München:Guten Tag, lieber Feind

Die Internationale Jugendbibliothek in der Blutenburg als Treffpunkt von bekannten Illustratoren und jungen Lesern. Im Mittelpunkt steht die Darstellung von "Flucht und Fremdheit" in Kinderbüchern

Von Andrea Schlaier

Während die Erwachsenen noch polemisieren, wen sie nun willkommen heißen wollen, kennen ihre Kinder die Neuen längst beim Namen. Sie heißen Mohamed, Eya oder Hafsa, kommen aus dem Irak, Syrien und Eritrea und sitzen neben ihnen im Klassenzimmer oder im Sandkasten auf dem Spielplatz. Die Welt der Söhne und Töchter rückt schneller zusammen als die ihrer Eltern. Das ist, wie immer im Leben, mal mehr und mal weniger heiter. Gleichzeitig erreichen auch die Jüngsten verstörende Bilder von Krieg, Vertreibung und Flucht. Setzt man Kindern auch dieser Realität aus - und wenn ja, wie geht man mit ihren Fragen um?

Die Internationale Jugendbibliothek (IJB) in der Blutenburg hat das zum Thema ihrer Jahresausstellung gemacht. "Guten Tag, lieber Feind!" heißt sie, und zu sehen sind 60 Bilderbücher für "Frieden und Menschlichkeit". Zum Ende der Schau sind ausgezeichnete Illustratoren, junge und erfahrene Leser zusammengekommen, um gemeinsam über die Darstellung von "Flucht und Fremdheit" in Kinderbüchern zu sprechen.

Die, so viel ist vorher schon klar, hat sich vollkommen geändert. Noch vor 15 Jahren kleidete die Branche gewalttätige Auseinandersetzungen für ihr junges Publikum bevorzugt in Tierparabeln. Inzwischen werden unmittelbare Ursachen, Mechanismen und Eskalation von Gewalt gezeigt. Kindern wird zugetraut, sich ein eigenes Bild zu machen, eine eigene Perspektive zu entwickeln. Der Buchautor als Alleswisser ist aus der Mode gekommen. Christian Duda jedenfalls, Berliner Autor und Theatermann, der auf dem IJB-Podium sitzt, will keiner sein: "Wir erzählen den Kindern nicht die tausendste Geschichte vom Krieg, sondern dass wir auch ratlos sind!" Er wende sich gegen eine Pädagogikmachung von Literatur: "Wir wollen keine sozialdemokratische Sicht der Welt von uns geben!" Und auch keine rührselige und sentimentale Sicht auf Kinder.

München: Bilderbücher wie "Alle seine Entlein" (Foto) inspirierten die Kinder.

Bilderbücher wie "Alle seine Entlein" (Foto) inspirierten die Kinder.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Bei Duda und Illustratorin Julia Friese werden Ressentiments stattdessen frisch und fröhlich ausgehebelt. In ihrem gemeinsamen Werk "Alle seine Entlein" ziehen sie Konrad, dem Fuchs, hinreißend lebensklug und mit belebtem Strich den Zahn, besser die Zähne. Das schlaue Tier tappt in die Erziehungsfalle, kümmert sich um "Lorenz", das Küken, und verdrängt darüber den Appetit auf das köstliche Ding. "Für uns war interessant", sagt IJB-Moderatorin Tanja Leuthe, "dass sich hier Feindbilder, die es gibt, gar nicht erfüllen und das Küken vorurteilsfrei auf den Fuchs zugeht". Für die im Publikum sitzende Ella, sechs Jahre, war "witzig, dass das Küken gedacht hat, der Fuchs ist die Mama, dabei ist er der Papa!" Jedem seine Sicht.

Damijan Stepančič sitzt in der Blutenburg neben Julia Friese. Die Stimmung im Werk des derzeit bekanntesten slowenischen Illustrators ist im Vergleich zu ihrer Arbeit von biblischer Schwere. "Kann ich dich umarmen?" spielt in einer düsteren Welt. Gleichnishaft löst sich durch eine Geste alltägliche Aggression gegenüber Fremden auf und schwebt davon wie ein zum Regenbogen gewordener schwerer Mantel. Stepančič hält nicht viel davon, die Realität für Kinder im Buch schön zu moderieren: "Ich weiß nicht, warum ich sie künstlich von etwas abhalten soll, was jeden Tag in unserem Leben passiert."

München: Angeregt durch die Bilder griffen die Kinder auch selbst zum Stift.

Angeregt durch die Bilder griffen die Kinder auch selbst zum Stift.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Die belgische Illustratorin Claude K. Dubois ist es, die dem grausamen Schicksal geflüchteter Kinder ein Gesicht gegeben hat. Das des kleinen Akim, der davonrennt vor den Bomben, die auf sein Dorf fallen und dann erschöpft in einer leeren Welt stehen bleibt. Dieses mit wenigen Bleistiftstrichen skizzierte Sehnen im Blick des Kindes, das mutterseelenallein auf der Buchseite steht, rührt bis ins Mark. "Akim rennt" wurde 2014 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. "Ich habe mir viele Möglichkeiten überlegt, wie die Geschichte ausgehen könnte", erzählt Dubois in der IJB. Während eines Workshops in einer achten Klasse habe sie gemerkt, wie nahe den Schülern die Geschichte gegangen sei: "Ich möchte, dass die Kinder über die Geschichte nachdenken. Wenn sie ein schlechtes Ende gehabt hätte, würden sie es wahrscheinlich nie wieder lesen." Akims Mutter findet ihren Sohn, weit weg von Zuhause, auf der letzten Seite.

Und welches Bild machen sich die wenigen Kinder, die im Publikum sitzen, anschließend im Mal-Workshop von den Krisen der Welt? Bei Pepe hagelte es Bomben. Bei Conny, 8, sind vor kurzem "viele Neue" in die Klasse gekommen. Einen lädt sie auf ihrem Bild zum Schaukeln ein: "Ist doch einfach. Jetzt ist er fröhlich."

"Guten Tag, lieber Feind!" Internationale Jugendbibliothek, Schloss Blutenburg, bis 31. Oktober, Montag bis Freitag 10 bis 16 Uhr, Samstag und Sonntag 14 bis 17 Uhr.

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