Süddeutsche Zeitung

Maibaumaufstellen:O Mai, o Mai

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Das Aufstellen eines neuen Baumes ist für die Burschenvereine normalerweise der Höhepunkt ihrer geselligen Aktivitäten. Viele haben lange an ihren Wachhütten gearbeitet und können sie jetzt nicht nutzen

Von Christina Hertel

Bis vor zwei Jahren hat es in Julius Ammerellers Leben kaum Momente gegeben, in denen er eine Bohrmaschine in den Händen hielt. Damals war er 25, ein BWL-Student, einer, der lieber mit dem Kopf arbeitete. Heute studiert er immer noch, aber inzwischen hat er geholfen, einen Dachstuhl zu zimmern und elektrische Leitungen zu verlegen. Julius Ammereller hat ein Haus gebaut - gemeinsam mit 20 anderen jungen Männern aus dem Burschenverein Taufkirchen.

Ihren neuen "Tempel der Glückseligkeit", wie Amereller ihn nennt, hätten sie dieses Frühjahr eigentlich einweihen wollen. Mitte März hätte ihre Maibaum-Wachhüttenzeit begonnen, sechs Wochen lang hätte es viele Feste gegeben und am 1. Mai hätte der Verein seinen Baum aufgestellt. Die "Ludwig Thoma Musikanten", eine Wiesn-Kapelle, wären aufgetreten. Die Leute hätten getanzt, getrunken, gefeiert. Aber dieses Jahr gab es nirgendwo im Landkreis Maibaum-Wachen mit Malle-Partys und Table Dance. Und nirgendwo in ganz Bayern stellen Vereine am 1. Mai einen Maibaum auf. Sogar das Oktoberfest ist abgesagt, weil die Regierung die Gefahr, sich auf solchen Festen mit dem Coronavirus anzustecken, als zu groß erachtet.

"Ich werde mich am 1. Mai in meinem Zimmer einschließen und trauern", sagt Julius Ammereller. Zwei Jahre lang haben er und die anderen Burschen jeden Samstag auf der Baustelle gearbeitet, jetzt ist alles fertig, doch feiern können sie in ihrer Hütte auf absehbare Zeit nicht. "Es ist als, ob man einen Marathon läuft und nun auf den letzten Metern abbricht."

Ähnlich fühlt sich Dominik Niedermeier, der Vorsitzende des Burschenvereins Siegertsbrunn, der auch fast zwei Jahre lang an seiner Wachhütte gearbeitet hat und diesen Freitag einen Maibaum aufgestellt hätte. "Es ist nur traurig", sagt er. Im Sommer 2018 begannen seine Freunde und er in der alten Hütten den Boden herauszureißen, im Frühling 2020 hängten sie Fotos an die Wand.

Kurz überlegte der Verein, ob er den Maibaum ohne große Feier, bloß mit den Mitgliedern aufstellen könnte. Aber den Gedanken hätten die Burschen schnell verworfen, sagt Niedermeier. Auch Julius Ammereller hoffte anfangs, dass es reicht, Desinfektionsmittelspender auf der Toilette aufzuhängen. Doch drei Tage vor dem Eröffnungsfest, an dem Mittwoch im März, als die bayerische Regierung alle Veranstaltungen für mehr als 1000 Teilnehmer verbot, sei ihnen klar gewesen: "Es wäre nicht mehr zu verantworten, eine frischfröhliche Maibaum-Wache einzuläuten."

Dominik Niedermeier und Julius Ammereller ist beiden bewusst, dass es in Zeiten, in denen Spanier ein Eisstadion als Leichenhalle nutzen und Italiener in ihren Lokalzeitungen seitenweise Todesanzeigen drucken, Schlimmeres gibt als ein Jahr ohne Maibaumfeste. Schade finden sie es trotzdem. Die Sehnsucht nach Geselligkeit und Ausgelassenheit steigt bei vielen Menschen - und in Vereinen, die sich per Satzung zur Pflege des bayerischen Brauchtums verpflichten, aber darunter wohl häufig vor allem das Zelebrieren der Bierkultur verstehen, vielleicht besonders. "Viele beschimpfen uns als Saufvereine", sagt Julius Ammereller. Mitfeiern würde dann aber doch oft der halbe Ort.

Um solche Feste zu ermöglichen, hat Unterföhring für mehr als vier Millionen Euro sogar einen neuen Stadel gebaut. Das erste Bier hätte dort der Burschenverein zum Beginn seiner Mai-Wache ausgeschenkt. Doch den Baum haben die Männer bereits zu Kleinholz gehackt, um irgendwann Möbel daraus zu bauen. Am 1. Mai treffen sie sich nur virtuell per Skype, und jeder trinkt eine Halbe vor seinem Laptop, wie Vorsitzender Christoph Axenbeck erzählt. Er hofft auf eine große Silvesterparty. Sehr viel früher, glaubt er, könnten Feiern mit Hunderten Menschen nicht wieder erlaubt sein. Auch die Burschenvereine in Taufkirchen und Siegertsbrunn sind skeptisch, ob sie dieses Jahr noch einen Maibaum aufstellen können. Großveranstaltungen sind schließlich bis Ende August verboten.

Ein Jahr ohne große Feste bedeutet für die Vereine auch ein Jahr ohne Einnahmen. Mit bis zu 8000 Euro hätten sie gerechnet, sagt Christoph Axenbeck - Geld, das sie gut gebrauchen könnten. Denn in zwei Jahren will der Verein seine Fahnenweihe abhalten. Bis zu 20 000 Euro könne eine neue, handgefertigte Fahne kosten. "Irgendwie bekommen wir das Geld sicher zusammen", meint der Vorsitzende. Durch mehr Spenden - oder durch mehr Feste im nächsten Jahr.

Ähnlich pragmatisch sieht das Sebastian Praml, der Vorsitzende des Burschenvereins in Straßlach. Im Winter hat er an die 140 T-Shirts, Pullover und Jacken bestellt - bestickt mit dem Logo des Vereins und der Zahl 2020, dem Jahr, in dem er eigentlich am 1. Mai eine "Mordsgaudi" haben und bis in die Puppen feiern wollte. "Aber das kann man bestimmt umsticken lassen", hofft er nun. Und bis dahin wolle er den 38 Meter langen Baum, der immer noch im Wald liegt, regelmäßig bewässern. Damit er keine Risse hat, wenn Feiern wieder erlaubt sind.

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Quelle:
SZ vom 30.04.2020
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