Süddeutsche Zeitung

Meine Woche:Erste Hilfe mit Humor

Stefan Vinzenz ist seit zehn Jahren als Sanitäter auf der Wiesn.

Von Julia Fietz, Ismaning

Allein 375 Einsätze für die Sanitäter am ersten Wiesntag - Stefan Vinzenz können solche Zahlen nicht schocken. Seit zehn Jahren ist der Ismaninger auf dem Münchner Oktoberfest im Dienst, und dabei hat er so einiges erlebt: Besucher, die zu tief in den Masskrug geschaut haben oder diesen auf den Kopf gedonnert bekamen, Herzinfarkte, Schlaganfälle und so vieles mehr - keiner bekommt so viel von den Schattenseiten des größten Bierfests der Welt mit wie die Sanitäter, die auf der Theresienwiese und rundherum zwei Wochen lang im Einsatz sind. 600 sind es in diesem Jahr, einer von ihnen ist Stefan Vinzenz, der seit 20 Jahren für Johanniter fährt, die während der 16 Tage mit zusätzlichen Fahrzeugen und einem Sanitätsdienst in der U-Bahn-Station Theresienwiese das Spektakel begleiten.

"Als Münchner Kindl gehört die Wiesn für mich einfach dazu", sagt der 41-Jährige. Und der Einsatz mache ihm trotz manch schlimmer Exzesse jedes Jahr wieder Spaß. Ob Betrunkene, die ihn einfach nur umarmen wollen, Neugierige, die sich den Rettungswagen ansehen wollen, oder Touristen auf der Suche nach der nächsten U-Bahn-Station - Vinzenz und seine Kollegen nehmen es mit Humor. "Wir sind überall zur Stelle", sagt der ehrenamtliche Rettungssanitäter, der im Hauptberuf Speditionskaufmann ist und sich auch noch beim TSV in Ismaning engagiert. Das gilt auch für eine der kuriosesten Situationen, als er einmal im Rückspiegel ein Liebespärchen entdeckte, das sich im Schutz des Rettungswagens zu einem Schäferstündchen zurückgezogen hatte.

Viel schlimmer als die Erlebnisse mit Betrunkenen und Verletzten auf der Wiesn war für Vinzenz ohnehin ein Einsatz vor drei Jahren: beim Anschlag am Olympia-Einkaufszentrum. Vom ersten Alarm am Abend bis in die frühen Morgenstunden war er im Einsatz, in der Unterstützungsgruppe der Sanitätseinsatzleitung. Dieser Einsatz sei ihm noch immer sehr präsent. Viel belastender als die Einsätze auf der Wiesn seien auch Unfällen, bei denen Kinder involviert sind. "Das Wichtigste ist, dass die Teamkollegen miteinander reden können", so Vinzenz. Den Johannitern steht überdies rund um die Uhr ein Team zur Stressbewältigung zur Seite, an den sich wenden kann, wen das Erlebte nicht loslässt. So ließen sich schwere Erlebnisse leichter verarbeiten. Und: "Ich nehme mir nicht mehr so viel zu Herzen", sagt der Ismaninger, der 1999 als Zivildienstleistender zu den Johannitern gekommen war.

Die Dienste auf dem Oktoberfest übernimmt der Ismaninger auch deshalb so gerne, weil seine Freundin ebenfalls dort arbeitet: als Bedienung im Schützenzelt. Da können sich beide in ihren Pausen treffen. Seine oft langen Schichten können ihm den Spaß am Oktoberfest nicht verderben: Auch privat sei er noch einige Male auf der Wiesn unterwegs.

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Quelle:
SZ vom 23.09.2019
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