Süddeutsche Zeitung

Mobilität:Daumen runter

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Mitfahrbankerl könnten auf einfache Weise den öffentlichen Nahverkehr ergänzen. Doch vielerorts überwiegen die Bedenken gegen diese Form des organisierten Trampens. Deshalb ist das Angebot bisher überschaubar

Von Michael Morosow, Pullach/Aying

Sie sind ein kleines, aber buntes Mosaiksteinchen im Gesamtbild des öffentlichen Personennahverkehrs: die sogenannten Mitfahrbankerl. So vielverheißend und charmant aber die Idee eines kostenlosen und ökologisch unbedenklichen Mitfahrens klingt, so richtig in Fahrt gekommen ist sie in der Region München noch nicht. Zu den wenigen Kommunen, die diesem Konzept in seiner Startphase eine Chance gaben, darunter Höhenkirchen-Siegertsbrunn im Herbst 2018, gesellten sich bis heute nicht viele weitere. In Sauerlach und in Straßlach-Dingharting lehnten die Gemeinderäte die Einrichtung solcher speziell gekennzeichneten und mit Richtungsschildern oder Anzeigetafeln versehenes Bänklein ab.

Nun stand das Thema in den Rathäusern von Aying und Pullach zur Beratung. Ergebnis: Ein einziges weiteres Bänkchen am Bahnhof Aying wird das von Anfang an überschaubare Routennetz verstärken. In Pullach hingegen wird die Entscheidung auf die lange Bank geschoben.

Insbesondere Sicherheitsbedenken, aber auch die Sorge, diese Alternative könnte den eigenen MVV-Ortsbussen die Kunden abspenstig machen, wiegt bei den Entscheidungsträgern in einigen Rathausgremien offenbar schwerer als die vielen unbestrittenen Vorteile der sympathischen Art der Fortbewegung. In Sauerlach etwa sperrte sich der Gemeinderat nicht nur gegen die Einrichtung von Mitfahrbankerln, in seiner Sitzung im Mai widerrief er auch noch seine zwei Monate vorher erklärte Bereitschaft, wenigstens ein Logo mit gerecktem Daumen und dem Schriftzug "Mitfahr-Gemeinde" an bestehenden Haltestellen anzubringen zu lassen. Damit reagierte er auf ein Schreiben von Elternbeirat und Rektorat der örtlichen Grundschule, die darin vor einer Kennzeichnung von Bushaltestellen dringend warnen. Kinder würden dazu verleitet, bei Fremden ins Auto zu steigen, das sei eine "wirklich kritische Situation, die man nicht zwangsweise hervorrufen muss", heißt es in dem Brief.

Sicherheitsbedenken waren auch der Hauptgrund dafür, dass der Gemeinderat von Straßlach-Dingharting auf Distanz zu der alternativen Mobilitätsform ging. "Ich hätte Angst, wenn meine Tochter auf diese Art trampen würde", sagte Gertraud Schad (Unabhängige Wählervereinigung), und Albert Geiger von der Bayernpartei gab zu bedenken, junge Mädchen würden, weil das Ganze offiziellen Charakter habe, zu jedem einsteigen. Seinem Fazit: "I dad's lassn", schloss sich die große Mehrheit an. Daumen gesenkt also für das "Sitz-Trampen"?

Nicht allerorts, in der Gemeinde Brunnthal hat sich der Gemeinderat dafür ausgesprochen. Die Bänke stünden schon längst, wenn sie bei der Anlieferung nicht beschädigt worden wären, wie Geschäftsleiter Siegfried Hofmann am Montag zur SZ sagte. Und in Großhöhenrain, einem Gemeindeteil von Feldkirchen-Westerham im Landkreis Rosenheim, beschäftigen sich die Ortsräte aktuell recht wohlwollend mit dem Projekt "Mitfahrbankerl". Eines steht bereits am Parkplatz vor dem "Gasthof Höhenrain", weitere sollen folgen und in einem nächsten Schritt will sich der Ortsrat jetzt mit Nachbarorten und -gemeinden vernetzen - zum Bespiel mit der Gemeinde Aying. Die Höhenrainer Ortsräte haben laut Ayings Bürgermeister Johann Eichler (Parteiunabhängige Wählergemeinschaft Helfendorf) für ein Mitfahrbankerl-Konzept eine Bürgerbefragung gestartet und dabei erfahren, dass der Bahnhof Aying ein wichtiger Punkt für ihre Bürger ist. "Für mich klingt's gut", sagte Eichler jüngst im Gemeinderat. Für alle anderen auch. Demnächst wird ein Mitfahrbankerl am Bahnhof eingerichtet.

In Pullach stand in der Vorwoche ein Antrag der FDP-Fraktion zur Beratung. Ihr hätte es bereits genügt, wenn bestehende Sitzbänke im Ort umgewidmet würden, etwa beim Simmel-Markt, am Kirchplatz oder in der Wenzsiedlung, was Martin Eibeler als fast kostenneutrale Lösung bezeichnete. Einfach mal ausprobieren, wenn's nicht klappt, wieder einstellen, wenn's gut läuft, weitere Bänke umwidmen - so einfach hatte sich das die FDP vorgestellt. Zwölf Wortmeldungen und gut eine halbe Stunde später sagte Fabian Müller-Klug von den Grünen merklich genervt: "Jetzt wundert mich nichts mehr, warum das mit dem Schwimmbad nicht klappt."

Zuvor waren breit alle Argumente vorgetragen worden, die gegen eine zeitige Umsetzung des Vorhabens sprechen. Holger Ptacek (SPD), wiewohl grundsätzlich angetan von der Bankerl-Idee, regte an, einen Verkehrsplaner einzuschalten und sich im Verkehrsausschuss oder im Gemeinderat "qualifizierte Gedanken" zu machen, bevor eine Entscheidung getroffen wird. Andere wie Reinhard Vennekold (Wir in Pullach, WIP), gingen auf die Sicherheitsfrage für Minderjährige ein: "Den Kindern bringen wir bei, nicht bei fremden Leuten einzusteigen. Wie ist die Haftung geregelt?", fragte Vennekold und erfuhr von Bürgermeisterin Susanna Tausendfreund (Grüne), dass die Gemeinde selbst als Initiatorin nicht in Haftung genommen werden könne. Schließlich machte Angelika Metz (WIP) noch auf die Gefahr aufmerksam, dass durch die neuen Mitfahrgelegenheiten der Nachbarschaftshilfe Konkurrenz entstehen könne. Am Ende entschied der Gemeinderat mit zehn zu acht Stimmen, ein Konzept für Mitfahrbankerl ausarbeiten zu lassen.

Dabei könnte es vielleicht hilfreich sein, sich in Gemeinden umzusehen, in denen es bereits solche Bänke gibt, in Egmating, Oberpframmern, Moosach, Glonn, Grafing, Ebersberg, Zorneding oder in Höhenkirchen-Siegertsbrunn, wo seit einem Jahr zwei stehen. Die Zwischenbilanz von Bürgermeisterin Ursula Mayer (CSU) allerdings ist wenig ermutigend: "Sie sind schön anzuschauen, aber ich glaube nicht, dass sie oft genutzt werden", sagt die Höhenkirchner Rathauschefin. Sie meint auch, den Grund dafür zu kennen - das System mit den ausklappbaren Zielschildern haben ihrer Meinung nach die meisten nicht "geschnallt". Aber nur, wenn diese sichtbar seien, könnten Autofahrer davon ausgehen, dass hier jemand nach einer Mitfahrgelegenheit sucht, sagt Bürgermeisterin Mayer. So aber glaubten die meisten, darauf sitze jemand, der sich ausruht. "Also erst Taferl raus und dann hinsetzen", rät Ursula Mayer.

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Quelle:
SZ vom 27.11.2019
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