Süddeutsche Zeitung

Fahrradkurse für Flüchtlinge:Eine Frage der Balance

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Das Rad kann ein nützliches Fortbewegungsmittel für Asylbewerber sein. Doch vor allem viele Frauen müssen erst lernen, darauf das Gleichgewicht zu halten. Der ADFC bildet Trainer aus, die es ihnen beibringen.

Von Markus Mayr

Wenn ein Auto gegen ein Fahrrad im Vollkontakt antritt, kommt der Radler meist nicht mit einem blauen Auge davon. Allerdings kann die Gefahr eines solchen Unfalls gering halten, wer die Verkehrsregeln kennt. Radelnden Kindern bringen Polizisten diese Regeln bei. Mit drei Jugendverkehrsschulen gastieren Beamte in allen vierten Grundschulklassen des Landkreises. Um die mit deutschen Verkehrsregeln nicht vertrauten Asylbewerber kümmert sich hingegen der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC).

Auf seiner Homepage hat der Club Flyer mit den "wichtigsten Verkehrsregeln für Radfahrer" veröffentlicht - in sechs verschiedenen Sprachen: Albanisch, Arabisch, Deutsch, Englisch, Farsi, und Französisch. Derzeit sucht der ADFC Übersetzer, die eine zusätzliche Version in der eritreischen Landessprache verfassen. "Der Flyer ist eine Erfolgsgeschichte", sagt Erich Wittmann. Weil er übersichtlich ist und sich auf das Wesentliche - wie Vorfahrtsregeln und wichtige Verkehrszeichen - beschränkt. In Deutschland einzigartig, sagt Wittmann.

Adressat sind die Helferkreise

Vor rund einem Jahr hat der Unterhachinger die zehnköpfige Arbeitsgruppe Asyl im Münchner Kreisverband gegründet und erst kürzlich die Leitung Gabriele Bader übertragen. Das formulierte Ziel der Gruppe ist es, ehrenamtliche Asylhelferkreise "kompetent und praxisbezogen" zu beraten. Damit diese selbstständig Flüchtlingen und Asylbewerbern "den sicheren Umgang mit dem Fahrrad im öffentlichen Verkehrsraum" vermitteln können. "Wir haben bereits relativ viele Kontakte zu den einzelnen Helferkreisen", sagt Wittmann.

Der ADFC selbst hat zwar eine Radfahrschule für erwachsene Frauen mit Migrationshintergrund, aber zu wenig Ehrenamtliche, um allen Lernwilligen das Radeln beizubringen. Denn es geht nicht nur um Verkehrsregeln, sondern ganz banal um das Fahren auf zwei Rädern. Deshalb bildet die Asylgruppe Fahrradtrainer in den Helferkreisen aus, die ihrerseits wiederum künftige Trainer anlernen oder anderen das Fahrradfahren beibringen können. Die Flyer - à zwei DIN-A 4-Seiten - sind ein Hilfsmittel dafür. Wo kein Trainer zur Verfügung steht, hilft es den Verkehrsneulingen sicherlich, ihnen den Flyer einfach in die Hand zu drücken.

Lob von der Polizei

Explizit weist der ADFC auf seiner Homepage darauf hin, dass es erwünscht ist, die Flyer herunterzuladen und zu verbreiten. Und das lehrreiche Papier aus München ist schon weit herumgekommen. "Positive Resonanz aus ganz Deutschland" habe es gegeben, berichtet die neue Gruppenleiterin Bader, von anderen ADFC-Gruppen, von Kommunen und von der Polizei. Die Aktion sei "sehr zu begrüßen", sagt Michael Reisch von der Verkehrsabteilung des Polizeipräsidiums München. Seine Sektion unterrichtet Schüler im sicheren Radfahren.

Für Flüchtlinge hätten sie dergleichen bisher allerdings nicht tun können, erklärt Reisch. "Wir unterstützen im Rahmen unserer personellen Möglichkeiten", sagt er. Sie hätten Helferkreisen auf Anfrage Unterrichtsmaterial überlassen und böten Schulungen für künftige Trainer an. Im Einzelfall sei auch ein Fahrradtraining direkt mit Asylbewerbern denkbar. Der Polizist fügt jedoch hinzu: "Wir werden das nie flächendeckend anbieten können."

Gute Erfahrungen in Höhenkirchen

Also sind Asylsuchende auf ehrenamtliche Helfer angewiesen. Gruppenleiterin Bader berichtet, dass sie mit ihren Leuten im vergangenen Jahr drei Mal Interessierte aus Helferkreisen geschult habe. Sie spricht von einem "Testlauf", an dem jedesmal knapp zehn Leute teilgenommen hätten. Eine von ihnen war Gisela Blech von den Asylhelfern aus Höhenkirchen. Das Training sei "prima" und "sehr durchdacht" gewesen, sagt die Rentnerin. "Ich weiß jetzt, wie ich vorgehen muss, um anderen Menschen das Fahrradfahren beizubringen."

Die Flyer hat Blech mit anderen Engagierten in der Höhenkirchner Flüchtlingsunterkunft verteilt. Auf dem Gelände der Grundschule konnte sie im vergangenen Jahr mit Neulingen trainieren. Männern könnten das Fahren an sich bereits, erzählt die Höhenkirchnerin. Doch Frauen müssten es meist von Grund auf lernen. "Wir üben deshalb erst einmal das Auf- und Absteigen, wie man die Balance findet", sagt sie. Was oftmals etwas länger dauert. Die meisten ihrer Schülerinnen seien erwachsen, keine Kinder mehr, die schnell lernten. Wenn sie es dann könnten, seien insbesondere die Frauen danach nicht nur mobiler sondern auch ein Stück freier. "Das ist mir wichtig", sagt Blech.

Vom ADFC geschult und mit Flyern ausgestattet, ist der Helferkreis gerüstet für das Frühjahr. Dann will er aufs Neue mit den Trainings loslegen. Allein: "Wir brauchen Räder", sagt Blech. Spenden werden gerne genommen. Damit diese dann auch lange Zeit nutzbar bleiben, soll eine kleine Werkstatt an der Unterkunft eingerichtet werden. Damit die Bewohner ihre Räder künftig selbst in Schuss halten.

Die nächsten Radfahrtrainings, sogenannte Multiplikatorenschulungen, will der ADFC im Frühjahr anbieten. Infos gibt es unter www.adfc-muenchen.de.

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Quelle:
SZ vom 11.01.2016
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