Süddeutsche Zeitung

Migranten in München (6):"Eine andere Form von Rassismus"

Die Münchner Sozialpädagogin Martina Ortner forscht zu extrem rechten politischen Weltanschauungen von Migranten. Im Gespräch erklärt sie, wie verbreitet rassistische Einstellungen unter Münchens Zuwanderern sind.

Kathrin Haimerl

Rechtsextremistische Einstellung bei Zuwanderern - ein Widerspruch? Nein sagt Martina Ortner von der Fachinformationsstelle Rechtsextremismus des Feierwerk e.V., einem freien Träger der Kinder- und Jugendarbeit in München. In einer Studie befasst sie sich mit extrem rechten politischen Weltanschauungen von Migranten in München - ein Thema, das bislang in der Migrationspolitik kaum eine Rolle spielt. Bundesweit gibt es der Sozialpädagogin zufolge keine Untersuchungen, wie verbreitet nationalistische und rassistische Einstellungen unter Zuwanderern sind. Dazu hat sie mit 36 Zuwanderern aus verschiedenen Ländern gesprochen, die in München leben. Der erste Teil der Studie ist inzwischen erschienen. Das Ergebnis: In allen Interviews finden sich Aussagen zu Nationalismus, Rassismus sowie zur Verharmlosung der NS-Zeit. Die Forscherin stellte aber auch eine hohe Wertschätzung für die Demokratie an sich fest.

sueddeutsche.de: Sie erforschen extrem rechte politische Weltanschauungen bei Migranten. Wie haben Sie diese bei Ihren Interviewpartnern abgefragt?

Martina Ortner: Den Begriff Rechtsextremismus verbinden viele mit Deutschland und der deutschen Geschichte. Dann sagen die Befragten erst einmal: Nein, sowas gibt's bei uns nicht. Ich habe also die Dimensionen hinter dem Rechtsextremismus abgefragt. Dazu gehören Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus, Homosexuellenfeindlichkeit oder auch Antiziganismus (Feindlichkeit gegenüber Sinti und Roma, Anm. d. Redaktion). Diese Phänomene gibt es unter Migranten genauso. Am häufigsten konnten wir Nationalismus in Verbindung mit Rassismus feststellen.

sueddeutsche.de: Gab es da gruppenspezifische Trends? Zum Beispiel bei Migranten, die aus denselben Ländern kamen?

Ortner: Nein. Nationalistische und rassistische Aussagen kamen bei allen vor in mehr oder weniger starker Ausprägung. Man kann also nicht sagen, dass es eine Gruppe gibt, die stärker antisemitisch ist und die nächste Gruppe mehr homosexuellenfeindlich.

sueddeutsche.de: Spielt das Bildungsniveau eine Rolle?

Ortner: Auch das nicht. Ich konnte in dem ersten Schritt unseres Projekts keine Unterschiede vom Milieu oder vom Bildungshintergrund her feststellen.

sueddeutsche.de: Was ist noch Patriotismus, was schon Nationalismus?

Ortner: Nationalismus geht mit Vorstellungen von Ungleichwertigkeit einher, mindestens gekoppelt mit Rassismus. Natürlich sind viele Migranten patriotisch, häufig auch in intensiverer Ausprägung als wir Deutschen. Wer von uns hängt sich eine Fahne auf? Patriotismus bedeutet für viele der Befragten Stolz auf das Heimatland. Darunter fällt die Schwärmerei vom Essen der jeweiligen Region, heimischen Gerüchen und vieles mehr. Das ist an sich noch nichts Gefährliches, kann aber kippen.

sueddeutsche.de: Richtet sich der Rassismus gegen Deutsche?

Ortner: Nein, dafür fand ich in den Interviews keine Anhaltspunkte.

sueddeutsche.de: Woher kommen nationalistische Einstellungen bei Migranten?

Ortner: Viele der Befragten sind auf die politische Situation in ihrem Herkunftsland eingegangen, um dies zu erklären. In Ländern, in denen Krieg herrscht oder vor kurzem geherrscht hat, gibt es Feindlichkeiten gegenüber Minderheiten oder bestimmten Ethnien. Diese Konflikte sind noch nicht aufgearbeitet. Das fällt unter die Definition von Rassismus, ist allerdings eine andere Form als jene, wie wir sie bei Rechtsextremisten in Deutschland vorfinden.

sueddeutsche.de: Gibt es auch das Phänomen, dass sich Zuwanderer dem Nationalismus zugewandt haben, weil sie hier in Deutschland von der Bevölkerung Ablehnung erfahren haben?

Ortner: Diese Ablehnungserfahrungen waren immer wieder Thema, insbesondere bei den Jugendlichen. Aber auch bei Migranten, die seit mehr als 30 Jahren hier in Deutschland leben und alles getan haben, um integriert zu sein. Trotzdem werden sie auf der Straße nach wie vor angesprochen und gefragt: 'Wo kommst Du her und wann gehst Du wieder zurück?' Allerdings konnte ich bei den Betroffenen keine nationalistische Einstellung feststellen. Sie waren einfach nur furchtbar enttäuscht.

sueddeutsche.de: Wer waren dann die Befragten mit nationalistischer Einstellung?

Ortner: Die Interviewpartner, bei denen ich die Vermutung hatte, dass sie nationalistischer eingestellt sind, sind kaum auf die Situation in Deutschland eingegangen. Sie waren sehr auf ihr Heimatland fokussiert.

sueddeutsche.de: Es sind also Zuwanderer, die in Deutschland noch gar nicht richtig angekommen sind?

Ortner: Im Gegenteil, sie sind hier sehr gesettelt, meist sehr gut integriert. Aber sie engagieren sich auch überdurchschnittlich für ihr Herkunftsland, beobachten die dortige politische Situation, organisieren Hilfstransporte und haben gute Kontakte vor Ort - auch zu nationalistischen Gruppen. Das konnte ich zumindest aus den Interviews heraushören.

sueddeutsche.de: Hat die nationalistische Einstellung Auswirkungen auf das Wahlverhalten in Deutschland, sofern die Befragten hier wahlberechtigt sind?

Ortner: Dazu gibt es bislang nur Vermutungen. Man kann keine Pauschalaussage treffen, wie: Die nationalistisch eingestellten Türken wählen diese und jene Partei. Grundsätzlich ist für Migranten die Ausländerpolitik der einzelnen Parteien wichtig für ihre Wahlentscheidung. Auf Bundesebene achten sie darauf, wie sich die einzelnen Parteien gegenüber dem Herkunftsland positionieren. Darüber hinaus spielt das Wahlverhalten im jeweiligen Herkunftsland eine Rolle: Wer eher konservativ gewählt hat, wird auch hier eher konservativ wählen.

sueddeutsche.de: Wie ist es in der Kommunalpolitik?

Ortner: Da schauen sie, für welche Integrationspolitik die einzelnen Parteien stehen.

sueddeutsche.de: Wie zufrieden sind die Befragten hier mit der Stadt München?

Ortner: Die Integrationspolitik der Stadt trifft auf große Anerkennung: Sehr viele haben von sich aus erzählt, dass sie die Arbeit sehr schätzen. Kritisiert wird allerdings, dass es kein kommunales Wahlrecht gibt. Stellen Sie sich vor: Sie sind seit Jahren im Ausländerbeirat engagiert, aber können noch nicht einmal beim Bezirksausschuss einen Antrag stellen. Da kommen Sie sich doch irgendwann veräppelt vor.

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