Migranten in München (10): Kanadier:Biergarten statt Barbecue

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Wie viel Kanada gibt es in der Landeshauptstadt? Drei Wahl-Münchner über Pommes, Eishockey und die Tatsache, dass nicht alle Kultur so leicht exportierbar ist.

I. Meixner und S. Zinnecker

München ist multikulti - hier reihen sich Feinkostitaliener an ein kanadisches Pommes-Bistro und iranische Gedichte und Skulpturen finden genauso Anklang wie osteuropäisches Bukovina. sueddeutsche.de hat Wahl-Münchner getroffen, die die Stadt mitgestalten. Drei Kanadier fragen sich jedoch, welche Kultur denn nun eigentlich auf welche abgefärbt hat.

Dylan Gyori, Stürmer beim EHC München, ist ganz gern Kanadier unter Bayern. (Foto: Robert Haas)

Für welche kulinarische Spezialität steht eigentlich Kanada? Pancakes und Ahornsirup? Vielleicht. Aber Pommes? Darüber streiten sich doch in der Regel Briten und Niederländer. Dennoch ist eine Kombination, die auf den ersten Blick höchst ungewöhnlich klingt, in Québec Nationalgericht: Pommes mit Käse und dickflüssiger, würziger Bratensauce, auch bekannt unter dem Namen "Poutine". Und Poutine, das hat Jochen Esquilant festgestellt, kommt bei den Münchnern mehr als gut an.

Der Deutsch-Kanadier betreibt in der Landeshauptstadt die erste Poutinerie Europas - und das so erfolgreich, dass er bereits drei Monate nach Eröffnung in größere Räumlichkeiten an den Hohenzollernplatz umziehen musste. "Das erste Restaurant in der Occamstraße war zu klein, die Leute saßen teilweise sogar auf Bierkisten vor dem Lokal." Tradition quebecoise und urbayerische Gemütlichkeit an einem Tisch? Das ist Esquilant in jedem Fall gelungen.

Während am Anfang vor allem Kanadier zum Essen kamen, sind mittlerweile genauso viele Deutsche unter seinen Gästen. "Auch alteingesessene Schwabinger", sagt der 39-Jährige, der selbst erst 2009 nach München zog. An den Deutschen gefiel ihm sofort ihre Offenheit - weshalb er sich zu dem kulinarischen Experiment durchrang. Und es ist noch nicht zu Ende. Esquilant plant, tatsächlich noch in Richtung 'Pancakes mit Ahornsirup' zu expandieren.

Dort wo Dylan Gyori herkommt, aus der westkanadischen Provinz Alberta, sind Pancakes nicht wegzudenken. Er würde sich über ein solches Angebot in in der Stadt freuen. Tatsächlich sprechen einige Indizien dafür, dass der Stürmer des Eishockey Clubs (EHC) München nach vier Jahren beim Verein im Grunde ein Kanadier unter Bayern ist.

In erster Linie fühlt sich Gyori nämlich als einer, der die Nationaldisziplin seiner Heimat ausübt. Dass er dies gerade in München tut und "seinem Sport" mit dem Aufstieg des Teams in der letzten Saison in die erste deutsche Eishockey-Liga zu großer Popularität verholfen hat, scheint dabei gar nicht so wichtig zu sein. Dabei hat sich die durchschnittliche Zahl der Zuschauer im Stadion innerhalb eines Jahres von 2300 auf 3800 gesteigert. Fanartikel verkaufen sich besser denn je, und die Facebook-Seite des Vereins zählt mittlerweile rund 4300 Mitglieder, mehr als doppelt so viele wie noch 2009.

Darüberhinaus sind mehr als die Hälfte von Gyoris Teamkollegen im Sturm des EHC und sein Trainer Pat Cortina Kanadier. Im Training wird ausschließlich Englisch gesprochen und auch ansonsten kann sich Gyori in der Landeshauptstadt "ganz gut mit Englisch durchschlagen". Der EHC, eine kleine kanadische Enklave mitten in München?

Für Jazz-Sängerin Nina Michelle findet kanadische Kultur vor allem innerhalb der Familie statt. (Foto: Sara Zinnecker)

Fast. Denn einigen Vorzügen der Landeshauptstadt wollte sich der 31-Jährige dann doch nicht entziehen. Er mag Braugut, Biergarten und - nach anfänglicher Skepsis - sogar die Lederhosen. Ein wenig Deutsch hat er beim Smalltalk mit dem Nachbarn ebenfalls gelernt. "Auch wenn sich unser Gespräch meistens nur um unsere Vierbeiner dreht, ist da über die Jahre einiges zusammengekommen", erinnert er sich. Vielleicht wird es auch noch mehr, denn Gyori würde gern noch einige Jahre in München bleiben.

Anders als Gyori empfindet die Jazz-Sängerin Nina Michelle: In den 17 Jahren, in denen sie in München lebt, hat sie den hiesigen Lebensstil verinnerlicht. Kanadische Tradition sei nicht so einfach exportierbar, denn sie werde vor allem "gelebt", bei Festen, wenn die ganze Familie zusammenkommt. Für einige Dinge, die ihr persönlich wichtig sind, hat sie in München Ersatz gefunden: Statt Barbecue im Garten gebe es Brotzeit im Biergarten. Eine "Kultur der Stadtviertel" existiere in München genauso wie in ihrer Heimat Vancouver.

Die Geschichte der 42-Jährigen ist stellvertretend für viele ihres Metiers: Zuhause ist dort, wo es einen Ort zum Performen, ein paar Zuhörer und andere Musiker gibt. Die Entscheidung für eine Stadt ist dann oft "Bauchsache". Als Nina Michelle das erste Mal 1989 nach München kam, gefiel es ihr einfach. Nach Abschluss einer Klavier- und Gesangsausbildung und ausreichend Routine als Sängerin - sie übte viel in der Piano-Bar des Vaters - beschloss sie, in die Landeshauptstadt zurückzukehren.

In vielen Lokalen der Stadt hat Nina Michelle seither gesungen: "Vogler, Lustspielhaus, Nightclub, Deller, Mr. B's, Unterfahrt, Bayerischer Hof", zählt sie auf. Münchner Jazz-Liebhaber kennen sie als "die Kanadierin" mit der leicht angerauten Stimme, die die Songs der großen amerikanische Legenden aus den Dreißigern interpretiert. Diese Szene gestaltet sie mit. Wer dabei das besondere Canada feeling vermisst, dem bleiben zwei Möglichkeiten: Entweder auf Poutine oder Eishockey zurückgreifen - oder in den Flieger steigen.

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