Süddeutsche Zeitung

Mitten in Grünwald:Eine mehr als nette Toilette

Das öffentliche Häuschen in Grünwald soll saniert werden, aber wieviel Luxus darf sein?

Von Claudia Wessel

Betritt man die öffentliche Toilette an der Wilhelm-Keim-Straße in Grünwald, taucht man ein in eine magische Atmosphäre. In dem Licht, das beim Betreten automatisch angeht, dominieren tagsüber Blauanteile. Sie unterstützen das Wachwerden der Nutzer. Um 19 Uhr dagegen stellt sich die Beleuchtung automatisch um auf Licht mit mehr Rotanteilen. Dieses kurbelt die Ausschüttung des Schlafhormons Melatonin an, und der Besucher wird müde und entspannt. Dann fühlt er sich noch wohler in dem quadratischen Raum, der die Aura eines Aquariums hat. An den Wänden finden sich bunte Fische aller Art, die auf einem verschwimmenden Untergrund aufgebracht sind, sodass die Illusion entsteht, sie würden sich bewegen.

Der Aquariumsbesucher taucht außerdem ein in eine immer wohlige Wärme, die jederzeit gemessen und reguliert wird. Gegen peinliche Geräusche in den jeweils zwei Kabinen für Männer und Frauen erklingt Entspannungsmusik, die Sitze sind geheizt - Vorbild Japan - und das Toilettenpapier gleitet sanft und problemlos in die Hände der Besucher.

Davor, dass derartige Luxusfantasien beim Grünwalder Bürger entstehen könnten angesichts der geplanten Sanierung der öffentlichen Toilettenanlage, hat Bürgermeister Jan Neusiedl aus unerfindlichen Gründen große Angst. Bei der Haushaltsvorberatung am Dienstagabend im Gemeinderat versucht er daher immer wieder, das Thema abzuwürgen. "Bitte keine Klo-Diskussion, hier geht es um Eckpunkte", verlangt er, jedoch vergeblich. Das Thema bleibt ihm erhalten, vor allem auch, weil Grünen-Gemeinderätin Ingrid Reinhart findet: "Das ist ein Dauerbrenner." Und angesichts der in der betreffenden Haushaltsstelle eingeplanten 150 000 Euro findet der Parteifreie Tobias Brauner: "Dafür kann man ja einen Toilettenplaner engagieren."

Ja genau - und warum auch nicht? Wenn nun schon die Gewerbesteuereinnahmen langsam aber sicher sinken und der Reichtum der Gemeinde womöglich der Corona-Krise zum Opfer fällt, wäre ein Luxus-Klo doch immerhin noch etwas, das an die guten alten Zeiten erinnert.

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Quelle:
SZ vom 11.02.2021
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