Mord verhindert:Der Lebensretter von Holzapfelkreuth

Ein frustrierter Liebhaber sticht an einer U-Bahn-Haltestelle auf seinen Nebenbuhler ein - und niemand greift ein. Bis auf Ulrich Mauerer. Nun wurde der 37-Jährige für seine Zivilcourage geehrt.

J. Wetzel

Der Mann ist erblindet, aber wenn Ulrich Mauerer ihn nicht beschützt hätte, wäre er heute vermutlich tot. Im Juni 2008 hatte ein frustrierter Liebhaber seinem Nebenbuhler an der U-Bahn-Haltestelle Holzapfelkreuth aufgelauert, zwei Messer gezogen und auf ihn eingestochen. Immer wieder hatte er auf die Augen gezielt und auch nicht von seinem Opfer abgelassen, als beide Klingen bereits von der Wucht der Stiche abgebrochen waren. Erst als Ulrich Mauerer eingriff, flüchtete er. Das Opfer ist von dem Angriff gezeichnet, aber die Ärzte konnten immerhin sein Leben retten.

Mord verhindert: Auch wenn sonst niemand half, Ulrich Mauerer betrachtet sein Eingreifen als Selbstverständlichkeit.

Auch wenn sonst niemand half, Ulrich Mauerer betrachtet sein Eingreifen als Selbstverständlichkeit.

(Foto: Stephan Rumpf)

Am Donnerstag erhielt der gebürtige Regensburger für sein Einschreiten die Bayerische Rettungsmedaille. Er spricht nur ungern über den 16. Juni 2008, in der Öffentlichkeit stehen wollte er nie. "Das war nichts Besonderes", sagt er heute. Doch er war der einzige, der an der U-Bahn-Station eingriff. Andere Passanten riefen zwar die Polizei, blieben aber dann einfach stehen und sahen zu, was geschah.

Der 16. Juni 2008 war ein Montag. Ulrich Mauerer ging frühmorgens joggen, wie so oft. Er ist 37 Jahre alt, arbeitet als Geschäftsführer eines Klinikkonzerns, er ist verheiratet und Vater von drei Kindern. Er hat viel zu tun, aber frühmorgens hat er Zeit für sich. Und er ist leidenschaftlicher Dauerläufer. Zuletzt lief er im vergangenen September den Berlin-Marathon mit, 42.195 Meter in 3 Stunden und 22 Minuten.

Ulrich Mauerer läuft jeden Tag eine andere Strecke. An diesem Tag kam er an der Haltestelle Holzapfelkreuth vorbei, rein zufällig. Hätte er einen andere Route genommen, hätte er nicht eingegriffen, die Ärzte hätten wohl nichts mehr für das Opfer tun können.

So aber sah Mauerer an der U-Bahn-Station zwei Männer stehen. "Sie rangelten, es sah aus wie ein Streit", erinnert er sich heute. Er ging auf die beiden zu, wollte erfahren, was sich abspielte. Täter oder Opfer, so genau habe er das noch gar nicht wahrnehmen können, sagt er, da stieß der eine Mann den anderen schon zu Boden, warf sich auf ihn, kniete sich auf seinen Oberkörper.

"Ich helfe jetzt"

Und er stach zu, immer wieder, dem anderen mitten ins Gesicht. "Der war wie rasend", erzählt Ulrich Mauerer. Er habe erst versucht, ihn durch Rufen von seinem Opfer abzubringen, aber der Täter habe überhaupt nicht reagiert. Andere Menschen kamen zum Tatort, aber niemand wagte es, etwas zu unternehmen. Also trennte Mauerer den Messerstecher mit Gewalt von seinem Opfer. Mehrmals trat er ihm gegen den Kopf, er ist geübt, Jahre zuvor hatte er aktiv den Kampfsport Karate betrieben. Und tatsächlich zeigten seine Tritte Wirkung, der Mann ließ von seinem Opfer ab.

Mauerer erfuhr später, er habe dem Täter das Jochbein gebrochen. Doch der Mann stand ungerührt auf und lief davon, Mauerer hinterher. Die folgenden Momente sind ihm als sehr gruselig in Erinnerung geblieben. Nach wenigen Schritten sei der Täter in ein normales Schritttempo verfallen, erzählt er. Und er habe angefangen zu sprechen. "Der hat gesagt, der andere habe das verdient. Und er wirkte völlig ruhig in seinen mit Blut verschmierten Sachen, mit dem Messer in der Hand." Unterwegs habe er sich sogar noch das Blut von den Händen gewaschen, mit Hilfe einer mitgebrachten Flüssigkeit.

Einen halben Kilometer weit gingen sie nebeneinander her, der Messerstecher und der Lebensretter, in gemütlichem Tempo. Für Ulrich Mauerer war es eine gefühlte Ewigkeit. Er habe ja nicht gewusst, was der Mann vorhatte, und was er in seinen Taschen noch mit sich führte, erzählt er: vielleicht weitere Messer? Eine Schusswaffe? Doch dann kam eine Polizeistreife und nahm den Täter fest.

Ulrich Mauerer erfuhr später mit Bedauern, dass der Mann, dem er das Leben rettete, sein Augenlicht verloren hat. Aber er ist froh, dass ihm selbst nichts geschehen ist. "Ich habe danach öfters überlegt, was alles hätte passieren können", sagt er. In dem Moment selbst habe er dagegen keine Angst verspürt. "Ich hatte Laufschuhe an und war schon warmgelaufen, deswegen wusste ich: Wenn der jetzt auf mich zukommt, dann bin ich relativ schnell weg", sagt er. Aber lange nachgedacht habe er nicht. "Da ist einfach die Entscheidung gewesen: Ich helfe jetzt!"

Der Täter sprach später vor Gericht davon, dämonische Stimmen hätten ihm die Tat befohlen. Er wurde im April 2009 wegen versuchten Mordes zu 13 Jahren Haft verurteilt und in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Ulrich Mauerer sagt, er würde jederzeit wieder so handeln. Auch wenn sonst niemand half, er betrachtet sein Eingreifen als Selbstverständlichkeit. Mit dem Vorfall am 16. Juni 2008 hat er abgeschlossen. Was ihm bleibt, ist Mitgefühl für das Opfer - und der Schreck: darüber, mit welcher Besessenheit der Mann auf seinen Nebenbuhler einstach. Und darüber, was für massive Gewalt notwendig war, um ihn von seinem Opfer zu trennen.

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