Klimaschutz:Wie mehr frische Luft nach München kommen soll

Klimaschutz: Damit es in Neuperlach und dem Rest Münchens nicht zu heiß wird, ist die Stadt auf Frischluft aus den Bergen angewiesen.

Damit es in Neuperlach und dem Rest Münchens nicht zu heiß wird, ist die Stadt auf Frischluft aus den Bergen angewiesen.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Damit die Stadt abkühlen kann, braucht es freie Schneisen zu den Alpen. Doch im Südosten Münchens wird immer mehr gebaut.

Von Iris Hilberth und Daniela Bode

Es war ein verdammt heißer Sommer. Einer mit Hitzerekorden und einer, wie es ihn mit sehr großer Wahrscheinlichkeit immer häufiger geben wird. Im Vergleich zu anderen Städten kann München sich noch glücklich schätzen, die Berge ganz in der Nähe zu haben. Die sorgen dafür, dass nachts gut durchgelüftet wird. "Alpines Pumpen" nennt sich dieses Phänomen, eine regionale Zirkulation, die bewirkt, dass tagsüber die heiße Luft aus der Stadt hinaus Richtung Berge strömt, dort abkühlt und nachts eine frische Brise zurück nach München weht.

Man weiß schon lange, wie wichtig es ist, der Luft den Weg freizuhalten. Die bioklimatischen Frischluftschneisen sind wertvolles Gut für die Stadt-Lüftung, sie zuzubauen ist ein No-go. Und doch gibt es Begehrlichkeiten, in einer Boom-Region wie München diese freien Flächen anders zu nutzen und nicht als Wald, Wiese oder Acker. Nach dem Motto, ein bisschen was, wird schon nicht schaden, gibt es immer wieder Versuche, diese Grünzüge und Frischluftschneisen anzuknabbern. Jüngstes Beispiel ist die Gemeinde Neubiberg, die derzeit konkrete Überlegungen anstellt, im Hachinger Tal mit Gewerbegebieten und Wohnbebauung in den Grünzug hineinzugehen. Aber der Widerstand wächst. Jetzt ist auch die Nachbargemeinde Unterhaching aufgeschreckt.

Gemeinsam mit der Stadt München hatte sich Neubiberg auf ein interkommunales Strukturkonzept verständigt. Die Pläne sehen auf Gemeindegebiet eine Bebauung westlich und östlich des Hachinger Bachs einschließlich des Kapellenfelds und des ehemaligen Löwenbräu-Grundstücks vor, die Stadt überlegt die Ansiedlung eines Wertstoffhofs an der Fasengartenstraße und Wohnbebauung an der Münchberger Straße. Eigentlich sollte der Planungsausschuss der Stadt im September das Thema behandeln, doch der Tagesordnungspunkt wurde abgesetzt, man sehe "zusätzlichen Klärungsbedarf", teilt die Pressestelle des Planungsreferats mit, nun würden "weitere Abstimmungen durchgeführt".

Was passieren würde, "wenn die Stadt komplett aussteigt", wie Neubibergs Grünen-Bürgermeisterkandidat Kilian Körner am Dienstag im Gemeinderat wissen wollte, kann Bürgermeister Günter Heyland (Freie Wähler) noch nicht sagen. "Es gibt gemeinsame Themen wie Verkehr und Hochwasserschutz. Es gibt aber auch getrennte Themen wie die Bebauung", sagte er.

Bewohner der angrenzenden Münchner Stadtteile Obergiesing-Fasangarten und Ramersdorf-Perlach schlagen inzwischen Alarm. Durch deren Bürgerinitiative sind auch die Unterhachinger auf das Problem aufmerksam geworden. Denn im dortigen Rathaus war man bis zu einer Anfrage der Grünen-Fraktion im Ferienausschuss noch völlig ahnungslos von den Ideen der Nachbarn. Die Unterhachinger Verwaltung wie auch die Kommunalpolitiker sind daher allesamt recht empört, dass Neubiberg derartige Überlegungen anstellt, ohne seine direkten Nachbarn zu informieren. "Interkommunale Zusammenarbeit heißt, man redet miteinander", betonte Unterhachings Bauamtsleiter Stefan Lauszat am Mittwoch in der Gemeinderatssitzung, "wir wollen da früher eingebunden werden." Schließlich gehe es um Hochwasserschutz, um Retentionsflächen und die Frischluft für München.

Unterhaching erinnert an das Solidaritätsprinzip

Man könne sich als südlicher Nachbar zwar sagen, was geht uns das an, aber es gehe nicht nur um kühle Luft für München, sondern es gebe eine Art Dominoeffekt: Auch Unterhaching würde es deutlich zu spüren bekommen, wenn der Luftstrom durch Bebauung blockiert würde. "Das Solidaritätsprinzip funktioniert nur, wenn Gemeinden die Spielregeln einhalten", mahnte Lauszat und hat das wohl auch den Neubibergern deutlich zu verstehen gegeben. Er habe sich mit dem dortigen Bauamtsleiter Christian Einzmann "am Telefon tief in die Augen geschaut", schließlich habe man sich darauf verständigt, in einer gemeinsamen Sitzung von Verwaltung und Bauausschuss vor der öffentlichen Auslegung über die Pläne zu informieren.

"Die sollen Ross und Reiter nennen, was sie da vorhaben", sagte Lauszat und erntete Zustimmung im Gremium. Allerdings wird das nichtöffentlich geschehen. Den Grünen reicht das nicht. "Wir haben ein Recht darauf, öffentlich darüber informiert zu werden, was mit der Frischluftschneise passiert und was uns vor die Nase gesetzt werden soll", kritisierte ihre Fraktionssprecherin und Landtagsabgeordnete Claudia Köhler das Vorgehen.

Nun ist es nicht das erste Mal, dass Neubiberg den Grünzug im Hachinger Tal als Standort zur Ansiedelung von Firmen entdeckt. 2001 bekam Infineon die Ausnahmegenehmigung, dort seinen "Campeon" zu bauen. Joachim Lorenz, damals Umweltreferent der Stadt München, kann sich gut an die Diskussionen im Regionalen Planungsverband erinnern. "Man war sich sehr unsicher, ob man dem zustimmen sollte", erzählte er am Donnerstagabend bei einem Treffen der Unterhachinger Grünen. Schließlich hätten die Befürworter eine knappe Mehrheit gehabt. "Zwei Landkreise hatte man damals noch umgestimmt, indem man ihnen im Gegenzug kritische Golfplätze genehmigt hatte", so Lorenz. Zwar bekam Infineon strikte Auflagen, etwa durften die Gebäude nur eine gewisse Höhe und eine bestimmte Struktur haben, die freien Flächen ringsherum sollten erhalten bleiben.

Inzwischen dient der Infineonpark den Bewohnern des Fasanenparks als Naherholungsgebiet, er gilt als ökologisch wertvoll und Infineon als vorbildlich. Allerdings, wie Lorenz schon damals mahnte: "Es ist die erste Wunde im Regionalen Grünzug und es wird sich weiter fortsetzen." Er befürchtet weitere "Anknabberungen". "Jetzt sind der Bebauung Tür und Tor geöffnet." Zwar wiegelt man in Neubiberg ab, dass es noch kein formelles Bauleitverfahren gebe. Doch werden auf den Flächen, die überwiegend im Besitz des milliardenschweren Familienkonglomerat Finck und Winterstein sind, bereits Bodenproben genommen. "Die Maschinen sind dort schon zugange", stellt Grünen-Politikerin Köhler verärgert fest.

Vor seiner Pensionierung 2014 hatte Lorenz beim Deutschen Wetterdienst ein Gutachten in Auftrag gegeben, um zu erfahren, wie der Klimawandel sich im Lokalen auswirkt und was berücksichtigt werden muss, um die Durchlüftung der Stadt weiter zu gewährleisten. Denn die letzte Untersuchung stamme aus den Sechzigerjahren. Die Ergebnisse hätten längst vorliegen müssen, so Lorenz. Bürger, die nachgefragt hätten, seien auf Ende 2020 vertröstet worden. "Das ist absurd", findet Lorenz. Bevor man in Bauleitplanungen einsteige, müsse man geklärt haben, wie heutzutage der regionale Grünzug wirkt - und mit ihm das alpine Pumpen.

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