Süddeutsche Zeitung

Zeit der Stellvertreter:Rathaus statt Bauernhof

Johann Zehetmair übernimmt in der Sommerpause die Rolle von Unterföhrings Bürgermeister.

Von Sophie Kobel, Unterföhring

Wenn Johann Zehetmair an einem normalen Morgen aufsteht, geht er über den Hof und füttert seine Legehennen. Später am Tag vergewissert er sich, dass es auf seinen Feldern gut aussieht, und isst mit seiner Familie zu Mittag. Kühe hat der Unterföhringer Landwirt nicht, das wäre ihm nach eigenen Angaben auch zu stressig.

Wenn Zehetmair aber Ende August morgens aufsteht, geht er nicht in den Stall, sondern ins Rathaus. Denn der Gemeinderat der Parteifreien Wählerschaft (PWU) ist seit vier Jahren Dritter Bürgermeister von Unterföhring und übernimmt seitdem jeden Sommer für ein bis zwei Wochen die Leitung der Gemeindeverwaltung. "Der Weg an sich ist nicht weit, denn ich wohne gegenüber vom Rathaus", sagt Johann Zehetmair lachend, "aber es ist inhaltlich doch ein sehr großer Kontrast zur Landwirtschaft".

Und so wird es auch in dieser Woche wieder sein: Täglich sind Unterschriften zu leisten, Besprechungen mit dem Amtsleitern stehen an und Bauprojekte sollen besichtigt werden. In der Theorie ist alles durchgeplant. Zwei Wochen, bevor der Erste Bürgermeister Andreas Kemmelmeyer (PWU) sich in den Urlaub verabschiedet, findet ein Übergabegespräch statt. Dabei teilen seine beiden Stellvertreter den kommenden Zeitraum unter sich auf und besprechen, wer welche Aufgaben übernehmen wird.

In der Praxis allerdings kann es auch mal chaotisch werden. Ob Zehetmair in der von ihm vertretenen Zeit jemals überfordert in seinem Amt war? "Ja, da bin ich ganz ehrlich. Wenn ich mir nicht sicher bin, ob ein Projekt so abgesegnet werden soll, leiste ich auch keine Unterschrift. Da schiebe ich die Entscheidung lieber ein wenig auf", sagt er. Normalerweise jedoch liefen seine Tage im Rathaus immer sehr gut ab, findet der Landwirt, das Ehrenamt bereite ihm Freude. "Manchmal rufen Bürger an, die Hilfe brauchen. Ich habe durch meinen Posten direkten Kontakt zur Gemeinde, bei uns ist es immer menschlich und überhaupt nicht anonym", erzählt der 60-Jährige.

Ob er sich auch ein Leben als Erster Bürgermeister vorstellen könnte? Zehetmair überlegt kurz und sagt dann bestimmt: "Nein, das wäre absolut nicht mein Beruf. Ich stehe lieber in der zweiten oder dritten Reihe." Der Unterföhringer ist auf dem Bauernhof aufgewachsen. Und die Landwirtschaft ist noch heute seine Heimat, sein Anker. "Wenn ich im Rathaus viele Gratulationen, Besprechungen und Termine habe, ist es immer wieder Entspannung für mich, zu der Arbeit auf dem Hof zurückzukommen", erzählt Johann Zehetmair und lächelt.

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Quelle:
SZ vom 20.08.2018/belo
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