Mitten in Pullach:Vom Leben der kurzen Wege

15 Kilometer und keinen Schritt weiter: Für viele ist die coronabedingte Einschränkung eine Zumutung - für manche reine Lebensphilosophie

Von Claudia Wessel

Jetzt ist der Zeitpunkt für ein Outing gekommen. Und für eine Forderung an die Politik, die ohne meine Erlaubnis meine Lebensdevise nutzt und zu ihrer eigenen erklärt. Fragen Sie meine Freunde, meinen Lebensgefährten, alle in meinem näheren Umfeld, sie werden Ihnen bestätigen, dass ich seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten ein "Leben der kurzen Wege" proklamiere. Während andere ihre Urlaube damit verbrachten, in den nächsten Flieger zu steigen und an Strände in aller Welt zu jetten, behauptete ich, am Starnberger See sei es mindestens ebenso schön. Und eines meiner immer sehr bestaunten und mitleidig belächelten Zitate lautet: "Ich bewege mich am liebsten nur noch in einem Umkreis von fünf Kilometern."

Der Grund dafür war einfach die Erfahrung, dass man nach einer Urlaubsreise eigentlich erst einmal Urlaub braucht, um sich wieder zu erholen von Jetlag, Kulturschock und Kofferpacken. Und dass die genüssliche Langsamkeit des Lebens erst so richtig schön ist, wenn man einfach bleibt, wo man ist. Während andere versicherten, sich auf Kreuzfahrtschiffen mit Tausenden von Mitreisenden am besten zu erholen, fand ich schon immer, dass es an einem Regentag an der Isar ohne Mitmenschen am schönsten sei. Auch Geselligkeiten gehörten seit Jahren zu den Dingen, die ich am liebsten vermieden hätte, nur Alkohol und Selbstdarstellung - und dann noch der Heimweg, alles zu viel Fremd-Input, den man nicht braucht. Dann lieber noch ein Stündchen Yin Yoga auf der heimischen Matte und Kontakt mit dem Inneren.

Und jetzt das! Es steht zu erwarten, dass Landrat Christoph Göbel wegen der Sieben-Tage-Inzidenz bald verkünden wird, dass alle im Landkreis ein "Leben der kurzen Wege" führen sollten. Er dürfte zwar zum 15-Kilometer-Radius statt meiner Fünfer-Runde raten, ich melde dennoch hiermit ein Patent an. Eine Entschädigung aus dem Corona-Hilfefonds ist auf mein Konto zu überweisen. Als Zusatz zu den neuen Regeln erlaube ich mir die Anweisung an alle, täglich am Online-Yoga eines Pullacher Studios teilzunehmen. Unter dem Motto: Be. Here. Now.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: