Lebensmittel:Zu schade für die Tonne

Lebensmittel: Weitergeben statt wegwerfen - das ist der Gedanke hinter Foodsharing und Fairteilen.

Weitergeben statt wegwerfen - das ist der Gedanke hinter Foodsharing und Fairteilen.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Lebensmittel, die früher weggeworfen worden wären, landen in einigen Supermärkten inzwischen in Foodsharing-Stationen. Die Unternehmen machen damit sogar Gewinn - aber es gibt auch Kritiker.

Von Sophie Kobel

Der Brokkoli hinter der glänzenden Glasscheibe des zwei Meter hohen Kühlschranks hat schon ein paar kleine gelbliche Stellen. Würde er in der Gemüseauslage ein paar Gänge weiter liegen, würde wohl kaum ein Kunde nach ihm greifen. Er würde schließlich im Hinterhof des Amper-Einkaufs-Zentrums (AEZ) in Pullach landen. "Wenn Sie die Massen gesehen hätten, die wir früher jeden Tag in diesen roten Plastikkisten weggeschmissen haben. Da wird einem ganz anders", erzählt Ralph Ulbricht und schüttelt den Kopf. Seit bald vier Jahren ist er Geschäftsführer der AEZ-Betriebsabteilung. Er war auch dabei, als vor zwei Jahren die erste Foodshare-Station im Landkreis München eingerichtet wurde. Das Ziel: Lebensmittel, die das Mindesthaltbarkeitsdatum erreichen, zu verwerten.

Mit Erfolg: Heute stehen in jeder der zehn Filialen des Unternehmens ein großer Kühlschrank, ein tiefes Regal und ein eine Holzkiste mit der Aufschrift "Für Mümmel, Hopsi und Schnuffel". Auf diese Weise wird vermutlich nicht nur der verblasste Blumenkohl noch gekocht oder gedünstet werden, sondern auch der eine oder andere lasche Salatkopf im Kaninchenkäfig landen. Denn alles außer Fleisch landet in der Station hinter den Kassen. Und am Ende vom Tag bleibt laut Ulbricht fast nie etwas übrig.

Die Verschwendung und das Vernichten von Lebensmitteln - ein Thema, das neuerdings immer mehr Menschen bewegt. "Wir haben uns gefragt: Was ist der Rahmen des Legalen, um gerade noch verwertbare Lebensmittel an den Kunden zu geben und dabei nicht mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen?", erklärt der Betriebsleiter, wie es zu der Entscheidung kam, Lebensmittel, deren Haltbarkeitsdatum abläuft, nicht wegzuwerfen.

Containern, also das Einsammeln von Lebensmitteln, die von Supermärkten aussortiert und entsorgt werden, ist in Deutschland verboten. Erst unlängst wurden in Fürstenfeldbruck zwei junge Frauen, die damit gegen die Lebensmittelverschwendung protestieren wollten, deshalb verurteilt. "Das ist natürlich wie auch für jeden anderen Supermarkt ein Problem, darum fiel uns auch die Situation mit dem Containern schwer", sagt Ulbricht. "Man hat dann mal ein Auge zugedrückt. Aber wir sind sehr froh, unseren eigenen Weg gefunden zu haben."

Auf die Idee mit den Foodshare-Stationen ist man beim Familienbetrieb AEZ stolz. Die Supermärkte haben dadurch ihre Lebensmittelabfälle nach eigenen Angaben um zwei Drittel reduziert. Bei Ladenschluss werden die Stationen entleert, geputzt und mit neuen Lebensmitteln gefüllt. Denn Produkte mit überschrittenem Mindesthaltbarkeitsdatum dürfen nicht in die Schränke gelegt werden. Für etwaige gesundheitliche Folgen durch abgelaufene und in Umlauf gebrachte Lebensmittel müsste das Unternehmen haften.

Neben Supermärkten gibt es auch Privatinitiativen, die unverkäufliche Lebensmittel kostenlos verteilen. Unter foodsharing.de findet man deutschlandweit sogenannte Fairteiler, die Lebensmittel auf legale Weise vor dem Container bewahren. Kühlschränke und Regale der Initiative, in denen Privatleute nicht mehr benötigte Lebensmittel für andere zum Mitnehmen deponieren können, existieren in der Stadt München drei. Im Landkreis München gibt es bisher noch keinen. Die Stadt Unterschleißheim hat zwar vor einem Jahr beschlossen, einen Fairteiler einzurichten. Doch noch gibt es keinen Standort. "Sobald der gefunden ist, geht es los", sagt Lissy Meyer von den Grünen, die das Projekt in der Stadt initiiert haben.

Im Gegensatz zu Privatinitiativen müssen Kaufleute rechnen. Ob sich die zehn Stationen in den AEZ-Geschäften auch wirtschaftlich rentieren, darüber waren sich die Leiter des Familienbetriebs anfangs nicht sicher. Kaufen Kunden dadurch weniger ein? Werden die Regale leer gehamstert? Macht die Einrichtung örtlichen Tafeln Konkurrenz? "Wir sind bis heute überrascht, wie diszipliniert der Ablauf an den Stationen ist", sagt Geschäftsführer Ulbricht. Für das Unternehmen sind die Schränke auch betriebswirtschaftlich ein Gewinn. Zwar liegt die Anschaffung der Einrichtung bei 3000 Euro pro Station, dafür werden zwei Drittel der Entsorgungskosten eingespart. "Wir machen so ein gutes Geschäft", sagt Ulbricht.

55 Kilogramm

Lebensmittel wirft jeder Einzelne pro Jahr in den Müll. So hat es eine Studie der Gesellschaft für Konsumforschung im Jahr 2017 ergeben. Obst und Gemüse macht einen Anteil von 34 Prozent aus, Backwaren liegen bei 14 und Fleisch und Fisch bei vier Prozent.

Wieso also gibt es nur vereinzelt Supermärkte, die Foodsharing betreiben? Christian Strauß vom Handelskonzern Edeka erklärt dazu: "Wir sind eine Genossenschaft, dabei wird jede Filiale von selbstständigen Kaufleuten betrieben. Wer welche Produkte und Mengen bestellt und wie mit den Überresten umgegangen wird, entscheidet also jeder Supermarkt für sich." Die meisten Edeka-Märkte setzten zudem auf ein modernes Waren-Wirtschaftssystem. Auf diese Weise würden überschüssige Lebensmittel auf ein Minimum reduziert. "Was trotzdem übrig bleibt, spenden wir an über 900 Tafeln in Deutschland", erklärt der Edeka-Pressesprecher. Ähnlich argumentieren die Supermarkt-Ketten Rewe und Lidl. Auch sie geben übrigegebliebene Lebensmittel an gemeinnütze Hilfsorganisationen ab: "Mittlerweile werden 99 Prozent der Waren verkauft, das Gros des einen übrigen Prozentes geht dabei an örtliche Tafeln", sagt Rewe-Pressesprecher Thomas Bonrath. Foodsharing-Regale, so sein Einwand, würden die regelmäßigen Abgaben an soziale Organisationen verringern.

Das glaubt Traudl Vater nicht. Sie betreut zweimal pro Woche die Kunden des Haarer Tisches und verteilt die von Supermärkten gespendeten Lebensmittel an Bedürftige aus der Gemeinde. "Bei schnell verderblichen Milchprodukten wären Mitnehmregale in den Supermärkten sinnvoller als die Spende an uns. Wenn wir am Mittwoch Joghurts geschenkt bekommen, die am selben Tag ablaufen, wollen unsere Kunden die am Freitag nicht mehr mitnehmen." Sie und ihr Team achten darauf, dass alle Lebensmittel bei der Annahme noch mehrere Tage haltbar sind.

Matthias Hilzensauer von der Caritas sieht das anders: Für deren Tafeln nähmen Mitarbeiter auch Lebensmittel an, die das Mindesthaltbarkeitsdatum gerade überschritten hätten. "Hätte jeder Supermarkt ein Regal mit kostenlosen Produkten im Laden, wäre das für uns eine große Konkurrenz und vermutlich irgendwann ein Problem", sagt der Kreisgeschäftsführer des Sozialverbands. In Pullach kann man diese Sorge nicht nachvollziehen, dort ergänzen sich Spenden und Foodsharing-Regale seit Jahren: "Wir geben trotzdem wöchentlich viele Produkte an die Tafeln aus der Umgebung ab", sagt Ulbricht. Mit dem Foodsharing wolle man vor allem auch ein sichtbares Zeichen gegen Lebensmittelverschwendung setzen. "Darum stellen wir die Regale auch ganz bewusst immer an den besten Platz im Geschäft: direkt hinter die Kassen, und nicht in den Hinterhof."

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