Die emotional aufgeladene Debatte im laufenden Bundestagswahlkampf um die Begrenzung der Migration erreicht nun auch die Rathäuser: Die Stadt Unterschleißheim wird die Suche nach einem Standort für eine neue Flüchtlingsunterkunft derzeit nicht weiterverfolgen. Wie Bürgermeister Christoph Böck (SPD) am Donnerstagabend im Stadtrat sagte, erschwerten die aktuellen Entwicklungen auf Bundes- wie auch auf Landesebene „eine verlässliche und bedarfsgerechte Planung für die Kommunen erheblich“. Sollte Klarheit herrschen, wie es mit der Migration weitergeht, werde Unterschleißheim seiner Pflicht nachkommen und weitere Geflüchtete aufnehmen, versicherte Böck am Freitag der SZ.
Die politischen Rahmenbedingungen hätten sich in den vergangenen Wochen grundlegend verändert, so der Bürgermeister der größten Kommune im Landkreis München. Allgemein werde mit einem deutlichen Rückgang der Geflüchteten und einer verstärkten Rückführung nicht anerkannter Asylbewerber gerechnet. „Als Bürgermeister muss ich diese Entwicklungen berücksichtigen, weshalb die Suche nach einem neuen Standort für eine Flüchtlingsunterkunft bis auf Weiteres ausgesetzt wird.“ Nach Angaben aus dem Rathaus hat es dazu eine interfraktionelle Abstimmung gegeben. Auch mit Landrat Christoph Göbel (CSU) habe er gesprochen, sagte Böck. Dieser habe die Entscheidung „zur Kenntnis genommen“.
Göbel sagte zu dem Unterschleißheimer Moratorium am Freitag auf SZ-Anfrage: Er gehe fest davon aus, dass die Stadt die Übereinkunft des Landkreises und der 29 Kommunen bei der Unterbringung von Geflüchteten nicht aufgekündigt habe. „Es ist ja nicht so, dass der Kollege Böck ab sofort keine Flüchtlinge mehr aufnimmt.“ Alle zwei Wochen würden dem Landkreis von der Regierung von Oberbayern an die 50 Schutzsuchende zugewiesen, die untergebracht werden müssten. München-Land erfülle die Quote aktuell zu 93 Prozent, weitere Unterkünfte seien nötig.

Göbel sieht in dem Entschluss der Stadt vor allem eine Konsequenz daraus, dass sich keiner der vier ins Auge gefassten Standorte als realisierbar erwiesen habe. Sorge, dass es andere Bürgermeister Böck gleichtun könnten, hat der Landrat nach eigenen Worten nicht. Seit mehr als zehn Jahren gelte zwischen Kreisbehörde und Kommunen die Übereinkunft, dass man gemeinsam die beste Lösung bei der Unterbringung von Geflüchteten suche. Bislang habe man diese auch immer gefunden, so Göbel. Und falls nicht: „Dann mieten wir an, Punkt.“ Jede Woche erreichten ihn an die hundert Angebote zur Anmietung.
Die Stadt erfüllt ihre Quote aktuell nur zu 63 Prozent
Die Stadt Unterschleißheim verfügt aktuell über eine Aufnahmekapazität für 725 Geflüchtete, die hauptsächlich in zwei Unterkünften an der Siemensstraße und an der Nördlichen Ingolstädter Straße untergebracht werden. Damit erfüllt Unterschleißheim die Quote bei der Unterbringung nur zu 63 Prozent, weitere 435 Plätze fehlen. Deshalb suchte die Stadt seit vorigem Jahr nach Möglichkeiten für eine neue Unterkunft, was am Ort Unmut auslöste. Geprüft wurden Standorte an der Valery-Straße, Ecke Robert-Schuman-Straße, hinter der Montessori-Schule, an der Landshuter Straße sowie an der Siemens-Straße, Ecke Carl-von-Linde-Straße. Mitte November hatte die Stadt in einer öffentlichen Veranstaltung über das Vorhaben informiert.

Nun sind alle Überlegungen und Planungen eingestellt – „bis mehr Klarheit herrscht“, wie Böck sagt. Angesichts der politischen Debatte sei der Bevölkerung nur schwer zu vermitteln und zu erklären, dass es eine neue Unterkunft brauche. So sei auf Bundes- und Landesebene von einem deutlichen Rückgang der Geflüchteten die Rede. Böck verweist auf die im Januar vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge veröffentlichten Zahlen für 2024, wonach es einen Rückgang von Asylanträgen um rund 29 Prozent gegeben habe. Zudem sei durch die jüngsten politischen Entwicklungen in Syrien zu erwarten, dass von dort weniger Asylsuchende nachkämen. Diese Gruppe habe in der Vergangenheit mit weitem Abstand den größten Anteil gestellt.
Man werde die weitere Entwicklung aufmerksam verfolgen, kündigt der Unterschleißheimer Bürgermeister an. Sollten sich die Rahmenbedingungen erneut ändern, werde die Stadt die dann notwendigen Schritte prüfen und die Bevölkerung informieren. „Jetzt lassen wir das Vorhaben ruhen, bis wir wissen, wo es hingeht“, so Böck. Landrat Göbel sehnt unterdessen das Ende des Wahlkampfs herbei: Dann werde „die emotional geleitete Debatte zu Ende“ sein und man wieder zu einem „geordneten Duktus“ zurückkehren.