Mitten in Pullach:Im Auge des Orkans

Was als ganz normales Warten auf die S-Bahn beginnt, wird zu einem Abenteuerfilm mit unfreiwilligen Beteiligten. Und Gott sei Dank mit Happy End.

Von Claudia Wessel

Was wurde wohl aus dem Mädchen mit der Pizza? Von 21 Uhr bis mindestens 22 Uhr stand es da, regungslos, im Auge des Orkans. Die Pizza auf der rechten Handfläche, auf welcher sie vermutlich spürte, wie deren Temperatur langsam abnahm. Was wurde aus den beiden jungen Radlern, die das Ganze "eigentlich ganz cool" fanden, "so ein richtiger Querschnitt durch die Gesellschaft": 21 Personen in einem Wartehäuschen der S-Bahn am Bahnhof Pullach am Freitagabend. Während des ganz normalen Wartens auf einen Zug landete man unvermittelt in einem falschen Film. Akteure: eine Gruppe von Jugendlichen, eine Französin, ein Taekwondo-Schüler und sein Lehrer, die Radler, das Pizza-Mädchen und weitere. Gemeinsam waren sie urplötzlich gefangen in dem Wartehäuschen, vor ihren Augen tobte der Sturm, durften sie krasse Blitzzacken beobachten, die Äste eines Baumes langsam auf das Wartehäuschen heruntersacken sehen und von so lauten Donnerexplosionen gerührt werden, dass jemand fragte: "Sind wir noch vollzählig?"

Begonnen hatte es schon um 20.47 Uhr. Da befand man sich noch in einem lauschig warmen Sommerabend, an dem man sich wünschte, man hätte sich verabredet, um noch in einem Biergarten zu sitzen. Deshalb war es zwar ein merkwürdiges Vorzeichen, dass die S-Bahn nach München einfuhr, aber auf dem falschen Gleis. Eine Menge Menschen hechtete noch über die Gleise. Man selbst dachte: Ach, ist doch so angenehmes Wetter, da kann man auch auf die nächste warten, geplant für 21.07 Uhr.

Die kam aber nicht mehr, stattdessen Sturmböen, peitschender Regen und Hiobsbotschaften. Eine davon auf dem Display des Fahrkartenautomaten: Baum auf den Gleisen zwischen Großhesselohe-Isartalbahnhof und Höllriegelskreuth. Weitere von zahlreichen Handys, schließlich: S-Bahn-Verkehr eingestellt. Einer der Radler lieh einem sein Handy, das eigene lag genau an diesem Abend vergessen daheim. Anruf beim Liebsten, der es sich schon auf dem Sofa gemütlich gemacht hatte: "Holst du mich ab?" Begehrliche Blicke von allen Seiten. Der Freund, der sich aufgerafft hat, wächst noch über sich hinaus, als er die zwei Riesenkerle sieht, die schließlich beim Treffpunkt mit einem im Regen stehen, der Taekwondo-Schüler und sein Lehrer. "Kannst du die noch mitnehmen?" Wer kann da schon Nein sagen, angesichts der triefend nassen Bittsteller? Aber das Pizza-Mädchen wäre ihm sicher lieber gewesen.

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