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Pfarrer Rüdiger Karmann verlässt Oberhaching und läuft nach Assisi

Von Michael Morosow, Oberhaching

In seinem letzten Pfarrbrief hat Rüdiger Karmann den Mitgliedern der Pfarrgemeinde Oberhaching Pfüa Gott gesagt, und sein Abschieds- und Geleitwort mit der Grußformel enden lassen: "Euer Rüdiger Karmann - Sämann, Hirte, Weggefährte, Pfarrer." Dass er auch Sämann sei, daran erinnere ihn beständig der alte Pflug im Pfarrgarten, vertraut er den Gläubigen an. Zehn Jahre nach seiner ersten Amtshandlung in Oberhaching, der Segnung des neu gebauten Further Bades, wird er im Juli seinen neuen Dienst als Leiter des Pfarrverbands Seeon/Seebruck am Chiemsee antreten. Auf ihn folgt der 35-jährige Emmeram Hilger, aktuell Pfarrvikar im Pfarrverband Kraiburg.

Ein paar Möbel werde er mitnehmen und selbstverständlich seine Pfarrhausfrau Monika Lechner, sagt der 57-Jährige. Und auch viele Erinnerungen an sein Wirken im Hachinger Tal und an die lieb gewonnenen Leute dort werden in seinem Gepäck sein. Zuletzt hat er sich bei Hausbesuchen persönlich verabschiedet von den vielen bettlägerigen Menschen, die er begleitet hat und denen er Beichtvater, Seelsorger und Begleiter war. "Das ist mit Wehmut verbunden", sagt der Geistliche. Doch noch ist er Pfarrer in Oberhaching und richtet daher seine ganze Konzentration auf die Eucharistiefeier am Weißen Sonntag, den Sonntag nach Ostern.

Am 21. Juli dieses Jahres wird Rüdiger Karmann dann offiziell seinen Dienst am Chiemsee antreten, vermutlich mit Blasen an den Füßen. Jedenfalls hat er sich eine Sabbatzeit von sechs Wochen genommen, während denen er auf den Spuren von Franz von Assisi wandeln wird. Der 500 Kilometer lange Weg soll ihn von Florenz bis nach Assisi führen. Zeit zur Kontemplation, zum Nachdenken. "Die Kirchenbänke werden leerer, das wird insgesamt die Zukunft sein", glaubt der Geistliche, der einen Großteil seiner Kindheit und Jugend im benachbarten Taufkirchen verbrachte, wo er als Mittzwanziger auch seine Primiz feierte. In der Beantwortung dieser Frage sehe er die Kirche noch ganz am Anfang, sagt er. Sie müsse sich in jedem Fall neu orientieren und darüber nachdenken, was die 95 Prozent der Nicht-Kirchgänger von der Kirche erwarten, sagt Karmann. In seinem Pfarrbrief macht er kein Hehl daraus, dass ihn "die Vorgänge in den Kirchen und Pfarreien zutiefst erschüttern" und es ihn mit Schmerz erfülle, "wenn sich Dinge auch in der Kirche als Organisationsstruktur erst ändern, wenn bereits gehörig viel schief gelaufen ist und schlimme Wunden geschlagen worden sind." Vielleicht findet der Geistliche auf dem Weg nach Assisi eine Lösung, wie die Saat der Sämänner wieder aufgehen kann.

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Quelle:
SZ vom 23.04.2019
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