Süddeutsche Zeitung

Mitten in Oberhaching:Wanderer überm Sternenzelt

Herrgott - wenn man nur die Adresse wüsste: Dann könnte man Gott im Himmel besuchen. Der Gläubige setzt darauf, ihm bei einer Bergtour zumindest nahe zu kommen

Kolumne Von Michael Morosow

Wie schön wäre es, wenn die Adresse des Allmächtigen bekannt wäre. Man könnte ihm schreiben, oder bei ihm anklopfen und ihn fragen, ob das unselige Treiben hienieden wirklich Teil seines Schöpfungsplans sei, oder ob es sein könne, dass ihm, oh Gott, etwas aus dem Ruder gelaufen sei. Die Briefe, die sich auf den Weg zu ihm machten, würden wohl länger den Himmel verdunkeln als der Ausbruch des Popocatepetl. Aber wo, Herrgott noch mal, wohnt der Allmächtige? Irgendwo im Himmel, das weiß jedes Kind, aber der Himmel ist groß. Auch wer sich bei der Suche nach Gott an der deutschen Klassik orientiert, findet allenfalls vage Vermutungen, wie etwa bei Friedrich Schillers "An die Freude":"Brüder überm Sternenzelt, muss ein lieber Vater wohnen...", mutmaßte der Dichter.

Bei der Suche nach dem lieben Gott stoßen aber auch Bergsteiger an ihre Grenzen. Nun gut, wer mit Sandalen gefährliche Routen geht, ist schneller bei ihm, als er wollte. Aber auch wer gesund das Gipfelkreuz erreicht, selbst das auf dem Mount Everest, wähnt sich zwar ganz oben, ist aber immer noch weit entfernt vom himmlischen Sternenzelt und damit von seinem Schöpfer. Dabei ist dieser doch so nah - predigt jedenfalls jeder Pfarrer von der Kanzel. Demnach wohnt Gott in jedem Menschen, der ihn reinlässt.

Mit diesem Gottvertrauen im Herzen und mit Wanderschuhen machen sich am 11. Oktober Mitglieder des Pfarrverbands Oberhaching im Allgäu auf den Weg nach oben. Freilich sind die Gläubigen nicht unterwegs zu Gott, "Männer unterwegs mit Gott" lautet vielmehr der Titel der sportiven Unternehmung, zu der man sich im Pfarramt noch bis zum 2. Oktober anmelden kann. Die geistliche Begleitung übernimmt Pater Hans-Martin Samietz von der Schönstattbewegung, einer Vereinigung von Gläubigen in der katholischen Kirche mit apostolischer Ausrichtung.

Die Teilnehmer, darunter keine einzige Frau, erwartet laut Veranstalter eine Bergwanderung mit geistlichen Impulsen und Gesprächen. Übernachtet wird in einer Selbstversorgerhütte, das heißt, für Frühstück und Abendbrot sind die Männer allein verantwortlich. Aber wer den Herrgott als treuen Begleiter auf seiner Seite weiß, der fürchtet sich vor gar nichts. Vielleicht aber sollte der Koch der Wandertruppe, falls einer auserkoren wurde, sich sicherheitshalber am Herd mal kurz vom Schöpfer über die Schulter schauen lassen.

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Quelle:
SZ vom 26.09.2019
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