Süddeutsche Zeitung

Mobilität im Landkreis München:Fahrradverkehr im Fokus

Der ADFC lässt die Bundestagskandidaten der Parteien bei einer Veranstaltung in Straßlach-Dingharting über Verbesserungen für Radfahrer diskutieren.

Von Iris Hilberth, Straßlach-Dingharting

Wer über Fahrradverkehr spricht, kommt unweigerlich irgendwann auf Kopenhagen. Europäische Fahrradstadt Nummer eins, Vorbild für alle, die mehr Leute in die Sattel hieven wollen. Was also haben die in Dänemark, was wir nicht haben? Wie können wir ein bisschen Kopenhagen werden? Mehr kommunale Gestaltungsmöglichkeiten, mehr Geld und eine Stadtplanung, die Radfahrern mehr Platz und mehr Sicherheit bietet, waren Hauptpunkte, die am Dienstagabend im Bürgerhaus Straßlach Politikern und Direktkandidaten für die Bundestagswahl zu diesem Thema einfielen.

Etwa 50 Zuschauer waren gekommen, weitere 100 verfolgten die Diskussion online. Eingeladen hatte der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) München-Land, der den Vertretern der Parteien in Person der Moderatorin Eva Eichmann hinsichtlich ihrer Fahrradfreundlichkeit auf den Zahn fühlen ließ. Mit aufsteigen wollen sie alle, keiner will die Klima- und Verkehrswende den anderen überlassen. Gleich mutig oder radikal sind sie dabei nicht. Bei der ADFC-Forderung nach einer massiven Verlagerung vom Autoverkehr auf den Radverkehr ist es vor allem bei der CSU schnell vorbei mit der Liebe zum Fahrrad. "Wir dürfen das Rad nicht gegen das Auto ausspielen. Das Auto ist nicht das Schlechteste, was wir haben", sagte Quentin Wolf, der für die Christsozialen auf der Liste für den Bundestag kandidiert.

"Radfahren kommt in der öffentlichen Diskussion zu wenig vor", findet SPD-Direktkandidat Korbinian Rüger. Wer über Radfahren redet, kommt unweigerlich auch immer auf das Auto zu sprechen. Nach Ansicht von Karl Bär, Kommunalpolitiker der Grünen aus dem Landkreis Miesbach, liegt das vor allem daran, dass "die Dominanz des Autos im Recht festgeschrieben" ist. Wolle man die ganz große Schraube drehen, müsse man die Straßenverkehrsordnung ändern, in der es immer um das Fließen des Autoverkehrs gehe. "Die Straßenverkehrsordnung ist auf das Auto ausgerichtet", gab ihm die Bundestagsabgeordnete der Linken, Eva-Maria Schreiber, recht.

Natürlich fahren alle Rad. Aber das Verkehrsmittel hat bei ihnen unterschiedlichen Stellenwert

"Wir haben täglich mit den Folgen der auto-freundlichen Politik der vergangenen Jahrzehnte zu tun", stellte ÖDP-Kandidat Yannik Rouault fest. Es gehe darum, die Dominanz des Autos zu brechen, fordert er. Man solle das Auto nicht verteufeln, entgegnete FDP-Kandidat Axel Schmidt, der daran erinnerte, dass die meisten Leute verschiedene Verkehrsmittel nutzten. Schmidt warb für "mehr Toleranz" untereinander.

Natürlich fahren sie alle selbst Fahrrad, die Teilnehmer dieser Diskussionsrunde. Wenngleich CSU-Mann Wolf erläuterte, dass er dieses Verkehrsmittel eher als geeignet sieht, um fünf, zehn oder auch mal 15 Kilometer zu fahren und nicht eineinhalb Stunden von seinem Wohnort Feldkirchen his nach Straßlach. Eva-Maria Schreiber gab allerdings zu: "Ich fahre nicht mehr gerne Fahrrad." Als sie vor vier Jahren zum ersten Mal in den Bundestag gewählt wurde, habe sie sich darauf gefreut, mit dem Rad zum Reichstagsgebäude zu fahren. "Aber als ich gesehen habe wo ich lang muss, habe ich es gelassen." Radspuren auf Hauptverkehrsstraßen, Trambahnschienen, Rechtsabbieger und zugeparkte enge Straßen halten sie davon ab.

Eine "sicherere" Infrastruktur forderte auch Gerhard Kisslinger, der Kandidat der Freien Wähler. Vor allem müsse diese kommunal gestaltet werden. Mit dieser Ansicht steht er nicht alleine. Eine deutliche Vereinfachung der Fördermittelvergabe für die Radinfrastruktur sieht auch die politische Konkurrenz als wichtige Veränderung. "Wir müssen die Kommunen entschulden oder Radwege ohne eigene Beiträge von den Kommunen bauen", so Rüger von der SPD. Der Grüne Bär fordert mehr Gestaltungsspielraum für die Gemeinden: "Wenn ich die Möglichkeit hätte, mitzuregieren, würde ich den Kommunen mehr Rechte geben. Die Kommunen müssen die Möglichkeit bekommen, in ihren Gemeinden Fahrradverkehr zu fördern, auch an Straßen, die keine kommunalen Straßen sind", sagte er.

Um Radfahren attraktiver zu machen, bezeichnen alle die Investition in die Infrastruktur als wichtiges Thema. CSU-Kandidat Wolf findet zwar, es sei schon viel in dieser Richtung passiert, alle andere sehen dort noch Defizite. "Es stimmt, dass viel Geld in die Fahrradwege geflossen ist, aber es gibt zu wenig Personal um Fahrradwege zu planen", kritisierte Rüger. ÖDP-Mann Rouault findet, man müsse die Fahrradstreifen räumlich von der Straße trennen und auf Kosten der Straße umbauen, "es gibt nur fünf Prozent furchtlose Radfahrer", weiß er. Am liebsten wäre ihm eine Stadt mit einer "grünen Lunge", um die die Autos herumfahren müssen.

Axel Schmidt will vor allem die Verkehrsmittel intelligent vernetzen und bessere Möglichkeiten schaffen, um Fahrräder in öffentlichen Verkehrsmittel mitzunehmen. "Man sollte nicht nur auf Leihräder setzen", findet er. Auch könnte er sich vorstellen,finanzielle Anreize für E-Bikes zu schaffen und den Bau einer Fahrradbrücke über die Isar zu unterstützen. Um Eltern zu entlasten und Kindern bessere Fahrräder zur Verfügung zu stellen, schlägt Rüger Fuhrparks vor, an denen Familien Räder mieten können.

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SZ vom 06.08.2021
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