Goethe und Schiller sitzen im Bett und gucken ins Mondlicht, das dekorativ durchs Fenster an der Dachschräge hinabtaucht. Als Gabriel Jakob Hoffmann eines Abends sein Zimmer betritt und seine beiden, nach den berühmten Dichtern benannten Kuscheltier-Schafe erblickt, elektrisiert ihn die Szene. „Ich fand das witzig und schaute nach, was sie da sehen“, sagt der zwölfjährige Gymnasiast aus Grünwald. „Das war der Vollmond.“ Und so kam ihm die Idee, dass seine beiden Schafe gerne zum Mond fliegen würden. Schließlich seien ja auch schon andere Tiere dort gewesen – oder zumindest im Weltraum: die Hündin Leika, die Katze Félicette und die Affen Able und Miss Baker.
Es war eine von mehreren Inspirationsquellen, aus denen schließlich sein Gedicht „Nur der nicht angespitzte Bleistift“ entsprang, das der von Weltraum und Raumfahrt begeisterte Gabriel Hoffmann beim Bundeswettbewerb für junge Lyrik „Lyrix“ einschickte – und mit dem er erneut reüssierte: Er gehört 2024 wieder zu den Jahresgewinnern, nachdem er bereits 2023 mit seinem inhaltlich wie formal beeindruckenden experimentellen Werk „Beta Version*: π-ple“ ausgezeichnet wurde.
Mondbeschienene Stoffschafe, ein mit Sternbildern überzogener Bleistift – nicht angespitzt und aus Recyclingpapier – sowie das Buch „Der Atlas des Himmels“ mit einer Mondlandkarte: Aus diesen inspirativen Vorgaben gestaltete der junge Lyriker einen Text, der mit bemerkenswerten Sprachbildern aufwartet („Jetzt hat man nichts, womit man all die ganzen Fehler wegradieren kann. Es bleibt nur der metallische Geschmack der Stressknospen auf der Papierzunge kleben“ oder „die Wolle schert sich nicht über die schlaflosen, hungrigen Schafe“), sondern auch zum Nachdenken anregt: „Nur die Wut wächst auf den Wiesen der Erde, alles andere wurde auch abgegrast.“ Die irdische Welt ist hier gefährdet und der außerirdische Raum avanciert gleichsam zum Sehnsuchtsort für Schafe wie für Menschen. Der Text bleibt freilich bis zum Ende ein wenig unergründlich, was ja das Vorrecht der Poesie ist.
Zu viel hineininterpretieren sollte man ohnehin nicht. Gabriel Jakob Hoffmann ist ein Zwölfjähriger, der gerne liest, wissbegierig ist und offensichtlich begabt darin, viele Dinge aufzunehmen und intuitiv-sprachspielerisch zu verarbeiten. Schreiben macht ihm Spaß und er freut sich nun darauf, als einer der „Lyrix“-Prämierten Anfang Juli beim Poesie-Festival in Berlin lesen zu dürfen. „Da treffe ich mich auch mit anderen Jungen, die schreiben.“ Bei dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und weiteren Kulturinstitutionen organisierten „Lyrix“-Wettbewerb haben Jugendliche im Alter von zehn bis 20 Jahren die Möglichkeit, monatlich Gedichte zu wechselnden Themen zu schreiben und online einzureichen. Knapp 1700 Texte waren es, die übers Jahr 2023 eingesendet wurden, wobei letztlich zwei Jurys nach einer Vorauswahl am Ende die 24 besten Gedichte auswählten, die jetzt als Sieger 2024 bekannt gegeben wurden.
Dass er prämiert wurde, ist keine neue Erfahrung für Gabriel. Der junge Lyriker, der die siebte Klasse am Gymnasium in Grünwald besucht, hat schon etliche Literaturwettbewerbe gewonnen: Als er 2020/21 während der Pandemie und der Lockdown-Phasen anfing, Texte einzureichen, war das Echo gleich positiv: Unter anderem gewann er beim vom Bayerischen Rundfunk ausgeschriebenen Wettbewerb „Beethoven Mystery XXL“ mit „Verschwörungstheorie Äh-Lisa“ und beim Berlin-Brandenburgische Preis für Junge Literatur „Theo“ mit einem Gedicht, welches das Thema „Weltraum“ kreativ von A bis Z durchdekliniert.

Es war die Zeit, als der damals acht-, neunjährige Schüler sein Talent zu entfalten begann, persönliche Beobachtungen und Leidenschaften in besondere Worte zu kleiden, in Literatur zu verwandeln. „Ich sehe etwas, das sticht mir ins Auge und inspiriert mich. Dann schreibe ich“, erklärt Gabriel. Der blonde Fast-Teenager, der auch schon Mitglied in einer Jury war, die für den Kinderkanal (Kika) Drehbücher bewertete, ist bereits ein wenig daran gewöhnt, über sein kreatives Wirken Auskunft zu geben. Mittlerweile bereits 1,77 Meter groß gewachsen, wirkt er im Gespräch höflich-zurückhaltend, ohne schüchtern zu sein. Sich seiner Begabung durchaus bewusst, aber ohne aufzutrumpfen. Als Streber würde er an der Schule nicht wahrgenommen. „Ich glaube, meine Freunde finden das eher cool, dass ich so was wie eine Berühmtheit bin“, sagt er. Das Wort „Berühmtheit“ spricht er zögerlich aus.
Natürlich liest er gerne: Sachbücher, speziell auch über den Weltraum, sowie Fantasy-Bücher und gelegentlich schaut er in einen Gedicht-Band. Schiller und Goethe mag er nicht nur als Schafe, sondern auch als Dichter („Von den alten Klassikern kann man was lernen“). Christian Morgensterns Verse sagen ihm ebenfalls zu, der Schöpfer der „Galgenlieder“ hat ja selbst Mondschaf und Mondkalb ins Reich der Poesie eingeführt.
Er liest viel, aber natürlich schaut er auch Filme – und zockt
Gleichwohl wirkt der 2011 im sauerländischen Arnsberg geborene Hoffmann, der mit seinen Eltern 2016 nach München kam – 2019 zog die Familie dann nach Grünwald um – nicht wie ein heranwachsender Bücher-Nerd. Seine Interessen sind vielfältig: Er spielt Gitarre und E-Gitarre, er liebt Basketball (wobei das aktive Engagement als Center verletzungsbedingt gerade unterbrochen ist), er kann sich für Autos begeistern und natürlich sind ihm auch digitale Reize und andere mediale Ablenkungen vertraut. „Ich zocke schon und schaue mir Filme an.“ Zur Schule geht er gerne, die Hausaufgaben nehmen freilich auch Zeit zum Lesen weg, manch Deutschlektüre scheint ihn nicht gerade zu überfordern.
Seine Eltern, beide Juristen, unterstützen seine literarischen Ambitionen und erfreuen sich daran. „In unserem Beruf spielt Sprache eine Rolle und wir legen Wert auf gute Sprache“, sagt Vater Benedikt Hoffmann. Die Neigung zum Poetischen habe der Sohn aber nicht von den Eltern, wie er schmunzelnd zugibt.
Was daraus mal werden soll? Gabriel Jakob Hoffmann ist in der siebten Klasse. Er schreibt. Teilweise mit erstaunlich experimenteller Raffinesse. Alles Weitere weiß vielleicht der Mond.