Mitten in Neubiberg:Übersetzung essen Sinn auf

Ofenkartoffel mit Schmalz der Nebrodi? Für kulinarische Überraschungen muss man nicht weit fliegen, es gibt sie auch in einem italienischen Bistro in Neubiberg

Kolumne von Claudia Wessel

Ist nicht das Schönste an anderen Ländern, dass sie so rätselhaft sind? Gerade daher rührt ja ihre Faszination, und einer der größten Reize am Reisen ist es, sich der Andersartigkeit auszusetzen. Der Europäer hat es relativ leicht, in den Genuss solcher Freuden zu kommen: Er muss nicht sehr weit fahren oder fliegen, um mitten im Neuland zu stehen. Ungewohnte Sprachlaute dringen schon nach einer Stunde und fünf Minuten in Richtung Süden ans Ohr, fliegt man etwa nach Mailand. Nur eineinhalb Stunden braucht es bis Rom und lächerliche zwei Stunden, um in Palermo zu landen.

Gerade Europa aber ermöglicht es auch, die Anregungen des Rätselhaften bereits im Landkreis München zu erleben. Landet man etwa in Neubiberg in dem kleinen Bistro mit Eisdiele "Primocaffe" in der Hauptstraße, darf man beim Lesen der Speisekarte staunen. "Einnahmen" steht dort in Großbuchstaben ganz oben und darunter werden interessante kleine Speisen aufgelistet wie etwa "Knoblauchbrot Primocaffe" oder "Ofenkartoffel mit Schmalz der Nebrodi".

Weil es danach erst mal ganz langweilig und bekannt weitergeht mit Flammkuchen und Pizza, bleibt man bei den Einnahmen hängen. Eine kleine Nachfrage bei der Kellnerin, was denn Einnahmen bedeute, bringt in wunderschönem Italienisch-Deutsch so etwas wie "erste" hervor. Und was ist "Schmalz der Nebrodi"? Die Erläuterungen sind leider nicht ganz zu verstehen, von hinten ruft schließlich ein Mitarbeiter: "Schinken!" Das klingt sehr exotisch und wir sind gespannt auf den Schmalz des Schinkens.

Der Schinken ist dann aber ziemlich normal und einfach in Streifen angerichtet über einer in kleine Stücke geschnittenen Ofenkartoffel in einer Art Müslischale. Ein Holzstäbchen steckt darin, mit dem man es offenbar essen soll. Auf Wunsch werden aber dennoch klassisch Messer und Gabel serviert. Beim Verspeisen dieser ungewöhnlichen kleinen Mahlzeit gibt es jedenfalls ein echtes Palermo-Gefühl gratis: eine kleine anregende Fremdheit, die Spaß macht. Zu dem Gefühl, ganz woanders zu sein, trägt auch die Überschrift der Karte ihren Teil bei: "Mode Essen Sizilianer". Ach, es ist so spannend, nichts zu verstehen.

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