Süddeutsche Zeitung

Missbrauch in der Kirche:Um Vorbeugung und Aufklärung bemüht

Lesezeit: 3 min

Pfarrer Toni Wolf aus Höhenkirchen kündigt an, ein Forum zum Thema Missbrauch schaffen zu wollen. Laut Peter Bartlechner, dem Präventionsbeauftragten der Erzdiözese München und Freising, soll bald jeder Pfarrverband zwei geschulte Ansprechpartner für Opfer anbieten

Von Anna Majid, Höhenkirchen-Siegertsbrunn

Die Kirche tut sich aktuell schwer damit, den Missbrauch durch Würdenträger lückenlos aufzuklären. Pfarrer Toni Wolf vom katholischen Pfarrverband Höhenkirchen ist nun offenbar um mehr Transparenz bemüht. Er wolle ein Forum zum Thema Missbrauch schaffen, sagte Wolf am Montag bei einer Veranstaltung im Pfarrhaus der Kirche St. Peter. Aktuell gebe es zwar keinen Missbrauchsbeauftragten im eigenen Pfarrverband, doch sei man um Prävention und Aufklärung bemüht, erklärte Wolf. Hauptredner am Montagabend war Peter Bartlechner, Sozialpädagoge und Präventionsbeauftragter der Erzdiözese München und Freising, der über die im Rahmen der Deutschen Bischofskonferenz vorgestellte Missbrauchsstudie referierte.

Sein Ziel sei es, die Anwesenden hinsichtlich Missbrauch zu sensibilisieren, denn man brauche Multiplikatoren für diese aktuelle Thematik, erklärte Bartlechner. Zunächst informierte er über die im September 2018 veröffentlichte MHG-Studie, ein Forschungsprojekt der Universitäten Mannheim, Heidelberg und Gießen. Durch die Auswertung von Personalakten sowie Interviews mit Betroffenen, Verantwortlichen und Tätern wurden Missbrauchsfälle, die sich in der katholischen Kirche zwischen 1946 und 2014 ereignet haben, untersucht. 1670 Beschuldigte und 3677 Betroffene - so die traurige Bilanz. Aber laut Bartlechner gibt es eine deutlich höhere Dunkelziffer. Er nannte einen Faktor von "zehn, vielleicht sogar 20".

Auffällig gewesen sei, dass die erste Tat laut Studie im Schnitt 14,3 Jahre nach der Weihe stattfinde. Als Grund dafür sieht Bartlechner "die Anwachsung von Macht". Ein Priester, der bereits einige Jahre im Amt sei, genieße ein höheres Ansehen und Vertrauen innerhalb der Gemeinde, sagte Bartlechner. Außerdem sei die "soziale Kontrolle" geringer als während der Ausbildung. So etwa habe ein im Zölibat lebender Priester keine Frau zu Hause, die bei Überstunden nachhake. Das Leben im Zölibat könne auch schnell einsam werden. So müsse sich jeder selbst sein soziales Netzwerk schaffen.

Pfarrer Toni Wolf geht noch einen Schritt weiter und bezeichnet das Leben in sexueller Enthaltsamkeit als "Nährboden für Verfehlungen". Er fordert: "Der Zölibat muss weg als Zugang zum Priesteramt oder zur Tätigkeit des Seelsorgers." Zugunsten seines Soziallebens habe er sich während seiner Ausbildung bewusst dagegen entschieden, in einem Priesterseminar zu wohnen. Stattdessen habe er zeitweise sogar in einem Studentenwohnheim gelebt, erzählt Wolf. "Früher waren wir die Wilden. Es wurde sogar gewettet, wer als Erster heiratet", erinnert sich der heute 69-jährige Pfarrer.

Circa 40 Prozent der in der Studie genannten Täter leben laut Bartlechner noch. Bei einem Viertel der Taten habe es keine Sanktionen gegeben. In vielen Fällen finde keine Laisierung statt - für Bartlechner ein "zweischneidiges Schwert". Er verstehe das Argument der Kirche, den Zugriff und die Kontrolle über die Täter zu behalten. So könne man den Tätern nach einer Verurteilung mit anschließender Therapie immer noch den Wohn- und Einsatzort vorschreiben. Auf Nachfrage der Zuhörer bestätigte Bartlechner: "Jeder, der verurteilt worden ist, wird nicht mehr mit Kindern und Jugendlichen arbeiten dürfen."

Als Konsequenz aus der Missbrauchsstudie wolle die Erzdiözese München und Freising außerdem die Ausbildung der Priester besser überprüfen, sagte Bartlechner. So gebe es seit 2011 verpflichtende Schulungen zum Thema Missbrauch für alle Priesteramtskandidaten. Außerdem müsse man seiner Meinung nach den "Klerikalismus aufbrechen". Das findet auch Toni Wolf. Die Gäste mahnte der Pfarrer: "Nicht nur die Kleriker sind dem Klerikalismus verfallen, sondern auch das gläubige Volk." So gebe es in der eigenen Gemeinde einen Pferdehof, der regelmäßig Pferdesegnungen veranstalte. Als er zu einem dieser Termine verhindert gewesen sei und einen Pastoralreferenten als Ersatz geschickt habe, erzählte Wolf, habe man sich beschwert und einen priesterlichen Segen gefordert. "Wir müssen umdenken", forderte Wolf. In jedem Pfarrverband sollte es nach Ansicht von Peter Bartlechner ein bis zwei Personen geben, die zum Thema Missbrauch geschult sind. Ansprechpartner seien essenziell, auch bezüglich der Anerkennung des Leids. Zusätzlich zu finanziellen Leistungen sei es für viele Betroffene wichtig, mit Verantwortlichen der Kirche zu reden. Die Erzdiözese diene hier als Vermittler, sagte Bartlechner. Auch er stehe Betroffenen zum Gespräch zur Verfügung, erklärte Pfarrer Toni Wolf. Durch die große mediale Präsenz des Themas "trauen sich die Leute eher zu reden", sagte der Geistliche. Andererseits habe der Missbrauchsskandal auch zu einem Anstieg der Kirchenaustritte vor allem jüngerer Mitglieder geführt. Bisher habe er keine Strategie, das verlorene Vertrauen wieder herzustellen. Man müsse abwarten, was von der Bischofskonferenz vorgeschlagen werde. Dann sei ein gemeinsames Handeln der Pfarrverbände wichtig, sagt Wolf.

Bartlechner jedenfalls tourt derzeit mit seinem Vortrag durch die Pfarrverbände in und um München und schult deren Personal. Dennoch plädierte er in Höhenkirchen am Ende: "Wir müssen uns alle noch viel mehr anstrengen.

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SZ vom 13.03.2019
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