem. Dietrich Keymer in Haar sieht die vielen E-Scooter von Lime auf den Straßen seiner Stadt und meint, „diese Roller kosten uns kein Geld“.

Veronika Mirlach sieht nicht ein, für das neue MVV-Rad 6,7 Millionen Euro im Jahr auszugeben. CSU-Kollege Keymer geht nach öffentlich verfügbaren Richtwerten davon aus, dass etwa 700 Euro pro Fahrrad und Jahr anfallen und 1200 Euro bei Pedelecs. Infrastrukturkosten für Stationen, Software und Betrieb seien nicht eingerechnet. Für Haar ergäben sich jährlich 50 000 Euro. Das alte System hatte die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) seit 2015 für die Stadt gemanagt und 2019 auf den Landkreis München ausgeweitet. Die neue Ausschreibung liegt in der Hand des deutlich weiter in die Region ausgreifenden Münchner Verkehrs- und Tarifverbund (MVV).

Das gesamte S-Bahn-Gebiet und das südliche Bayern bis Rosenheim und Garmisch-Partenkirchen gehören dazu, und seit diesem Jahr Landsberg am Lech und Weilheim-Schongau. Auf Anfrage erklärt der MVV, das neue System solle „die gesamte Region noch besser miteinander vernetzen“. Es solle „in zahlreichen Städten, Märkten, Gemeinden und Kreisen  – der Landeshauptstadt und in Kommunen des MVV-Verbundraums – zur Verfügung sehen“.

Doch kann man überhaupt noch aussteigen? Schließlich lief die Ausschreibung bereits. Ein Ergebnis gibt es nur deshalb nicht, weil der bisherige Betreiber des MVG-Rads, die Leipziger Firma Nextbike, geklagt und wegen Mängeln im Verfahren Recht bekommen hat. Sie hatte sich auch um den Betrieb des Nachfolgemodells beworben.

Letztlich entscheidet jedes Rathaus selbst. Die Auftraggeber seien die einzelnen Kommunen, erklärt der MVV, und diese bezahlten für die Dienstleistung entsprechend. Nur so sei ein flächendeckendes, regionales Bikesharing machbar, erklärt der MVV. „Ein rein privates System wird immer nur die attraktivsten Lagen besetzen, und Bereiche abseits der Innenstadt ohne Angebot zurücklassen.“

In Kreistags-Gremien und in etlichen Kommunen des MVV-Gebiets war deshalb über Jahre Thema, wie es nach dem MVG-Rad weitergehen oder ob man neu einsteigen soll. 176 Mietradstationen gab es beim MVG-Rad im Landkreis München. Die Frage war in dem Fall, welche sollten weitergeführt werden, welche nicht? Wie könnten sie für ein künftiges „MyRadl“-System modifiziert werden?

Über ein Designkonzept wurde beraten, es wurden Kriterien für sogenannte „Mobilitätspunkte“ mit „MP“-Logo erstellt, die auch eine Anbindung an Buslinien haben. An weniger gut vernetzten sogenannten „Radpunkten“  sollten nur Leihräder stehen. Abstellgebiete für die Räder sollten durch sogenanntes Geofencing über GPS-Ortung festgeschrieben werden, wie es bereits private Anbieter nutzen. Laut MVV sind mechanische Mieträder und Pedelecs vorgesehen.

Ländliche Gemeinden tun sich mit der Etablierung eines Mietradsystems schwerer

Mehrere Kommunen im MVV-Gebiet haben Keymer zufolge „vorerst unverbindlich“ ihre Teilnahme am MVV-Radsystem erklärt. Welche das sind, sagt Keymer auf Nachfrage nicht.  Abgesehen von Haar ist der von der CSU in München vor einiger Zeit bereits geäußerte Ausstiegswunsch Mirlach zufolge ohne Resonanz.

Otto Bußjäger (Freie Wähler) verwundert das nicht. Er kennt die Debatten als stellvertretender Landrat im Landkreis München und Gemeinderat in Höhenkirchen-Siegertsbrunn. Und er warnt vor unüberlegten Verstößen und „Regressansprüchen“ bei einem Ausstieg zum jetzigen Zeitpunkt. Gerade eine Stadt wie Haar mit dem großen Isar-Amper-Klinikum profitiere doch vom Mietrad, sagt er, weil viele die Räder auf dem Weg vom Bahnhof dorthin und zurück nutzten. Schwieriger sei es für ländliche Gemeinden wie Sauerlach. Höhenkirchen-Siegertsbrunn beteilige sich, habe an den MVV als Bedarf aber weniger Stationen als beim MVG-Rad gemeldet.

Die Firma Lime schickt ihre E-Scooter und E-Bike nicht in Höhenkirchen-Siegertsbrunn oder Sauerlach auf die Straße, dafür aber in München und größeren Orten wie Haar. Dort rechnet sich das. Ein Sprecher von Lime Deutschland erklärt auf Anfrage, er vernehme in Deutschland vermehrt kritische Stimmen zu kommunalen Leihradsystemen. Auch eine Stadt wie Stuttgart stelle ihr Mietrad-Engagement infrage. Es sei sehr personalintensiv, die Räder zu warten und umzustellen an diese Orte, an denen sie gebraucht würden. „Das ist natürlich ein großer Kostenfaktor.“ Unternehmen wie Lime verfügten über die Erfahrung und die Software, um das effizient hinzubekommen.

Wann das „MyRadl“ oder ein kommunales Fahrrad mit anderem Namen am Straßenrand stehen wird, ist laut MVV im Moment nicht absehbar. Teile des Vergabeverfahrens habe man nach dem Urteil des Gerichts „noch einmal neu angestoßen und Angebote hätten neu eingereicht“ werden müssen. „Das alles läuft gerade.“ Parallel dazu würden alle derzeit möglichen Vorbereitungen zum Start des Bikesharing-Systems weiter vorangetrieben.

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