Mit Toni Hofreiter an der Isar:Am entfesselten Fluss

Mit Toni Hofreiter an der Isar: Toni Hofreiter und der Schäftlarner Grüne Gerd Zattler (von links) beobachten die Isar seit Jahren.

Toni Hofreiter und der Schäftlarner Grüne Gerd Zattler (von links) beobachten die Isar seit Jahren.

(Foto: Claus Schunk)

Toni Hofreiter, Grünen-Politiker und promovierter Biologe, führt eine Schar Interessierter durch den Auwald bei Schäftlarn. Der hat sich seit der Renaturierung der Isar zum Lebensraum seltener Tiere und Pflanzen entwickelt.

Von Michael Morosow, Schäftlarn

Toni Hofreiter ist es gewohnt, auf der linken Seite gegen den Strom zu steuern, als Grünen-Politiker ohnehin, aber auch als Freund und Begleiter der Isar. Seit der promovierte Biologe 2005 als Bundestagsabgeordneter an der Spree seine Zelte aufgeschlagen hat, pflegt er eine Art Fernbeziehung mit ihr.

Einmal im Jahr trifft er sich im Frühsommer an der Schäftlarner Isarbrücke mit weiteren Liebhabern des Flusses zu einer Exkursion, die zum 4,5 Flusskilometer entfernten Ickinger Wehr führt. Stets die gleiche Strecke, das muss doch langweilig sein, kann man glauben. Dann aber kennt man die Isar nicht. Seit sie vor 20 Jahren aus ihrem engen Betonkorsett befreit worden ist, in das sie mit dem Bau des Wasserkraftwerks Mühltal in den Zwanzigerjahren gezwängt worden war, gebärdet sie sich wie entfesselt, gerade wenn sie Hochwasser führt. Dann gluckst sie nicht friedlich dahin, sondern legt sich mit Verve in die Kurven, prallt mit Wucht gegen die Böschungen und frisst sich Jahr für Jahr tiefer in den Auwald hinein. Isaria, die Reißende, nennt man sie.

Die Isar - die Wandelbare

Convertibile, die Wandelbare, wäre auch ein trefflicher Name für das Kind der jüngsten Eiszeit. "Schaut, dort drüben, ungefähr in der Mitte der Kiesbank, war früher das Ufer", referiert Gerd Zattler von den Schäftlarner Grünen. Und dem Mann kann man glauben; nicht nur dass er wie Toni Hofreiter alle bislang 20 Isarbegehungen mitgemacht hat. Zattler hat sein Leben seit seiner Hausgeburt vor 68 Jahren in Hörweite zur Isar verbracht und hat die Genese des Flusses und der Natur auf beiden Ufern hautnah begleitet.

Eine bunte Schar wandertauglich bekleideter Teilnehmer schlängelt sich wie ein Lindwurm durch den Auenwald, heftet sich an Hofreiters Fersen, die in locker gebundenen Wanderschuhen stecken. Laufend gibt der Botaniker das Zeichen zum Haltmachen, dann ist er umringt von 41 Neugierigen - so viele wie noch nie in der Geschichte der Isarbegehungen. Dann erklärt der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Deutschen Bundestag das Zusammenspiel der Natur hier im Isartal und auf dem ganzen Globus. "Das hier ist ein lebendes Fossil", sagt er und hält einen Schachtelhalm in die Runde.

Vor 300 Millionen Jahren seien Schachtelhalme bis zu 40 Meter hohe Bäume gewesen, hätten gigantische Mengen von CO₂ gebunden und in Kohlelagen gesteckt. Womit Toni Hofreiter denn auch schon bei der Eisschmelze angekommen ist, die in der Arktis voranschreitet und durch den Kohleabbau beschleunigt wird. "Die sechste Aussterbekatastrophe ist in vollem Gange", orakelt der Biologe. Nicht in den Auenwäldern der Isar, deren Artenvielfalt seit Beginn der Renaturierung vor 20 Jahren exorbitant zugenommen hat. "Hier war der Biber", ruft Hofreiter und zeigt auf einen beinahe komplett abgenagten Baumstamm. Wie Tarzan ergreift er jetzt eine daumendicke Liane, die sich um eine Kiefer gewunden hat. Hier in den Weichholzauen gedeihe eine Flora wie sonst nur in tropischen Wäldern.

Thymian, Wacholder und Schneeweide

Die Wandergesellschaft wechselt nun in die Hartholz-Aue über, wo Thymian, Wacholder und die Schneeweide heranwachsen - "auf grobkörnigem Kies, der wasserdurchlässig ist", wie der Botaniker erklärt. Indem sich die "Reißende" bei jedem Hochwasser tiefer in den Auwald hineinfrisst, entwurzelt sie Bäume, die in ihr Bett kippen und tut Gutes damit. "Sie bieten jungen Fischen Schutz vor Fressfeinden wie den Kormoran", erklärt Hofreiter. Und die durch das Geschiebe des Flusses neu entstehenden Kiesbänke bieten Lebensraum für Blumen und Brutstätten für Vögel.

Kurz vor dem Ziel machen die Wanderer auch noch Bekanntschaft mit einer Art Ortsumgehung für Fische. Vor einem Jahr wurde das angeblich größte je von Menschenhand geschaffene Umgehungsgerinne gegraben, nachdem über die Fischtreppen am Ickinger oftmals zu wenig Wasser gelaufen war. Klüger als zuvor treffen die Isarfreunde am Abend beim Bruckenfischer im Biergarten ein. Unter der Brücke tummeln sich große Bachforellen.

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