Mitten in Oberhaching:Am Aschermittwoch ist gar nichts vorbei

Die stade Zeit wird übergangslos von der Fastenzeit abgelöst. Aber irgendwann kommt sie, die Ausgangspflicht

Von Michael Morosow

Wieder neben der gleichen Frau aufgewacht, Kaffee getrunken, die aktuelle Corona-Lage gecheckt, ins Auto gestiegen, wie gestern hinter einem Lastwagen auf die Landstraße eingebogen, am Arbeitsplatz mit dem selben Kollegen wie gestern über Trübsinn und Langeweile gesprochen, gerne wieder zur Frau heimgefahren - "sonst eigentlich nichts Neues", könnte man jetzt in sein Tagebuch schreiben. Wer darin in ferner Zukunft blättert, wird das Nix-los-Gejammer kaum verstehen, ist doch der Aschermittwoch seit jeher ein Tag der Besinnung und Erholung nach wochenlangem Trallala auf Faschingsbällen. Diese aber sind bekanntlich ausgefallen, weshalb die stade Zeit vom Dezember jetzt ohne großen Übergang von der Fastenzeit abgelöst wird.

War dazwischen was, sieht man vom größten Event im bisherigen Jahreslauf ab, der Vogelzählaktion am 6. Januar? Eigentlich nicht. Und jetzt also sollen wir uns bis Ostern der Kontemplation hingeben, uns auf das Wesentliche konzentrieren, zurückfahren. Das ist in etwa so, als stellt man einem Ausgehungerten mittags einen leeren Teller auf den Tisch und wünscht abends viel Spaß beim Nachdenken. Nach Erholung und Entspannung sehnen sich in diesen Zeiten verständlicherweise Ärzte, Pfleger und andere im Gesundheitswesen tätigen Menschen, dem großen Rest ist nach Ablenkung, Kurzweil, Erlebnissen, Zerstreuung.

Jetzt, da die nächtlichen Ausgangsbeschränkungen beendet wurden, kann dieser sich vorsichtig dem prallen Leben wieder nähern. Zum Beispiel mitternachts vor seiner geschlossenen Stammkneipe die Schutzmaske abnehmen und frech eine von Zuhause selbst mitgebrachte kalte Limonade trinken. Recht viel mehr ist derzeit noch nicht möglich, aber die Zeit wird kommen, da man seinen Tag ganz alleine managen und darin so viel Trallala einbauen kann, wie man will. Es wird nicht so kommen, dass die Leute dann von Schäfflertänzern aus den Häusern gelockt werden müssen. Aber sicherheitshalber sollte man in Berlin darüber nachdenken, eine Ausgangspflicht zu erlassen.

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